Klaus Wolschner  Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

Über den Autor

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III
Medien
-Theorie

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Auszüge aus

Thorstein Veblen (1899):
Demonstrativer Konsum und sozialer Status

Im Laufe unserer Ausführungen über die Entwicklung einer stellvertretenden müßigen Klasse und über deren Differenzierung von den arbeitenden Klassen haben wir auf eine weitere Arbeitsteilung, nämlich zwischen verschiedenen Klassen von Dienern, hingewiesen. Ein Teil der Dienerschaft, vor allem jene, deren Beschäftigung in der stellvertretenden Muße besteht, übernimmt allmählich neue Pflichten, nämlich den stellvertretenden Konsum von Gütern. Am deutlichsten zeigt sich dies im Tragen von Livreen und in der Einrichtung von besonderen bequemen Wohnräumen für die Dienerschaft. Eine andere kaum weniger aufdringliche und sehr weit verbreitete Form des stellvertretenden Konsums besteht im Verbrauch von Nahrung, Kleidung, Wohnraum und Möbeln von Seiten der Herrin des Hauses und ihrem Gefolge. […]

Der Luxus und die Annehmlichkeiten des Lebens, bestimmte Speisen und vor allem bestimmte Getränke bleiben unter der Herrschaft des Tabus der müßigen Oberklasse vorbehalten. Die konventionelle Differenzierung von Nahrungsmitteln lässt sich am deutlichsten für berauschende Getränke und Narkotika nachweisen. Wenn sie kostspielig sind, so gelten sie als edel und ehrenvoll. Deshalb sind die niederen Klassen, vor allem die Frauen, zur Enthaltsamkeit gezwungen, außer natürlich in solchen Ländern, wo diese Artikel billig sind. Seit der Urzeit bis zur Epoche des Patriarchalismus hat es zu den Obliegenheiten der Frauen gehört, diese Luxusgüter herzustellen und zu verwalten, und zum Privileg des vornehmen Mannes, sie zu verbrauchen. 
Trunkenheit und andere pathologische Erscheinungen, die der unbeschränkte Genuß alkoholischer Getränke und Narkotika hervorruft, gelten ihrerseits allmählich als ehrenvoll, und zwar wiederum in ihrer Eigenschaft als Kennzeichen eines überlegenen Standes. Selbst Gebrechen, wenn die Folgen einer übermäßigen Vorliebe für solche Genussmittel sind, werden von manchen Völkern als männliche Attribute hoch gewertet. Manchmal ist sogar der Name solcher Krankheiten in der Alltagssprache zum Synonym von „edel“ oder „vor nehm“ geworden. Die Symptome teurer Laster gelten zwar nur in einem relativ frühen Kulturstadium als Kennzeichen eines hohen Standes und als Tugenden, welche die Hochachtung der Gesellschaft verdienen; das Prestige, das solchen Lastern anhaftet, bleibt lange Zeit erhalten so daß Angehörige der Oberklasse kaum kritisiert werden, wenn sie sich in übermäßiger Weise den erwähnten Genüssen hingeben. Dieselbe neiderfüllte Diskriminierung verstärkt umgekehrt das Mißfallen, das Frauen, Minderjährige und untergebene erregen, wenn sie sich den Genuß alkoholischer Getränke erlauben. Die eben beschriebene traditionelle Unterscheidung hat auch heute ihre Macht noch nicht verloren. Wo das Vorbild der müßigen Klasse uneingeschränkt die Konventionen bestimmt, erhalten sich die Frauen noch immer aller Genußmittel. […]

