Klaus Wolschner 

Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

www.medien-gesellschaft.de


II
Politik
und Medien

Versagen die Qualitätszeitungen?

Die Journalisten der renommierten politischen Zeitungen
spielen bei der Inszenierung der Politik mit

2014

Gerhard Schröders Äußerung, er brauche zum Regieren nur „BILD, BamS und Glotze“ (1999), scheint eine neue Realität auf den Punkt gebracht zu haben: Nur die beiden Springer-Illustrierten mit ihren hohen Auflagen und das Fernsehen als Leitmedium mit seinen unzähligen Programmen bestimmten die mediale politische Kommunikation.

Es schien immer mehr auf die bildgerechte und telegene Inszenierung einzelner Starpolitiker anzukommen. Durch den zunehmenden Einflusses der Medienlogik schien die Schere zwischen Herstellung und Darstellung immer weiter auseinander zu gehen.
Folge I: Symbolische Placebopolitik verdrängt politisches Handeln.
Folge II: Politikverdrossenheit.

„Die Sache hat nur einen Haken: Für den Zusammenhang zwischen Darstellung und Herstellung von Politik fehlen empirische Nachweise“, schreibt Frank Siebel in seiner Kritik am „Mythos der Amerikanisierung“. Dass die mediale Legitimationsabhängigkeit der Politik wächst, ist offenkundig. Ob damit Politik verdrängt wird, wäre die Frage. Die Frage sei, „welche Zusammenhänge zwischen der Wahlkampf- und Kampagnenkultur eines Landes, ihrer Diskurskultur und der politischen Problemlösungsfähigkeit des politischen Systems und der Gesellschaft bestehen“.

Das Fazit von Siebel: Gerade die „Qualitätszeitungen“ wie Süddeutsche (SZ) oder Frankfurter Allgemeine (FAZ), aber auch WELT, FR, taz und Spiegel haben eine dominierende Rolle für andere Zeitungen und für die Redaktionen der Öffentlich-Rechtlichen Rundfunksanstalten. „Die Zeitungen sind in hohem Maße in der Lage, Intermedia-Agenda-Setting-Effekte auszulösen, … auch für das TV. Ihnen wird darüber hinaus ein hoher Einfluss auf Meinungsführer zugebilligt, die Bedeutung ihrer Leitartikel und Kommentare ist enorm.“ Sie spielen damit indirekt für die Politik und die politische Kommunikation eine größere Rolle als das Fernsehen: „Die These von der alleinigen Allmacht des TVs geht damit an der Realität vorbei. Erklärungen moderner Politikvermittlung, die sich allein auf die Rolle des TVs stützen, sind unzureichend.“   

Journalisten verbringen mehrere Stunden ihres Arbeitsalltages damit, andere Medien zu lesen. Die bedienen sich da für die Themensuche, die Themenauswahl, die Recherche, die Bewertung und das eigene Hintergrundwissen. Vor allem erfüllt die SZ diese Funktion, gefolgt (für eher konservative und auch ältere Journalisten) von der FAZ.  Die SZ hat eine „professionelle“ Reichweite von fast 70 Prozent. Mehr als acht von zehn Redakteuren des öffentlich-rechtlichen Fernsehens lesen die SZ regelmäßig. FAZ und Bild kommen auf je 59 Prozent, die Welt auf 41 Prozent, FR auf 26 und die taz auf 23 Prozent. (Untersuchungen von 1995) Dieses massive Interesse an dem, was „die anderen“ schreiben oder wissen, wirft ein deutliches Licht auf eine allzu romantische Vorstellung von Recherche. „Investigativ“ sind die wenigsten der deutschen Journalisten unterwegs.
Siebel hat das Verhältnis politischen Inhalten (policies) und Inszenierung (politics) im Schröder-Stoiber-Wahlkampf 2002 analysiert und kommt zu dem Schluss, das auch die „Qualitätsmedien“ sich überwiegend mit den Fragen der Inszenierung befassen – genau die, die  immer wieder die Entpolitisierung der Wahlkämpfe anprangern. Siebel: „In der ersten Phase nach dem Wahlsieg 1998 arbeitete die SPD nach traditionell sozialdemokratischem Modus den „Wunschkatalog“ der Gewerkschaften (z.B. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsschutz) ab und erfüllte bestimmte Wahlversprechen, um dann ab Mitte/ Ende 1999 mit der Politik der „ruhigen Hand“ aufgrund der guten konjunkturellen Entwicklung sinkende Arbeitslosenzahlen vermelden zu können. Erst als die Zahlen schlechter wurden und die Wahlen 2002 näher rückten, änderte man den Kurs. Erst etwas zögerlich mit dem Job-Aktiv Gesetz und den Vorschlägen der Hartz-Kommission, dann schneller mit der Agenda 2010. Dennoch muss die Arbeitsmarkbilanz der ersten rot-grünen Regierung als äußerst schwach beurteilt werden.Dies ist umso erstaunlicher als andere sozialdemokratische Parteien in den Niederlanden, Großbritannien, Schweden und Finnland mit ähnlichen Problemen wie in Deutschland zu kämpfen hatten, aber auf dem Arbeitsmarkt wesentlich bessere Resultate erzielten.“
Aber die Frage, warum sozialdemokratische Partein in Skandinavien oder auch in den Niederlanden und Großbritannien mit „modernen“, eher marktliberalen Konzepten der Wirtschafts- und Sozialpolitik erfolgreicher auch auf dem Felde der klassischen Gewerkschafts-Themen waren, wurde im Wahlkampf auch in den Qualitätszeitungen nicht thematisiert. „Im Wahljahr 2002 hatte die SPD beim zentralen Thema Arbeitslosigkeit daher nicht viel vorzuweisen, was ihre Wiederwahlchancen lange schmälerte. Das Versprechen, die Arbeitslosenzahl auf bzw. unter 3,5 Millionen zu senken, hatte man nicht eingelöst.“

