Klaus Wolschner

Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

www.medien-gesellschaft.de


II
Politik
und Medien

Über traditionelle Herrschafts-Kommunikation
und neue Formen der
Medien-Demokratie:
Wenn der Pöbel
online kommt

POP 55

ISBN: 978-3-752948-72-1
Über den Buchhandel oder direkt beim Autor 
klaus(at)wolschner.de

Über die
Mediengeschichte der
Schriftkultur und ihre
Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion
im  Jahrhundert des Auges

2 VR Titel

ISBN 978-3-7375-8922-2
im Buchhandel
oder beim Autor 
klaus(at)wolschner.de

Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne

2 GG Titel

ISBN 978-3-746756-36-3
über den  Buchhandel
oder beim Autor
  klaus(at)wolschner.de

Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen

2 AS Cover

ISBN 978-3-7418-5475-0
über den Buchhandel
oder beim Autor
 
klaus(at)wolschner.de

Die politische Elite
zwischen „Pöbel“ und Zivilgesellschaft

Zur Geschichte von Medien und Demokratie-Theorie im 20. Jahrhundert

2020/POP 12+14+tw17

Die Regierungen und Herrschaftshäuser haben im 19. Jahrhundert lernen müssen, die Stimmungslagen der Volksmassen, die sie als „Pöbel“ verachteten, genauer zu beobachten, um diese beeinflussen und notfalls Rücksicht nehmen zu können. Die Intellektuellen widmeten sich dem Phänomen der „Masse“. Die Medien spielten im beginnenden 20. Jahrhundert noch keine eigenständige Rolle in den Überlegungen der Soziologen zur Demokratie, trotz Gabriel Tarde und obwohl der aufmerksame Max Weber schon auf dem ersten Deutschen Soziologentages 1910 bemerkt hatte: „Denken Sie sich die Presse einmal fort, was dann das moderne Leben wäre, ohne diejenige Art der Publizität, die die Presse schafft". 

Die Eliten entdecken die „Masse“

In Paris beschrieb Gustave Le Bon 1895 eine Veränderung der Machtkonstellationen: Die „Macht der Masse“ beherrsche das politische Geschehen der Zukunft, so seine Beobachtung: „Die Stimme des Volkes hat das Übergewicht erlangt. Sie schreibt den Königen ihr Verhalten vor. In der Seele der Massen, nicht in den Fürstenberatungen bereiten sich die Schicksale der Völker vor.“

In Italien formulierte 1895 der Soziologe Gaetano Mosca in seinen   „Elementi di scienza politica", die Macht werde von der „classe politica" ausgeübt, einer organisierten Minderheit. Für Zeitgenossen war es selbstverständlich, dass diese „classe“ aus einzelnen Familien bestand. Als „demokratische Tendenz" bezeichnete Mosca die Beobachtung, dass einzelne Individuen aus der nicht-herrschenden Klasse in die politische Klasse aufsteigen konnten – die quasi-adeligen Familien müssten offen sein, die Aufsteiger zu integrieren, forderte er.
Mosca verwarf die Idee einer Herrschaft der Mehrheit durch ihre „Repräsentanten“ mit dem Argument, eine echte Wahl von Repräsentanten sei eine „lächerliche Fiktion": Wenn „...jeder Wähler dem Mann seines Herzens seine Stimme gäbe, dann entstünde nichts als eine grenzenlose Stimmenzersplitterung". Die Chance, gewählt zu werden, habe nur derjenige, der „von einer Gruppe, einem Komitee, kurzum von einer organisierten Minderheit aufgestellt" werde.

Vilfredo Pareto ergänzte 1916 in seinem „Trattato di sociologia generale” die Beobachtungen von Mosca durch die Feststellung, dass es verschiedene Gruppen der Elite gebe, zwischen denen es zu einer „circulation des elites“ kommen könne. Die Geschichte könne als ein „Friedhof von Eliten" beschrieben werden, formulierte Pareto. Gegenüber demokratischen Bindungen der Elite war er skeptisch, was den italienischen Faschisten ermöglichte, ihn als einen ihrer geistigen Vorläufer anzusehen.

Ungleichzeitigkeit der Demokratie-Erfahrung am Beispiel Bremen

Das war die Zeit, in der die europäischen Gesellschaften auf dem Weg zur Moderne und zu demokratischen Regierungsformen ihre spezifischen Erfahrungen mit der Rolle der Massen machten.
In der Hansestadt Bremen etwa regierte die örtliche Kaufmannschaft mit einem strikten kommunalen Acht-Klassen-Wahlrecht, das sie verbissen gegen den zunehmenden Einfluss der Sozialdemokratie verteidigte. 297 Wähler der „4. Klasse" hatten da soviel Stimmgewicht wie 17 Kaufleute, Gewerbetreibende oder „Wähler mit akademischer Vorbildung". Frauen waren selbstredend völlig vom Wahlrecht ausgeschlossen. Im Deutschen Reich galt seit 1871 das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht für Männer über 25 Jahren.
So war die politische Öffentlichkeit in Bremen gespalten - auf der ersten Seite berichteten die wichtigen Bremer Zeitungen beinahe täglich von dem Parteienstreit im Reich, auch die liberalen Blätter kritisierten das preußische Dreiklassenwahlrecht, das den Bremer Honoratioren aber schon zu weit ging. Sieben Wahlkämpfe erlebte Bremen zwischen 1900 und 1913 - drei mit allgemeinem Wahlrecht für den Reichstag und vier mit dem bremischen Acht-Klassen-Wahlrecht.
Die Angst der Kaufleute war konkret: Liberale und Sozialdemokraten arbeiteten bei den Reichstagswahlen zusammen. 1907 war die auf dem Hintergrund der raschen Industrialisierung wachsende Sozialdemokratie in Bremen knapp den Liberalen noch unterlegen, 1912 gewann der Sozialdemokrat Alfred Henke die Reichstagswahl und vertrat die Bremer Bevölkerung somit in Berlin.
Der Historiker Andreas Schulz vermutet einen Zusammenhang zwischen der konservativen Abwehrhaltung des Bremer Senats und der Radikalität der Bremer Sozialdemokratie insbesondere dann in der Novemberrevolution: Die Arbeiter- und Soldatenräte schlossen im November 1918 die Bremer Kaufleute von der Wahl zu „ihren" Gremien der Räterepublik genauso aus wie die Bremer Honoratioren aus „ihrer” Bürgerschaft das einfache Volk vor 1913 ausgeschlossen hatten. Die Räterepublik scheiterte bekanntlich, weil die Bremer Banken dem „Rat der Volksvertreter" keinen Kredit geben wollten.