Da der Konsum von besseren Gütern ein Beweis des Reichtums ist, wird er ehrenvoll, und umgekehrt zeichnet sich ein mangelnder quantitativer und qualitativer Verbrauch durch Würde- und Ehrlosigkeit aus.
Die peinlich genaue Auswahl der Speisen, Getränke usw. berührt nicht nur die Lebensweise, sondern allmählich auch Erziehung und intellektuelle Aktivität des müßigen Herrn. […]
Durch den demonstrativen Konsum wertvoller Güter erwirbt der vornehme Herr Prestige. Je mehr Reichtum sich in seinen Händen häuft, um so weniger reichen seine eigenen Kräfte aus, um den gewaltigen Besitz gebührend zur Schau zu stellen. Er nimmt deshalb seine Zuflucht zu Freunden und Rivalen, denen er wertvolle Geschenke macht und für die er kostspielige Feste veranstaltet. Geschenke und Feste besaßen wohl einen anderen Ursprung als den naiven Wunsch nach Prunk und Gespänge, doch erwarben sie ihren Wert für diesen Zweck sehr früh und haben ihn bis heute nicht verloren; ganz im Gegenteil, dieser Wunsch bildet heute ihre wesentlichste Grundlage. Möglichst kostspielige Feste, wie zum Beispiel der Potlatch
(1)
oder große Bälle, eignen sich besonders gut für den genannten Zweck. Der Rivale, mit dem der Gastgeber sich messen will, dient dabei als Mittel zum Zweck. Er konsumiert stellvertretend für seinen Gastgeber und wird so nicht nur zum Zeugen eines prächtigen Schauspiels, bei dem ihm eine vollendete Handhabung der Etikette vorgespielt wird, was er widerwillig bewundern muß. […]
Die gesamte Geschichte des demonstrativen Verbrauchs – handle es sich nun um den Verbrauch von Gütern, Dienstleistungen oder menschlichem Leben – wird natürlich von einer Bedingung beherrscht, nämlich der, daß die Ausgaben, sollen sie das Ansehen  des Konsumenten auch wirklich erhöhe, überflüssig sein müssen. Nur Verschwendung bringt Prestige. Dem Verbrauch des unbedingt Notwendigen kommt nicht das geringste Verdienst zu, es sei denn im Vergleich höchst prosaisch und gänzlich reizlos. Doch kann man sich einen Lebensstandard vorstellen, der auf einem anderen als dem finanziellen Vergleich beruht, zum Beispiel auf einem Vergleich der moralischen, physischen, intellektuellen oder ästhetischen Fähigkeiten. […]
Natürlich braucht eine bestimmte Ausgabe nicht ausschließlich verschwenderisch zu sein, um zur Kategorie der demonstrativen Vergeudung gerechnet zu werden. Irgendein Gegenstand kann sowohl nützlich als auch unnütz sein, und seine Nützlichkeit für den betreffenden Konsumenten kann sich in sehr verschiedener Weise aus Nutzen und Verschwendung zusammensetzen.
Die Konsumgüter, ja sogar die Produktionsmittel weisen meist beide Elemente auf, obgleich bei den Konsumgütern im Allgemeinen das Moment der Verschwendung, bei den Produktionsmitteln dasjenige des Nutzens vorherrscht. Selbst solche Artikel, die auf den ersten Blick dem bloßen Schein gewidmet sind, erlauben immer einen wenigstens angeblich nützlichen Zweck zu entdecken. Umgekehrt sind die Spuren der demonstrativen Verschwendung oder wenigstens die Neigung zu Glanz und Schein sowohl bei hochentwickelten industriellen Maschinen und Werkzeugen, als auch bei den primitivsten Arbeitsgeräten zu finden. Es wäre gewagt, zu behaupten, daß irgendein Gegenstand überhaupt keinen nützlichen Zweck habe, nur weil er in erster Linie der demonstrativen Vergeudung dient; und ebenso gewagt wäre umgekehrt die Behauptung, daß irgendeinem in erste Linie nützlichen Erzeugnis auch nicht die Spur von Verschwendung anhafte. 

    1) Potlatch heißt ursprünglich eine Zeremonie der Kwakiutl-Indianer, bei der ein Stammesmitglied Geschenke verteilt, um sein Ansehen zu vergrößern. Die Sitte verlangt, daß ihm diese Geschenke später einmal in doppeltem Wert zurückgegeben werden. Auf manchen dieser Feste zerstören die einander übertrumpfenden Rivalen auch ihr eigenes Hab und Gut. 

    Auszüge aus: Thorstein Veblen, Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen, Frankfurt a.M. 1986 [orig. 1899], S. 80–81, 84–85, 103–106.