Klaus Wolschner  Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

Über den Autor

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III
Medien
-Theorie

Meine Studienbücher:

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Neue Medien,
neue Techniken des Selbst:
 Unser digitales Wir-Ich

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Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion
im  Jahrhundert
des Auges:
Virtuelle Realität
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Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen:

Augensinn und
 Bild-Magie

ISBN 978-3-7418-5475-0

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Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne:
Wie Glaubensgefühle
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Über traditionelle
Herrschafts-Kommunikation
und neue Formen der
Medien-Demokratie:
Wenn der Pöbel
online kommt

ISBN: 978-3-756511-58-7

 

 

 

Zu
Bernays

Wo der Sinn des Lebens nicht mehr in der Arbeit gesucht wird, sondern in den Vergnügungen der Freizeitindustrie und des Konsums, dann bekommt die alte Kunst der Marktschreier eine neue Bedeutung: Propaganda. Edward L. Bernays, der 1891 in Wien geborene Neffe von Siegmund Freud, hat das 1928 in den USA ungeschminkt formuliert: „Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften.“ Er nannte das Propaganda: „Wenn viele Menschen möglichst reibungslos in einer Gesellschaft zusammenleben sollen, sind Steuerungsprozesse dieser Art unumgänglich. (…) Ob es uns gefällt oder nicht.“ Das war nicht wie die zeitgenössische Massenpsychologie antidemokratisch gedacht: „Wir werden regiert; unser Verstand wird weitgehend modelliert; unser Geschmack wird geprägt; unsere Vorstellungen werden vorgegeben von Männern, von denen wir noch nie etwas gehört haben. Das ist das logische Ergebnis der Art und Weise, wie unsere demokratische Gesellschaft organisiert wird. Eine gewaltige Menge von Menschen muss auf diese Weise zusammenarbeiten, wenn sie als eine reibungslos funktionierende Gesellschaft funktionieren soll.“

Das Wort Propaganda war im Englischen wie im Deutschen bis zum Ersten Weltkrieg kaum bekannt, obwohl Papst Gregor XV. schon 1622 eine seine „Congregatio de Propaganda Fide“ gegen den sich verbreitenden Protestantismus damit benannt hatte. Bernays meinte, je komplexer die Zivilisation werde, desto deutlicher zeige sich, „wie nötig die im Hintergrund arbeitenden Führungsinstanzen sind“. Bernays wusste aus seiner praktischen Erfahrung, dass nicht vernünftige Gedanken, sondern Gefühle und Bilder in den Köpfen der Massen wirken. Des Volkes Stimme sei nicht von erhabener Weisheit beflügelt, formulierte Bernays 1928, sondern „Ausdruck des Volksempfindens“, die Volksmeinung setze sich zusammen aus „überlieferten Vorurteilen, Symbolen und Klischees und den griffigen Sprüchen, die die Anführer dafür gefunden haben.“

Die Familie Bernays war vor dem 1. Weltkrieg aus Wien in die USA ausgewandert. Edward Bernays promotete Tourneen mit Startenor Enrico Caruso oder auch mit der russischen Ballettruppe von Sergej Diagilew, mit ihrem damals hochberühmten Vor-Tänzer Vaslav Nijinski. Als die USA in den Ersten Weltkrieg eintreten, heuerte Bernays beim halbstaatlichen Council on Public Information an. Der Council sollte die kriegsunwillige Bevölkerung der USA auf den Krieg einstimmen. Zunächst ging es darum, die neue Baltenrepublik Litauen den Amerikanern sympathisch machen. Bernays initiierte Artikel über das Musikleben, die Literatur, den Sport und vieles mehr aus Litauen. Beiläufig wurde da auch erwähnt, dass Litauen als Bollwerk gegen den Bolschewismus eine wichtige Funktion im Kampf für Freiheit und Demokratie übernimmt. Diese Texte werden kostenlos als „redaktionelle“ Beiträge den zeitungen dr USA zur Verfügung gestellt.

Im Herbst 1918 fuhr Bernays im Tross von US-Präsident Woodrow Wilson als Berater mit zu den Friedensverhandlungen in Paris. Wilson wird von begeisterten Franzosen bejubelt für seine 14 Punkte, die vielen alles versprechen – aber die Masse bejubelt ihre eigenen Wünsche und Träume.

Zurück in den USA eröffnet Bernays ein Public Relation-Büros im Herzen von New York. Sein Konzept:  Die Konsumenten sollen mit der Ware gedanklich etwas verbinden, was mit deren Gebrauchs- oder Tauschwert gar nichts mehr zu tun hat. Seit den frühen 1920er Jahren hielt Bernays Kurse in Universitäten ab. Seine Theorie der Public Relations – das Wort „Propaganda“ haben nach seiner Meinung die Deutschen im Krieg entweiht – fasst Bernays in Büchern zusammen. 1923 erschien „Crystallizing Public Opinion“. 1928 kehrte er dann doch zu dem Unwort zurück, sein neues Buch hieß ganz schlicht „Propaganda“.