Plebiszitäre Führerdemokratie, Öffentlichkeit und die Wahl der Elite

Max Weber

Der deutsche Soziologe Max Weber hat die zeitgenössische Diskussion zu einer Theorie über die Rolle der Elite in einer Demokratie weiterentwickelt. Er war ein „Herzensmonarchist“ gewesen, der 1918 den neuen Staat als „Vernunftrepublikaner“ unterstützte nach dem Diktum von Friedrich Meinecke. Noch 1908 hatte Weber in einem Brief an Robert Michels geschrieben: „Solche Begriffe wie ‚Wille des Volkes’, wahrer Wille des Volkes existieren für mich schon lange nicht mehr, sie sind Fiktionen (unterstr. Weber). Es ist gerade so, als ob man von einem Willen der Stiefelkonsumenten reden wollte, der für die Art, wie der Schuster seine Technik ausrichten sollte, maßgeblich sein müsse! Die Schuhkonsumenten wissen zwar, wo sie der Schuh drückt, aber niemals wie er besser gemacht werden sollte.“ 1919 schrieb er, eine Massendemokratie bedürfe einer starken Führung, und plädierte deshalb für eine plebiszitäre „Führerdemokratie“. Demokratische Führer würden aufgrund ihres Charismas gewählt – und bei Verlust des Charismas eben abgesetzt. 

Hans Kelsen

Der 1881 in einer jüdischen Familie in Prag geborene Hans Kelsen hat als Staatsrechtslehrer 1919 wesentlichen Einfluss genommen auf die Formulierung der Verfassung für die „Republik Deutschösterreich“. Seine Vorstellung von Demokratie war deutlich moderner als die etwa von Max Weber.  Er hat in seiner „Allgemeinen Staatslehre“ (1925) den „Relativismus“ in weltanschaulichen Fragen zur Grundlage des demokratischen Zusammenlebens erklärt:  Der „demokratische Gedanke“ setze die Feststellung voraus, dass niemand über die „absolute Wahrheit“ verfügt und man daher  „auch die fremde, gegenteilige Meinung zumindest für möglich halten“ müsse.  Keine Führerfigur könne jemals im Besitz der absoluten Wahrheit sein. Eine Demokratie war für ihn nur als Parteienstaat denkbar, Volksvertreter als „Repräsentanten“. Denn in modernen Großstaaten sei wegen der „Kompliziertheit der sozialen Verhältnisse" eine unmittelbare Demokratie wie in der antiken Polis „praktisch unmöglich“, Volksvertreter könnten nur Repräsentanten sein.  Mehrheitsbeschlüsse seien nicht als Addition der Meinung der Individuen zu begreifen. Interessen müssten sich bündeln und auf der Ebene der Repräsentanten als Gruppenbildung erscheinen. In seiner 1920 erschienen Schrift „Vom Wesen und Wert der Demokratie“, überarbeitet 1929, hat  er formuliert: „Nur Selbsttäuschung oder Heuchelei kann vermeinen, dass Demokratie ohne politische Parteien möglich sei. Die Demokratie ist notwendig und unvermeidlich ein Parteienstaat  (Kelsen 1929, 20) In seiner Arbeit „Hauptprobleme der Staatsrechtslehre“ (1923) kritisierte Kelsen das alte Verständnis vom Gemeinwohl, das sich im Staat verkörpern solle: „Es gibt eben überhaupt kein ‚Gesamtinteresse‘, sondern immer nur Gruppeninteressen“, und im besten Falle finde eine „Resultante all dieser zusammenwirkenden Kräfte im Staatswillen ihren Ausdruck“. Der „Staatswille“ sei eine „normative Konstruktion — nichts was mit einem sozialpsychologischen Gesamtwillen auch nur das geringste zu tun hätte“.
Für Kelsen war der Kompromiss das Wesen der Demokratie: „Die Demokratie ist die politische Form des sozialen Friedens, des Ausgleichs der Gegensätze, der gegenseitigen Verständigung auf der mittleren Linie“, hielt er den kompromisslosen Verfechtern des Sozialismus 1932 in seiner „Verteidigung der Demokratie“ entgegen. Das Scheitern der Demokratie 1934 in Österreich sah er folglich in der Kompromisslosigkeit der politischen Parteien und ihrem Unwillen zur Kooperation. Der österreichischen bürgerlichen Elite, die meinte, sie könne sich mit Hitler die Sozialisten vom Leib halten, hielt er entgegen:  „Die Intellektuellen, die heute gegen die Demokratie kämpfen und damit den Ast absägen, auf dem sie sitzen, sie werden die Diktatur, die sie rufen, wenn sie erst unter ihr leben müssen, verfluchen, und nichts mehr ersehnen als die Rückkehr zu der von ihnen so verlästerten Demokratie.“
In den ersten Jahren hatten die konservativen christlich-sozialen Kräfte in Österreich eine große Koalition mit den Sozialisten gebildet und damit auch die bewaffneten Verbände von rechts und links unter Kontrolle gehalten. Die Presse blieb allerdings parteipolitisch polarisiert und eher anti-republikanisch. Die Aufkündigung der Politik der Kompromisse und schließlich 1934 die Weltwirtschaftskrise führten zum Verbot sozialistischer Verbände und zur Machtergreifung des „Austrofaschismus“ unter Engelbert Dollfuß, was die sozialdemokratischen „Heimatschutzverbände“ mit der Besetzung symbolische Orte wie des Wiener Karl-Marx-Hofes nicht verhindern konnten. Nach vier Jahren erfüllte Hitler die alte österreichische Sehnsucht nach Anschluss an das Deutsche Reich.

Walter Lippmann - Propaganda, Öffentlichkeit, „Public Relations“

Eine erste kritische Analyse der Strukturen (demokratischer) Öffentlichkeit formulierte der einflussreiche amerikanische Journalist Walter Lippmann („Public Opinion",1922), ein Kind jüdischer Eltern deutscher Herkunft. Nicht das „Volk“ würde herrschen, schrieb er, sondern eine Elite. In Propaganda und Massenpsychologie sah er eine Gefahr für die Demokratie und für die liberalen Grundlagen der Gesellschaft, daher dachte er über Strukturen unabhängiger Experten nach, die die Öffentlich aufklären sollten, sie sollten dem Gemeinwohl und den Stimmlosen verpflichtet sein in einer auf Sensationen und Skandale ausgerichteten Öffentlichkeit: „He (the expert) is there to represent the unseen. He represents people who are not voters, functions of voters that are not evident, events that are out of sight, mute people, unborn people, relations between things and people“.
Denn „die Öffentlichkeit“ sei zum Spielball einflussreicher Interessengruppen geworden. Die soziale Realität sei zu komplex für die kognitive Kapazität des Einzelnen, in den Köpfen der Menschen gäbe es eine „Pseudo-Umwelt“, beeinflusst durch die journalistische Vermittlung politischer Ereignisse und Propaganda.
Öffentliche Meinung wird durch „Stereotype“ konstruiert: Die Pseudowelt der Menschen besteht aus „Symbolen“, „Images“, „Fiktionen“, Denkschemata. Lippmann versucht mit solchen Wortprägungen die medial erzeugte Wirklichkeit von  der Wirtlichkeit zu unterscheiden. Gute Stereotype sind solche, bei denen jeder weiß, worum es geht. Stereotype vermitteln Konformität in der öffentlichen Meinung. 
Lippmann wusste, wovon er sprach. 1917 hatte er unter Präsident Wilson das „Committee on Public Information“ (CPI) konzipiert - allerdings als sachliche Informationsstelle. Der PR-Spezialist und Propaganda-Befürworter Edward Bernays baute das CPI mit Spezialisten aus Journalismus, Werbeindustrie und Filmbranche und dutzenden Büros zu der ersten großen modernen Werbeagentur in der Geschichte der USA aus, um in der amerikanischen Bevölkerung den Kriegseintritt populär zu machen. In den 18 Monaten der amerikanischen Beteiligung am Ersten Weltkrieg haben hielten 75.000 freiwillige Redner („Four Minute Men“) – insbesondere in Kinos, in denen es beim Wechsel der Filmrollen eine entsprechende Unterbrechung gab - über 750.000 vier Minuten kurze Reden zur Kriegspolitik in 5.200 Orten in den USA.