Die Wende im Wahlkampf kam mit der Oderflut und der amerikanischen Vorbereitung auf den Irak-Krieg. Gerhard Schröder gelang es, diese „Zufallsthemen mit sozialdemokratischen Werten wie Friedenssicherung und Solidarität zu verknüpfen und so das für ihn ungünstige Thema Arbeitsmarkt von der Agenda zu verdrängen“.  In groß inszenierten „TV-Duellen“ präsentierten sich die Kanzlerkandidaten auf der politischen Bühne - die „Qualitätszeitungen“ haben darüber als „Event-Kultur“ berichtet und sich auf die vordergründige Ebene der Inszenierung eingelassen, anstatt die Themen und die Aussagen der Kandidaten sachlich nachzuarbeiten.

„Die Kritik Edmund Stoibers an der rot-grünen Arbeitsmarktpolitik war aber solide, faktenreich und nachvollziehbar; bei der Darstellung eigener Konzepte war dies nicht immer der Fall. Hier brachte Stoiber erst im Bundestag mehr eigene Vorschläge. Schröders einziger Trumpf war die Hartz-Kommission, als Grund für die schlechte Bilanz führte er immer wieder weltwirtschaftliche Verwerfungen an. Ansonsten versuchte er das Thema so gut es ging zu verdrängen. Als echter inhaltlicher Bezugspunkt zum Thema Arbeitslosigkeit spielten die insgesamt drei Rededuelle für die Zeitungen eine untergeordnete Rolle, besonders für die SZ. Politische Einordnungen und Analysen waren im Politikteil beider Zeitungen sehr selten.“ Nach Meinungsumfragen wurde in der Bevölkerung der Arbeitslosigkeit eine um ein Vierfaches größere Bedeutung im Vergleich zum Irakkrieg zugemessen. Insgesamt, so das Fazit von Siebel, war die Informationsleistung unzureichend, in den Kommentaren wurde das fehlende Argument durch starke Gesinnung kompensiert.

„Deutlich zu erkennen war damit das prekäre Rollenverständnis der Journalisten, selbst Politik zu machen sowie bestimmten Meinungen und Positionen Publizität verschaffen zu wollen. Und zwar nicht nur im Kommentarteil, sondern auch im Nachrichtenteil. Dies ist besonders prekär, werden doch die Leser zum Teil getäuscht, weil sie im Nachrichtenteil objektive und ausgewogene Informationen erwarten.“

Die Zeitungen haben auch wenig dazu beigetragen, die in den TV-Shows vorgetragene politische Kommunikation mit Information und einer kritischen Analyse zu hinterfragen und aufzuklären. Siebel sieht darin die Tradition des „Gesinnungsjournalismus“, wie er in den 1920-er Jahren bei den parteilich geprägten Tageszeitungen üblich war. „Die Klagen über eine angebliche Amerikanisierung deutscher Wahlkämpfe dienen der Inszenierung der eigenen Rolle gemäß normativer Erwartungen der Unabhängigkeit und kritisch-distanzierten Analyse, die aber in der Berichterstattung selten eingelöst werden.“ Auch die Qualitätszeitungen haben die Parteien „stärker anhand ihrer Kommunikations- und Machtkompetenz und weniger anhand ihrer politischen Kompetenz“ gemessen.

Darin kommt das Rollenproblem der Journalisten zum Ausdruck: „Wenn Journalisten sich noch immer als Teil des (partei-) politischen Systems verstehen, dann haben sie auch an der zentralen Logik der Politik, nämlich Machtfragen, ein starkes Interesse. Und als Kommunikationsexperten haben sie natürlich ein besonderes Interesse an Macht- und Legitimationsfragen, die die Wahlkampfkommunikation betreffen. (…) In Sendungen wie dem Presseclub inszenieren sich auch Journalisten der Qualitätszeitungen als kritische, überparteiliche und unabhängige Politikexperten, die strikt am Gemeinwohl orientiert sind. Dies findet in den Kommentaren aber kaum einen Niederschlag. (…)  Die Inszenierungsleistung der Politik (wird) zur Basis der eigenen Inszenierung.“ (Siebel)

    Lit.:
    Frank Siebel, Mythos von der Amerikanisierung. Über die Leistungen und die zwiespältige Rolle von Qualitätsmedien in mediatisierten Wahlkämpfen (2007
    )