Klaus Wolschner         Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

Über den Autor

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zu den Abschnitten

I
Medien-
Geschichte

Meine Studienbücher:

COVER AS

Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen: Augensinn, Bildmagie
 

ISBN 978-3-7418-5475-0

Cover VR

Über die Mediengeschichte der Schriftkultur und ihre Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion im  Jahrhundert des Auges


ISBN 978-3-7375-8922-2

Cover POP1

Über traditionelle Herrschafts-Kommunikation
und neue Formen der Medien-Demokratie:
Wenn der Pöbel
online kommt

ISBN: 978-3-756511-58-7

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Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne

ISBN 978-3-746756-36-3

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Neue Medien,
neue Techniken des
Selbst:
Unser digitales Wir-Ich

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1932 - ein lustiger akademischer Maskenball

Während die NSDAP sich auf die Machtübernahme vorbereitete,
feierte die intellektuell Elite in Frankfurt einen näckisch-erotischen Maskenball

1932 VBAm 27. Januar 1927 forderte der Völkische Beobachter das „sofortige Verbot der kommunistischen Mordorganisation“.

Und abends hielt Adolf Hitler eine Rede vor dem Industrie-Club in Düsseldorf, in der er die Skepsis der deutschen Unternehmer zu zerstreute. Er klagte über die „Unterbewertung der deutschen Kraft.  Erst wenn wir diese verhängnisvolle Einschätzung wieder abgeändert haben, kann Deutschland die politischen Möglichkeiten wahrnehmen, die – weitschauend in die Zukunft – das deutsche Leben wieder auf eine natürliche und tragfähige Basis stellen: entweder neuen Lebensraum mit Ausbau eines großen Binnenmarktes oder Schutz der deutschen Wirtschaft nach außen unter Einsatz der zusammengeballten deutschen Kraft.“

Und – für den  27. Februar 1932 abends hatten der protestantische Philosophie-Professor Paul Tillich und seine Frau Hannah zum Maskenball in ihre Wohnung in Frankfurt eingeladen. Das ironisch banalisierte hegelianische  Motto für die Party war: „Die Realdialektik oder: durch Spruch und Widerspruch zur Einheit“. Die Gäste, die allein oder paarweise erschienen, sollten, so die offizielle Begründung, aus der Vereinzelung herausgerissen und miteinander in Kontakt gebracht werden. Dolf Sternberger trat mit Lorbeerkranz in einer Toga auf, der Junge Theodor Adorno Wiesengrund kam als Napoleon verkleidet. Zu dem Kreis um Tillich gehörten  Max Horkheimer, Friedrich Pollock, Karl Mannheim und andere akademische Kollegen.  Alles  Nonkonformisten, die nach neuen Ideen suchten. Es kamen der Neurologe und Psychiater Kurt Goldstein, der Pädagoge Hans Weil, der Gestaltpsychologe Max Wertheimer, der Wirtschaftswissenschaftler Adolf Löwe. Zu den Gästen zählten auch einige jüngere Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung wie Leo Löwenthal, Herbert Marcuse, Karl August Wittfogel und Gottfried Salomon  - meist kamen sie mit ihren Frauen. Die meisten Freunde der Tillichs waren Juden, oft links,  Kommunisten, religiöse Sozialisten, teils Sozialdemokraten. Eingeladen waren nach der Erinnerung Margot Fausts, einer Studentin und früheren Geliebten Tillichs, rund 50  Gäste. Das ganze Erdgeschoss musste ausgeräumt werden. Eine  Bar wurde in der Küche aufgebaut, das Wohnzimmer verdunkelt – als „Aphroditorium“. 

Es muss ein lustiger Maskenball gewesen sein, an den sich einige der Gäste noch Jahrzehnte später wehmütig erinnerten.  Das Geheimnis der Veranstaltung enthüllte eigentlich Hannah Tillich erst Jahrzehnte später in ihrer Autobiografie „Ich allein bin“, in der sie von ihren lesbischen Abenteuern berichtete, von amourösen Seitensprüngen der Tillichs - und von der heimlichen pornografischen Lektüre ihres Mannes.

Paul Tillich hatte im Wintersemester 1931/32 eine vierstündige Vorlesung über Hegel gehalten. Da hatte er erklärt, der völkische Glaube, durch Rassereinheit endlich „ein Volk“ zu werden, sei eine naive, undeutsche Illusion. „Sollte es nicht unser besonderes deutsches Schicksal sein, das zu leisten, was nach Hegel das schwerste ist: das Leben zu haben, das den Tod erträgt, das in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet; ein Volk, das  dem Negativen ins Auge schaut und in ihm verweilt?“

Den Ablauf des Maskenballs hatten die Gastgeber, den akademischen Gepflogenheiten entsprechend, in Fußnoten der Einladung beschrieben.

Zur Maskierung hieß es da, die Gäste sollten „als ihr anderes Selbst zu erscheinen“. Auch die „Ver- und Enthüllung des unmittelbaren Daseins“ müsse „dialektisch“ sein: „Erforderlich ist ein Spiel von Ja und Nein, Anwendung von List der Vernunft, die durch Ja >Nein< sagt und durch Nein >Ja< sagt.“ Eine kleine Sensation auf dem Maskenball war Universitätskurator Kurt Riezler, der kostümiert mit einem Braunhemd als SA-Mann kam.  1932 amüsierte man sich noch über diese Kostümierung, nur wenige Monate später wurde er von den Nazis zwangsweise in den Ruhestand versetzt.

Die illustre Gesellschaft der freischwebenden Intelligenz beschäftigte sich nicht mit der Weltwirtschaftskrise und lebte unbesorgt in dem Glauben, dass der Aufschwung der NSDAP gebrochen sei und sich alles wieder normalisieren würde. Sie zählten zu den fortschrittlichen Geistern der Weimarer Republik, die sich anschickten, die geistige Welt mit ihren Ideen zu revolutionieren.

Norbert Elias hat später einmal gesagt, er habe in diesen Jahren die politischen Auseinandersetzungen nur am „Horizont“ wahrgenommen und niemals „das Gefühl einer heraufziehenden Katastrophe“ gehabt.

Obwohl Anfang Dezember 1932 Tillichs Vorlesung von SA-Studenten gestört und dabei der Homosexuelle jüdische Student Richard Plaut zusammengeschlagen worden war, hatte Tillich den nächsten Maskenball  geplant und noch Mitte Januar 1933 die Einladungen verschickt. Erst nach der Machtübergabe an Hitler am 30. Januar wurde das Fest abgesagt.

Niemand hatte 1932 geahnt, dass ein Jahr später keiner der hier genannten Akteure noch in Frankfurt lehren und forschen würde und die meisten fluchtartig das Land verlassen mussten. Am 10. Mai brannten auf den Straßen Deutschlands die Bücher, die sicherlich auch die Regale der Maskenball-Gesellschaft geziert hatten.

Es dauerte Jahre, bis einige von ihnen die Dimension der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum Thema machten und - im Exil - über Judenhass und Antisemitismus, autoritäre Charakterstrukturen, totalitäre Ideologien und die Banalität des Bösen diskutierten.

    die Geschichte vom Maskenball nach: Friedrich Wilhelm Graf: Februar 1932, Party bei den Tillichs. Reale Dialektik in Frankfurt  In: Zeitschrift  für  Ideengeschichte Heft  IX/4  Winter  2015, hg Jens  Hacke, S.111 fff 

     

    siehe auch meinen Blog-Text über die
    Krisenkommunikation der
    Weimarer Republik”  MG-Link