Edward L. Bernays

Ein Miststreiter von Lippmann im CPI war Edward L. Bernays, ein in Wien geborene Neffe von Siegmund Freud. Er war kein Theoretiker wie Lippmann, sondern ein Pragmatiker. Wenn etwas funktioniert, dann liegt darin Wahrheit, das war seine Überzeugung. Und die Kampagne hatte funktioniert. Während Lippmanns mit der Melancholie des desillusionierten Sozialisten über seine CPI-Erfahrung nachdachte und er sich in seinem Buch auf mehr als 200 Seiten an der Komplexität des Problems abarbeitete, kennt Bernays keine unnötige Problematisierung: „Wenn viele Menschen möglichst reibungslos in einer Gesellschaft zusammenleben sollen, sind Steuerungsprozesse dieser Art unumgänglich. (…) Ob es uns gefällt oder nicht.“
1928 veröffentlichte er sein Credo, Titel des vergleichsweise kurzen Buches: „Propaganda“. Das Wort war im Englischen (wie im Deutschen) bis zum Ersten Weltkrieg kaum bekannt, obwohl Papst Gregor XV. schon 1622 eine seine „Congregatio de Propaganda Fide“ gegen den sich verbreitenden Protestantismus genannt hatte. Schon antike Herrscher haben versucht, mit „Propaganda“ Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen. Michail Bakunin hatte 1870 die anarchistische Propaganda der Tat begründet -  Attentate für die (mediale) Öffentlichkeit.
Da das Wort einen schlechten Beigeschmack hatte, erfand Bernays dafür den Euphemismus „
public relation“, PR. „Public Relation“ traf viel besser, worum es ihm dabei ging, nämlich um öffentlichen Beziehungen.  „Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften“, davon war Bernays überzeugt. Er hatte ein Gespür für die Komplexität der Gesellschaft: „Wird ein Nerv des Organismus ’Gesellschaft’ an einem sensiblen Punkt gereizt, wird automatisch eine Reaktion bei bestimmten anderen Elementen dieses Organismus hervorgerufen.“ Und „je komplexer unsere Zivilisation wird“, desto deutlicher zeige sich, „wie nötig die im Hintergrund arbeitenden Führungsinstanzen sind“. Es sei „in der Praxis kaum möglich“, dass die einzelnen Menschen „sich mit jedem komplexen ökonomischen, politischen und ethischen Zusammenhang auseinandersetzen oder gar eine eigene Position dazu beziehen“, die meisten Menschen würden also ihre Meinung „von den Meinungsführern und den Medien“ übernehmen, das seien es „Priester, berühmte Schriftsteller oder einfach prominente Vertreter“. 
Bernays wusste aus seiner praktischen Erfahrung, dass nicht vernünftige Gedanken, sondern Gefühle und Bilder in den Köpfen der Massen wirken. Des Volkes Stimme sei nicht von erhabener Weisheit beflügelt, formulierte Bernays 1928, sondern „Ausdruck des Volksempfindens“, die Volksmeinung setze sich zusammen aus „überlieferten Vorurteilen, Symbolen und Klischees und den griffigen Sprüchen, die die Anführer dafür gefunden haben.“ Dabei sah er „die Öffentlichkeit“ als Struktur von „einander überlappenden Gruppen - ökonomische, soziale, religiöse, kulturelle, rassische, schulische, regionale, sportliche Gruppen und Hunderte andere mehr.“ Die jeweiligen „Schlüsselpersonen aller gesellschaftlichen Gruppen“ beeinflussen die Menschen, weniger die Medien direkt. (Paul Lazarsfeld nannte das knapp 20 Jahre später „opinion leaders“.) Propaganda müsse daher die Meinungsführer ansprechen und über die „Untergruppen“ den „Zugang zur Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit finden“. Bernays kannte die Diskussion über die Psychologie der Masse und die Gedanken seines Onkels Siegmund Freud. Der hatte 1921 in seinem Buch  über
Massenpsychologie und Ich-Analyse die Aussage Wilfred Trotters (1916) zitiert, „der Mensch sei ein Herdentier“, und korrigiert: Der Mensch sei „vielmehr ein Hordentier, ein Einzelwesen einer von einem Oberhaupt angeführten Horde“. Bernays dazu: „Das Handeln des Menschen in der Gruppe wird bestimmt von Gefühlen und Beweggründen, die mit den Ansätzen der Individualpsychologie nicht erklärt werden können.“
Das  „Committee on Public Information“ hatte den Kriegseintritt der USA unter dem Slogan: „Make the world safe for democracy“ populär gemacht. Die Betonung auf „Information“ entspricht dem aufklärerischen Impetus von Lippmann. Bernays nannte seine Arbeit ausdrücklich „psychologische Kriegsführung“.  Nach dem Krieg bot er verschiedenen Firmen an, seine Erfahrungen aus der Arbeit des CPI für den Verkauf ihrer Produkte zu nutzen.
Den PR-Strategien von Bernays wird zugeschrieben, dass die Zigarette als „Fackel der Freiheit“ empfunden wird und dass der US-Amerikanische Kriegseintritt 1917 als Fortsetzung seiner Politik der Neutralität verkauft wurde. Bernays ist der Erfinder des „american breakfast“ mit „bacon and eggs“ – im Interesse der Schinkenfabrikanten. Bernays beriet die Seidenindustrie, in der Werbung darauf zu setzen, dass Kleider nicht nur der Bekleidung dienen, sondern eben auch dem Ego. In einer Welt der anonymen Warenwirtschaft, in der der Austausch nicht mehr als Verhältnis zwischen zwei Familien verstanden wird, können die Kunden durch eine emotionale Bindung für ein bestimmtes Produkt gewonnen werden.
Dass man die Propaganda auch missbrauchen kann, erläuterte der Jude Bernays am Beispiel Adolf Hitlers.