Bernays meinte durchaus, dass Propaganda ethisch zu rechtfertigen sei. „Wenn ein Backwarenunternehmen einer Schule Illustrationsmaterial zum Thema Brot backen zur Verfügung stellt, dann ist daran grundsätzlich nichts auszusetzen. Wichtig ist, dass das gelieferte Material korrekt und wahrheitsgetreu ist und die Schulleitung derartige Angebote sorgfältig auf ihren  Unterrichtswert hin überprüft, bevor sie übernommen werden.“

Da war zum Beispiel die Befreiung der Frau. Nach dem Ersten Weltkrieg nämlich hatten die Suffragetten das Wahlrecht für Frauen durchgesetzt. Daran erinnert sich Bernays im Jahre 1929, als ihn der Chef des Zigarettenkonzerns American Tobacco George Washington Hill fragt, wie man den schleppenden Verkauf der Marke Lucky Strike wieder in Schwung bringen kann. Bernays engagiert für die Osterparade im März 1929 in New York zehn Nachwuchsmodels. Die jungen Frauen sollen sich pressewirksam vor der Menschenmenge Zigaretten anzünden. Natürlich hat „Eddie“ Bernays vorher allen Presseleuten gesteckt, dass sich auf der Easter Parade etwas ganz Besonderes ereignen wird. Bernays lässt seine Sekretärin Bertha Hunt ein Telegramm an die Öffentlichkeit schicken: „Im Interesse der Gleichberechtigung der Geschlechter, und um ein weiteres Geschlechter-Tabu zu bekämpfen, werden ich und andere junge Frauen eine neue Fackel der Freiheit anzünden, indem wir Zigaretten rauchen, während wir am Ostersonntag die Fifth Avenue herunterspazieren.“

Die Frauen kauften sich mit der Freiheitsfackel von Lucky Strike ihre Gleichberechtigung. In den folgenden Jahren stieg Lucky Strike zum Marktführer auf. Frauen fanden die grüne Verpackung der Lucky Strike nicht so gut? Bernays ließ im New Yorker Waldorf Astoria einen rauschenden Wohltätigkeitsball veranstalten, der als Motto die Farbe Grün hat. Die ganze High Society kam komplett grün gewandet daher, und die geschmierte Presse verkündet: Dies wird eine grüne Saison. Niemand wusste, dass hinter dem Rummel Bernays und American Tobacco standen.

Nicht immer stand Bernays als PR-Berater auf der moralisch korrekten Seite. Der Präsident von Guatemala, Jacobo Arbenz Guzmán, hatte in der 1950er Jahren versucht, für die Arbeiter auf Bananenplantagen bessere Löhne und Arbeitsbedingungen durchzusetzen und die einseitige Abhängigkeit des Landes von United Fruit zu brechen. 1954 übernahm Bernays für United Fruit die Öffentlichkeitsarbeit. An die rechtsextreme ‚American Legion‘ ließ er das Traktätchen „Communism in Guatemala – 22 Facts“ verteilen. An dem Tag, an dem Presseleute aus den USA in Guatemala eintrafen, ließ Bernays sie Randale in den Straßen der Hauptstadt veranstalteten, um die Stimmung in den USA anzuheizen. Die CIA bildete eine Ad-hoc-„Befreiungsarmee“ von ungefähr 400 Kämpfern in Nicaragua aus. Unter dem Befehl von Castillo Armas drang diese am 18. Juni 1954  nach Guatemala ein.

Bernays kannte die Diskussion über die Psychologie der Masse und die Gedanken seines Onkels Siegmund Freud. Der hatte 1921 in seinem Buch über Massenpsychologie und Ich-Analyse die Aussage Wilfred Trotters (1916) zitiert, „der Mensch sei ein Herdentier“, und korrigiert: Der Mensch sei „vielmehr ein Hordentier, ein Einzelwesen einer von einem Oberhaupt angeführten Horde“. Bernays dazu: „Das Handeln des Menschen in der Gruppe wird bestimmt von Gefühlen und Beweggründen, die mit den Ansätzen der Individualpsychologie nicht erklärt werden können.“

Bernays riet der Seidenindustrie, in der Werbung darauf zu setzen, dass Kleider nicht nur der Bekleidung dienen, sondern eben auch dem Ego. In einer Welt der anonymen Warenwirtschaft, in der der Austausch nicht mehr als Verhältnis zwischen zwei Familien verstanden wird, können die Kunden durch eine emotionale Bindung für ein bestimmtes Produkt gewonnen werden.

Der Europa-Korrespondent der Hearst-Presse, Karl von Wiegand, erzählte Bernays einmal, er habe im Bücherschrank von Goebbels „Crystalizing Public Opinion“ gefunden. Bernays zeigte sich betroffen, er war Jude.