José Ortega y Gasset

Wie klug Bernys die Gesellschaft beobachtet hat, wird zum Beispiel im Vergleich zu dem spanischen Philosophen José Ortega y Gasset (1883 - 1955) deutlich. Gasset, der sechs Jahre im kaiserlichen Deutschland studiert hatte, schrieb sein Buch „Der Aufstand der Massen“ (La rebelión de las masas) 1929 unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise. Sein Verständnis der Urbanisierung und Industrialisierung ist eher schlicht: „Die Städte sind überfüllt mit Menschen, die Häuser mit Mietern (…) Was früher kein Problem war, ist es jetzt unausgesetzt: einen Platz zu finden.“ Er beobachtet, dass „durchschnittliche Mensch“ sich wohlfühlt, wenn er merkt, dass er wie alle anderen ist: „Dies ist das Zeitalter der Strömungen und des Mitgerissenseins“, oder an anderer Stelle:  „Die Masse vernichtet alles, was anders, was ausgezeichnet, persönlich, eigenbegabt und erlesen ist. Wer nicht ‚wie alle‘ ist, wer nicht ‚wie alle‘ denkt, läuft Gefahr, ausgeschaltet zu werden.“
Die Frage, ob das nicht immer so war, stellt er nicht.  Im Blick auf den „Massenmenschen“ wiederholt Gasset schlichte aristokratische Ressentiments: Der Massenmensch genieße Vergnügungen, die einst der Elite vorbehalten waren, er verweigere der Elite Gefolgschaft und Respekt. Das alles sei Folge der Idee, dass alle Menschen durch Geburt gleich wären und die gleichen politischen Rechte hätten, Menschen- und Bürgerrechte.
Durch Zeitungen und Film würde für die Nahes und Fernes zusammenwachsen, die Nachrichten von neuen wissenschaftlichen Entdeckungen oder sportlichen Rekorde würden den Menschen eine steigende Leistungsfähigkeit zeigen. Das Leben erscheint schneller und intensiver, die Menschen genießen das mit Selbstbewusstsein und einem stolzen Lebensgefühl. Sie wollen nur die fertigen Produkte genießen, hätten aber keinen Ehrgeiz, selbst als Physikern, Chemikern und Biologen Produkte zu entwickeln. Gleichzeitig wirft Gasset Ärzten, Ingenieuren und Finanziers vor, die dümmsten Ansichten zu äußern, wenn sie über Politik, Kunst oder Religion reden, sie seien wichtige Stützen der Massenherrschaft.
Faschismus, Bolschewismus und Syndikalismus sind für ihn neue, höchst beunruhigende Phänomene der Massenherrschaft. Anfang der 1920er Jahre sei das Volk theoretisch der Souverän geworden, hatte aber nur zwischen verschiedenen Programmen der Eliten zu wählen. Am Ende der 1920er Jahre beobachtet Gasset, dass die Massenmenschen das politische Ideal der „Demokratie“ in die Tat umsetzen wollen. Der Mensch brauche eine Autorität und finde sie in dem von einer Elite geführten Staat, beim Verfall des Staates unter dem Ansturm der Massenmenschen fürchtet Gasset aber nicht den „Untergang des Abendlandes“, sondern zaubert er die Idee von „Vereinigten Staaten von Europa“ aus dem Hut, die Europäer müssten sich auf ihre Gemeinsamkeiten besinnen. Wieso die national denkenden Eliten, die in ihren eigenen Ländern an Einfluss verlieren, sich auf eine die Zukunftsvisionen eines mächtigen europäischen Nationalstaates verständigen sollten und damit dann noch die „Massenmenschen“ gewinnen, bleibt in Gassets Buch „Aufstand der Massen“ vollkommen offen.
Der Erfolg des Buches lässt sich nur damit erklären, dass er die ihm offenkundig unverständliche Welt auf die schlichte Polarität von Elite und Masse reduziert und das in einem anspruchsvoll klingenden soziologischen Essay ausbreitet. Die schwierige Wirklichkeit auf eine einfache Weltsicht zu reduzieren war immer schon populär.

Joseph Alois Schumpeter

An der Harvard University beschäftigte sich ein anderer ausgewanderter gebürtiger Österreicher, Joseph Alois Schumpeter, mit dem Verhältnis von Elite und Volk in einer repräsentativen Demokratie, 1939 erschien sein Werk über „Capitalism, Socialism and Democracy" (dt. 1942). Darin heißt es: „Ohne führende Hand, gleichsam sich selbst überlassen, verfielen die Parteien sofort in die alte Gewohnheit, ihre radicalen Phrasen aufzusagen." Die Masse sei gekennzeichnet durch „ein vermindertes Verantwortungsgefühl, ein tieferes Niveau der Denkenergie und eine größere Empfänglichkeit für nicht-logische Einflüsse". 
Auch unter dem Eindruck der populistischen Erfolge von Kommunisten und Faschisten kritisiert Schumpeter die Vorstellungwelt von „Gemeinwohl“ und „Gemeinwillen“, eine solche ideologische Stilisierung der Demokratie sei nur ein Religionsersatz. Die  Realität sei ein Tummelplatz von heterogenen und inkonsistenten Interessen. Der amerikanische Politikwissenschaftler Robert A. Dahl bildete dafür später ein neues Wort: „Polyarchie“, also Vielherrschaft. Er sprach er sich grundsätzlich gegen partizipatorische Elemente der Demokratie aus und meinte, „Volksherrschaft“ dürfe sich nur auf den Akt der Auswahl der Führung beziehen. Wenn eine Führung den Sieg im Konkurrenzkampf um freie Stimmen davontrüge, erweise sich dabei, dass die siegreichen Personen im Kampf um die Macht den „Demos" hinter sich zu bringen in der Lage seien: „Die demokratische Methode ist diejenige Ordnung der Institutionen zur Erreichung politischer Entscheidungen, bei welcher Einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfes um die Stimmen des Volkes erwerben.“ Der amerikanische Politikwissenschaftler Robert A. Dahl bildete dafür später ein neues Wort: „Polyarchie“, also Herrschaft von mehreren. Politische Repräsentanten vollziehen nicht den Willen des Volkes, sie sollten aber im Sinne der Interessen der Bevölkerung handeln.

Karl Raimund Popper

Das Scheitern der Demokratie im Europa der 1930er Jahren führte zu einer Reihe neuer Überlegungen, die Ziele der Demokratie bescheidener und damit realistischer zu formulieren. Der nach Neuseeland emigrierte Wiener Philosoph Karl Raimund Popper schrieb dort sein Buch über die „Offene Gesellschaft und ihre Feinde“, erschienen im englischen Original 1945. Utopien über eine ideale Gesellschaft sind menschenfeindlich, meinte er, weil sie dazu benutzt werden, konkrete Bedürfnisse und Probleme einzelner Menschen für Machtpolitik zu missbrauchen. Es sei besser, eine „schlechte demokratische Politik auszuhalten“ als „sich einer Tyrannei, sei sie auch noch so weise und wohlwollend, zu unterwerfen“. Das politische Denken, so Popper, solle davon ausgehen, dass Regierungen schlecht sind, die Frage sei: „Wie können wir politische Institutionen so organisieren, dass es schlechten oder inkompetenten Herrschern unmöglich ist, allzu großen Schaden anzurichten?“ Es sei müßig, zu überlegen, „was ,Demokratie' ,wirklich' oder ,ihrem Wesen nach' bedeutet“ und was „Herrschaft des Volkes' heiße. Der entscheidende Unterschied zur Tyrannei sei, dass in einer Demokratie „wir uns ohne Blutvergießen, zum Beispiel auf dem Wege über allgemeine Wahlen, (der Regierung) entledigen können“. Demokratische Politik könne aber nichts anderes sein als ein ständiges Herumwursteln, ein „piecemeal social engineering“.  Im Sinne von Popper prägte Winston Churchill die vielzitierte Wendung: „Indeed, it has been said that democracy is the worst form of government except all those other forms that have been tried from time to time.“ (1947)
Popper lehnte die Hegel-Marxsche Dialektik als Dogmatismus ab, Hitler wie Stalin, so Popper, standen auf den Schultern solcher von „orakelnden Philosophen“ wie Hegel, Marx - oder Platon. Die Politik der großen Visionen führe letztlich zu menschenverachtenden Zwangsmaßnahmen. Als Wissenschaftstheoretiker hatte Popper einen radikalen Empirismus vertreten, eine Philosophie der Bescheidenheit: alles Wissen sei im Grunde „Vermutungswissen“, „kühnes Raten“. Die Erfahrung der totalitären Großexperimente bestätigten diese Haltung für die Politik: Es gehe darum, aus Fehlern zu lernen, meinte Popper, „Fehler zu vertuschen ist deshalb die größte intellektuelle Sünde.“ Der  realistische Politiker sei ein „Stückwerk-Ingenieur“.

Paul F. Lazarsfeld

Der österreichisch-amerikanische Soziologen Paul Felix Lazarsfeld hat in seiner Studie „The People‘s Choice“ (1940) die Erfahrung empirisch untermauert, dass  die sozialen Gemeinschaften, in denen Menschen direkt eingebunden sind, größeren Einfluss auf ihre Meinungsbildung haben als Propaganda und Information durch ihnen fremde technische Medien: Massenmedien wirken vor allem, wenn sie die Aufmerksamkeit und Zustimmung von Meinungsführern (opinion leaders) erlangen, die die Nachrichten dann im Kontext ihrer weltanschaulichen Wertegemeinschaft weitergeben. Meinungen sind oft weniger vernunftgegründet als vielmehr sozialpsychisch motiviert: „In the last analysis, more than anything else people can move other people." Massenmedien spielen eher die Rolle, latente Werthaltungen zu aktivieren oder zu verstärken. Öffentlicher Meinungen können nicht als Summe individuell und rational gebildeter Meinungen verstanden werden, sondern nur im Netzwerk unmittelbarer Sozialbeziehungen.

Anthony Downs beschäftigte sich stärker mit der Bedeutung der Publizität und der Kommunikation für die Demokratie. Wenn demokratische Wähler eine rationale Wahl treffen sollen, d.h. eine für sie vorteilhafte Entscheidung zugunsten der regierenden oder oppositionellen Partei, dann können sie das nur auf Basis von Informationen.

Demokratiekritik in der frühen Bundesrepublik

In den vermeintlich „goldenen“ frühen Jahren der Bundesrepublik, in der Zeit des  „Wirtschaftswunders“, gab es eine äußerst kritische akademische Diskussion über die neue Demokratie, in der das mangelnde politische Interesse der Bevölkerung erklärt werden sollte.

Politikwissenschaftler misstrauten den „amerikanischen“ Phänomenen der Lobby-Verbände und der Meinungsumfragen. Mitte der 1950er Jahre warnte Wilhelm Hennis davor, dass Meinungsumfragen die verfassungsgemäßen Repräsentanten zu beeinflussen drohten, weil doch der Masse der Befragten der Sachverstand fehle. Der Staatsrechtler und Politikwissenschaftler Theodor Eschenburg war einer derjenigen, die vor einer „Herrschaft der Verbände“ warnte, weil auch sein Demokratie-Modell auf dem Ideal des unabhängigen Staatsmannes aufbaute. Solche Ideen sind allerdings immer Ideologie, Politik war immer interessengebunden gewesen.

Theodor Eschenburg zum Beispiel, einer der Begründer der Politikwissenschaft in der jungen Bundesrepublik, beschrieb die „Herrschaft der Verbände“ (1955)  als Schwächung des Staates. Er beklagte den Einfluss nicht demokratisch legitimierter gesellschaftlicher Akteure und die dominante Stellung von Parteien und Verbänden im bundesrepublikanischen Staat. Eschenburg bezeichnet die Bundesrepublik als „Gefälligkeitsstaat“, die Parteien seien sich einig darin, dass die Interessen der von ihnen vertretenen Bevölkerungsgruppen bedienen müssten. In dem normativen Maßstab seiner Kritik schwingt noch das Idel des starken Staates aus der NS-Zeit mit, in der er ein kollaborierender Mitläufer - aus Opportunismus, wie er selbst später selbstkritisch sagte.

Die Parlamente haben dabei natürlich die Lobbyisten angezogen, seitdem sie ein Machtfaktor wurden. Der „Centralverband Deutscher Industrieller“ (1876) zum Beispiel oder der Bund Deutscher Landwirte (1893) waren solche Verbände, die in dem neuen Nationalstaat die Interessen ihres Berufsstandes vertraten. Unter dem Begriff der „sozialen Marktwirtschaft“ propagierte die CDU die Berücksichtigung insbesondere der gewerkschaftlichen Verbände in der Bundesrepublik Deutschland geradezu als Markenzeichen der neuen Demokratie. 

Auch Werner Weber, ein einflussreicher konservativer Staatsrechtslehrer, kritisierte den Einfluss von Parteien, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Kirchen als „System der Oligarchien“. Diese Oligarchien kontrollierten auch die öffentliche Meinung. Eine demokratische Meinungs- und Willensbildung sei nicht mehr möglich, das politische Geschehen zudem zu komplex und undurchsichtig.  Dies interpretierte Weber als eine neue pluralistische Form der freiheitlichen Gewaltenteilung: Das Volk sehe sich „einem unklaren, ungreifbaren, höchst geheimnisvoll ineinander verschachtelten Pluralismus politischer Einflussträger gegenüber, den es ratlos und innerlich fremd geschehen lässt“.  Das Volk werde zufrieden und ruhig gestellt mit einem „Versorgungs-, Ausgleichs- und Betreuungsapparat“.
Auch Weber, der von Carl Schmitt beeinflusst war, war ein aktiver Nazi gewesen - am 1. Mai 1933 war er Mitglied der NSDAP geworden, aber später in gewissen Konflikt mit dem Regime geraten. In der Bundesrepublik schnell entnazifiziert und war lange Jahre Mitglied des Staatsgerichtshofes der Freien Hansestadt Bremen.

Auch Jürgen Habermas beschäftigte sich 1961 in seinem Aufsatz „Über den Begriff der politischen Beteiligung” mit dem „Sozialstaat, der wesentlich vorsorgt, verwaltet und verteilt“. Der Bürger werde zu einem politisch passiven Konsumenten, unterhalten von der kulturindustriellen Propaganda der Massenmedien. 

Der Wohlfahrtstaat steht auch im Zentrum in Siegfried Landshuts Analyse der „Wandlungen der parlamentarischen Demokratie“ (1959). Landshut war, eine große Ausnahme in der bundesrepublikanischen Staatslehre, als Jude verfolgt worden und emigriert. Wesentlich für die moderne Demokratie sei nicht mehr – nach englischem Vorbild – der mögliche Machtwechsel, in der „industriellen Massengesellschaft“ gebe es eine weitreichende Nivellierung in Lebensstil, Ansprüchen und Interessen, der „common man“ erwarte vom Staat vor allem Maßnahmen zur Förderung seines Wohlstands. Über die grundlegenden Prinzipien und Ziele des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens bestehe zwischen den konkurrierenden Parteien Einigkeit.

Helmut Schelsky, einer der bekanntesten Soziologen der frühen Bundesrepublik, war 1937 in die NSDAP eingetreten und noch in den letzten Kriegsmonaten an die „Reichsuniversität“ Straßburg berufen, war schon 1948 in Hamburg Professor geworden. Er diagnostizierte schon 1954 die „Herausbildung einer nivellierten kleinbürgerlich-mittelständischen Gesellschaft, die ebenso wenig proletarisch wie bürgerlich ist, d.h. durch den Verlust der Klassenspannung und sozialen Hierarchie gekennzeichnet wird". Dem entspricht für Schelsky  die „Verwandlung der Demokratie in den ‚technischen Staat‘“ (1961). Wirtschaftswachstum und die (Voll-)Beschäftigung stünden im Zentrum der staatlichen Sozialtechniken, der politische Streit um öffentliche Ziele und Normen sei wesentlich symbolische Rhetorik, „leere Hülse“. Es gebe nichts Bedeutsames mehr, über das politisch entschieden werden müsse oder könne. 

Kritik an der Demokratie von links

Auch dem Repräsentanten der „Frankfurter Schule“, Max Horkheimer, war die westdeutsche Demokratie fremd. Auf einem „Kulturkritiker-Kongress“ in München hat er sich 1958 in seinem einleitenden Referat über „Philosophie als Kulturkritik“ irritiert über den zunehmenden Konsum geäußert: Jeder sei „mit seinen eigenen Dingen“ beschäftigt und ansonsten eher gleichgültig, stellt er fest: „Die Massen sind heute nicht dümmer als ehedem…“, aber sie seien eben auch nicht unbedingt „einsichtiger, menschlicher, geistig aktiver“. Der Philosoph Ludwig Marcuse sorgte sich angesichts eines „unorganischen Pluralismus“ um den damit „unvermeidlichen zügellosen Gruppenegoismus“, zum Beispiel bei dem „unrühmlichen Interessenstreit um das Werbefernsehen und im Hintergrund um das Fernsehen überhaupt“. Während Horkheimer sich vor allem um die Philosophie sorgte, ging es Hannah Arendt in ihrem Vortrag um die Kultur: Die Menschen hätten mehr Freizeit, stellte sie fest, und vertrieben sich die Zeit mit „Vergnügungsindustrie“. Diese „Massenkultur“ wertete sie als „Vergesellschaftung und Entwertung der Kultur“. In ihrer Verachtung der konkreten Vergnügungen ihrer Zeit flüchtete sie sich gedanklich zu den Philosophen der antiken Sklavenhaltergesellschaft, deren Kulturverständnis interesselos und zweckfrei gewesen sei und ganz auf das Unvergängliche orientiert.
Der Publizist Erich Kuby griff das Horkheimer-Stichwort von der Dummheit auf und formulierte: „Das allgemeine und freie Wahlrecht (...) delegiert die Dummheit der vielen an die Spitze.“ Eine „Erneuerung des Glaubens in die Ordnung“ sei erforderlich. Kuby wörtlich: „Man könnte z.B. ein kleines Examen an den Anfang des Wahlrechts stellen. Und zwar genauso wie der Mensch seine Fahrprüfung abzulegen hat, hätte er eine Staatsbürgerprüfung abzulegen.“
Das Tagungsprotokoll, das unter der Überschrift „Untergang oder Übergang“ 1959 erschienen ist, liest sich wie ein Manifest des Elfenbeinturms. Die kulturkritischen Studenten konnten zehn Jahre später nur deswegen die Welt verändern, weil sie das taten, wovor Hannah Arendt sie gewarnt hatte, und sich der (amerikanischen) Hippie-Kultur und Vergnügungsindustrie hingaben.
Aber den Vordenkern der Studentenbewegung der 1960er Jahre blieb die westdeutsche Demokratie fremd, sie waren empfänglich für die Demokratie-Kritik von Johannes Agnoli. Der hatte in seinem Essay „Transformation der Demokratie“ (1967), schon damals als „Bibel der Apo“ gelobt, erklärt: „Marxistische Klassenparteien streben keine Kooperation gesellschaftlich entgegenstehender Gruppen und keinen sozialen Ausgleich an. Vielmehr fordern sie die Anerkennung des Totalitätsanspruchs der Proletarierklasse durch die anderen oder sie zielen auf die gewaltsame Durchsetzung dieses Anspruchs im Klassenkampf.“ Erstaunlich ist, wie unbefangen Agnoli von „Totalitätsanspruch“ schreibt, als wolle er sich positiv auf die Totalitarismus-Theorie beziehen.
Auch ein anderer Autor der Studentenbewegung, Joachim Bergmann, stellte 1967 (in: Das Argument“ 42) fest, Wahlen seien „von geringer praktischer Relevanz, weil sie „die sozial-ökonomischen Herrschaftsverhältnisse unberührt“ ließen. 

Nostalgische Kritik der neuen Demokratie

Bemerkenswert ist bei diesen deutschen kritischen Betrachtungen der jungen bundesrepublikanischen Demokratie, dass sie nicht ihre Maßstäbe diskutiert. Die linke Demokratie-Kritik gibt sich der Sehnsucht nach dem ganz Anderen hin, auf der konservativen Seite spürt man die Trauer darüber, dass sich die Bundesrepublik nicht mehr von einer nationalen Gemeinschaftsidee getragen ist und auch keine nationale Identität fördert. Unausgesprochen schwingt Bedauern darüber mit, dass es keinen von demokratischen Legitimationsverfahren unabhängigen starken Staat gibt. Vor dem Hintergrund der Erfahrung der Weimarer Republik hätte man auch als Vorteil sehen können, dass die Integration von „Gruppeninteressen“ einen stabilisierenden Einfluss hat, und dass die wohlfahrtstaatlichen Maßnahmen der Regierung mäßigend auf die Kontroversen der Parteien wirken. Die Politikwissenschaftler hatten kein Verständnis für die nicht gleichgeschalteten institutionalisierten Partizipationsansprüche gesellschaftlicher Gruppen.

Eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit der akademischen Wortführer und der deutschen Bevölkerung sucht man vergebens. Übrigens auch bei dem „linken“ Demokratie-Kritiker Agnoli. Seine Parlamentarismus-Kritik bezog sich ausdrücklich auf Vilfredo Pareto. Als junger Mann war Giovanni Agnoli glühender Anhänger von Mussolini gewesen und hatte sich nach dessen Abdankung freiwillig bei der SS zum Kampf gegen die Partisanen gemeldet. Noch 1948 in der Kriegsgefangenschaft hatte Agnoli von einer deutschen „Durchdringung und Eindringung“ Europas gefaselt. In dem Manuskript unter dem Titel „Frühjahrswind“ (MG-Link) findet sich keine Spur von moralischen Skrupeln über seinen Kriegseinsatz oder die Verbrechen des Nationalsozialismus.Letztlich hat die frühe akademische Kritik an der bundesrepublikanischen Demokratie keine Bedeutung erlangt – möglicherweise spiegelt sie vor allem wider, dass sich das intellektuelle Bürgertum nicht identifizieren wollte mit diesem durch die Siegermächte aufgezwungenen „falschen“ Erbe des NS-Staates.

Die medienpolitische Modernisierung der CDU in den 1950er Jahren

Die 1950er Jahre brachten in der Bundesrepublik einen Modernisierungsschub in der politischen Kommunikation. Helmut Kohl schrieb seine Doktorarbeit über die politischen Parteien in Rheinland-Pfalz – war also einer der frühen Vertreter einer professionellen Elite der Politik-Beobachter, die dann selbst in der Politik Karriere machte. In der CDU galten bis dahin eher Juristen als prädestiniert für die Rolle des Berufspolitikers. Der Schwerpunkt der Politik lag nach klassischem Verständnis eben bei der Gesetzesarbeit und nicht bei der Analyse und Gestaltung von Machtstrukturen.

Elisabeth Noelle-Neumann

Die CDU hatte das Problem, dass sie in ihrem Umfeld im Vergleich zu den Gewerkschaften nur weniger Mitgliederstarke gesellschaftliche Organisationen hatte – wenn man die katholische Kirche nicht dazu zählt, die ja eigentlich keinen politischen Auftrag hat. Die Medienberater der CDU stellten fest, dass eine dominante „öffentliche Meinung“ sich vor allem dann bilden kann, wenn eine öffentlich hörbare individuelle Meinung zu einem Thema den Eindruck der Stärke auf sich zieht, so dass Vertreter anderer Meinungen in dem jeweiligen sozialen kommunikativen Bezugsfeld eher schweigen, um sich nicht zu isolieren. Elisabeth Noelle-Neumann nannte das „Schweigespirale“. Unter kommunistischen Arbeitern kann der Effekt der „Schweigespirale“ ganz andere Auswirkungen haben als unter den Bankangestellten derselben Stadt.
Das Phänomen gibt es natürlich nicht nur in dem Noelle-Neumanns Auftraggeber interessierenden Bereich der Politik und des Wählerverhaltens, sondern überall dort, wo Kommunikation unter Isolationsfurcht stattfindet – in traditionellen engen Gemeinschaften also deutlich mehr als in der modernen Stadt. Durch die Drohung mit Isolation erzwingt eine Gemeinschaft konformes (kommunikatives) Verhaltens und damit den inneren Zusammenhalt. Insofern ist „Öffentlichkeit auch ein Instrument der sozialen Kontrolle.
Die CDU lernte für die Modernisierung ihrer Politik von der Werbewirtschaft der USA. Sie setzte auf die neuen visuellen Medien, zumal sie gar nicht – anders als die SPD – über eine Parteipresse und Massenorganisationen im politischen Vorfeld verfügte. Aus Kreisen der Unternehmer mit USA-Erfahrung wurde 1952 der Verein „Die Waage. Gesellschaft zur Förderung des sozialen Ausgleichs e.V.“ zur professionellen Werbung für Ludwig Erhards „soziale Marktwirtschaft“ gegründet. Im Auftrag der 
Waage testeten die Werbeagentur Hanns Broses und das Allensbacher Institut für Demoskopie die Akzeptanz politischer Slogans und berieten die Parteiführung der CDU. Die Werbung der Waage suchte ein Lebensgefühl mit einer dezenten Parteinahme für die CDU zu konnotieren. Während die SPD 1957 drohende Atompilze plakatierte, lobten die Anzeigen der  Waage  die Aufbauleistung (der Regierung Adenauer) und warben für gesellschaftliche Harmonie. Die CDU-Regierung nutzte als erste deutsche Partei Comics („Fritz und Otto“) für ihre Werbekampagnen.
Für die Wahl 1953 ließ die CDU ihre Vorfeld-Organisationen scheinbar unpolitische Filme über den 17. Juni oder Adenauers Reisen produzieren, die von mobilen Filmbussen in der Provinz verbreitet wurden. Anders als die SPD, die sich auf ihre Massenorganisationen stützen konnte, erkannte die CDU die Möglichkeiten der neuen Medien schon in den frühen 1950er Jahren. Ihre Wahlkampf-Werbung passte in die Zeit des Kinobooms, in die Illustriertenlandschaft und in die die schnell an Attraktivität gewinnende Fernsehkultur.

Die Annäherung der SPD an der Medien-Gesellschaft

Die SPD wurde in den 1950er Jahren zum Opfer des Niedergangs der Reichweite ihrer Parteipresse, die Ausdruck des Zerfalls der gewerkschaftlichen Öffentlichkeit war. Mit der Entfaltung des (elektronischen) Mediensystems nahm auch die Bedeutung sozial eingebundener kleiner Opinion-Leader ab, die in Lobby-Verbänden, Vereins- oder Gewerkschaftskreisen die Informationen meinungsprägend interpretierten. Die neuen elektronischen Medien machten es möglich, dass politische Führungspersonen „direkt“ das Wahlvolk adressieren. Die SPD verdankt ihre zunehmende Popularität in den 1960er Jahren der Tatsache, dass sie für die intellektuellen Kreise der Bevölkerung, die die neuen Medienstrukturen zu nutzen wusste, das attraktivere, „moderne” politische Programm bot. Politiker wie Willy Brandt entwickelten seit den frühen 1960er Jahren eine gezielte politische Medienstrategie und nutzten ihre mediale Attraktivität. So wollte Brandt als Spitzenkandidat der SPD 1961 nach amerikanischem Vorbild ein Fernsehduell mit Adenauer, was die CDU ablehnte mit der Begründung, die amerikanischen Verhältnisse seien nicht auf Deutschland zu übertragen und schließlich ginge es bei der Bundestagswahl um die Wahl von Parteien. Offenbar ging die CDU davon aus, dass jüngere Politiker im Fernsehwahlkampf besser „ankommen” als Ältere.

Theorie der „pluralistischen Demokratie” vor 1968

Der Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel hat im amerikanischen Exil eine liberale und gleichzeitig „sozialdemokratische“ Vorstellung einer auf der Idee von Pluralismus basierenden Demokratie entwickelt: „Jawohl, wir sind eine heterogene Gesellschaft, die sagt, dass niemand vorher mit absoluter Gewissheit voraussehen und proklamieren kann, was dem Gemeinwohl entspricht, sie erachtet es nicht nur für zulässig, sondern für erforderlich, dass die heterogene Struktur der Gesellschaft in der Politik zum Ausdruck gelangt.“  Der Pluralismus  ist für Fraenkel das „Strukturelement der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie“, das diese vom Totalitarismus  unterscheidet.
Das unmittelbare politische Wahlrecht führt zur Findung des Gemeinwohles, zudem haben die Einzelnen „ein mittelbares, durch die Parteien und Verbände geltend zu machendes Mitgestaltungsrecht auf die öffentliche Meinung“. 1958 formuliert Fraenkel, die Demokratie müsse Plebiszitäre und repräsentative Komponenten vereinen. Die „plebiszitären Kräfte“  sah er allerdings nur „innerhalb der Verbände und Parteien“. Die Rolle der Medien für die Demokratie ist bei Fraenkel noch kein Thema.  
Das Gemeinwohl stellt sich als Kompromiss heraus, wobei es die besondere Aufgabe des (Sozial-)Staates ist, dafür zu sorgen, dass der Einfluss „all der Bevölkerungskreise nicht zu kurz kommt, die außerstande sind, zwecks Wahrung ihrer Interessen ausreichend machtvolle Verbände zu bilden und funktionsfähig zu erhalten".

Als Professor am Otto-Suhr-Institut in Berlin geriet Fraenkel 1969 in Konflikt mit der Studentenbewegung, der er demokratiefeindlichen Dogmatismus vorwarf und die ihn an die Rollkommandos der 1930er Jahre erinnerte. Er lehnte ein allgemeinpolitisches Mandat studentischer Versammlungen ab und wandte sich insbesondere gegen die Vietnam-Resolution des Berliner Studentenkonventes, weil damit die amerikanische Kriegsführung kritisiert wurde. Fraenkel fühlte sich den Vereinigten Staaten als Schutzmacht West-Berlins verbunden. (vgl. MG-Link)

Demokratisierung, Transparent, Partizipation

Die Veränderungen der politischen Kultur in der Bundesrepublik Ende der 1960er Jahre betrafen die Vorstellung darüber, was als politisch zu gelten habe und was „gute“ Politikstrukturen sein könnten:  „Demokratisierung“ wurde eingefordert, das bedeutete Transparenz und Partizipation über das hinaus, was die repräsentative Demokratie an Beteiligungsformen anbot.

Die Leitvorstellung, dass Politiker Experten ihrer Arbeit seien und gute Politik ein großes Maß an Geheimhaltung erfordere,  wurde abgelöst von einem generellen Misstrauen in die Kompetenz der Politiker und der grundsätzlichen Forderung nach „Öffentlichkeit“. Die „Öffentlichkeit“ beanspruchte für sich die Kompetenz, mitreden zu können, und befürchtete ‘Manipulation’ insbesondere bei der Parteipolitik. Früher war der Verdacht der nicht legitimen Einflussnahme schon gegenüber der Lobbyarbeit der Verbände und des Einflusses der Parteien auf die politischen Repräsentanten formuliert worden. Die Öffentlichkeit verlangte Einblick nicht nur in die Ergebnisse des politischen Entscheidungsprozesses, sondern auch in den Prozess der Entscheidungsfindung.

Voraussetzung dieses neuen Anspruches an Politik war die verstärkte Beobachtung der Politik durch die Medien, insbesondere durch das Fernsehen.

Als Durchbruch des neuen Politikverständnisses kann die 1968er-Bewegung gelten – ein globales politisches Medienereignis, in dem selbst ernannte Laien aus der Zivilgesellschaft, wie man später sagen würde, den Anspruch formulierten, sogar bei globalen Ereignissen – Vietnam-Krieg – es „besser zu wissen“  als die gewählten Parlamentarier und die Experten der Regierungen. Sie forderten plebiszitären Einfluss auf die Politik der gewählten Vertreter ein und verweigerten im Namen ihrer eigenen (politischen) Moral den Institutionen der Demokratie jeglichen Respekt.  Im Rahmen dieser Protestbewegung wurden restlos alle Institutionen der Gesellschaft auf den Prüfstand gestellt, was möglicherweise eine Erklärung dafür liefert, dass viele ihrer Protagonisten relativ rasch nach Ideologien suchten, die den machtpolitischen Anspruch einen totalen Gegenentwurfs zu unterfüttern versprachen und so innerhalb weniger Jahre die Wende von einer antiautoritären Bewegung zu autoritären (kommunistischen) Phantasien vollzogen.

Bei den „Sinnproduzenten“ der Republik (Schelsky) hatte es 1968 – auch die tragische Rolle von Ernst Fraenkel bestätigt das - kaum eine Tradition der Wertschätzung der Errungenschaften der Nachkriegs-Demokratie gegeben. Nur deswegen konnte die kritische Sicht im akademischen Milieu erfolgreich sein, die von linksradikaler Seite in den Thesen einer „Transformation der Demokratie“ (Givanni „Johannes“ Agnoli, 1967) mit einem totalitären Unterton formuliert wurde. Herbert Marcuse konnte die Studenten gegen den demokratischen Staat mobilisieren mit der schlichten Erklärung, hinter dem „ideologischen Schleier der pluralistischen Demokratie“ und dem „materiellen Schleier der verschwenderischen Produktivität“ lauere ein „aggressiver und expansiver Apparat der Ausbeutung“ und der mache eine revolutionäre Umwälzung gerade der westlichen Wohlfahrtsdemokratien unumgänglich. Eine schlichte ökonomische Theorie des „Spätkapitalismus“ versah die Umsturz-Pläne mit der erforderlichen geschichtsmetaphysischen Notwendigkeit.

Wie wenig die die CDU-Politiker ein demokratisches Selbstverständnis verinnerlicht hatten, wurde am Beispiel Chile deutlich. Auf die zunehmenden Proteste gegen die Unidad-Popular-Regierung Allendes hatten Teile des chilenischen Militärs am 11. September 1973 mit einem Putsch reagiert und mit großer Brutalität den Widerstand niedergeschlagen, in der Bundesrepublik gab es eine breite Protestbewegung dagegen.

Die Bild-Zeitung kommentierte am 12.9.1973: „Jetzt hat die Armee nicht mehr länger stillgehalten. Drei Jahre Marxismus sind ihr genug.“ Und die FAZ: „Im Augenblick der höchsten Gefahr konnten sich die Streitkräfte ihrer Verantwortung nicht mehr länger entziehen. Sie können nur obsiegen, wenn sie sofort und mit aller Schärfe reinen Tisch machen.“ (FAZ, 12.9.1973) Der ehemalige CDU-Generalsekretär (bis 1971) Bruno Heck höhnte nach seiner Rückkehr aus Chile im Oktober 1973 über die im Stadion von Santiago de Chile gefangenen und gefolterten Chilenen: „Das Leben im Stadion ist bei sonnigem Wetter recht angenehm.“ Zu den Putschisten erklärte er: „Soweit wir Einblick bekommen haben, bemüht sich die Militärregierung in optimalem Umfang um die Gefangenen. Die Verhafteten, die wir sprachen, haben sich nicht beklagt.“ Und der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß erklärte: „Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang.“

Eine besondere Domäne der CDU war die Familienpolitik. Der ehemalige Bundesfamilienminister Bruno Heck erklärte noch 1984 nostalgisch: „Wenn wir für die Familie nicht wieder soliden Boden gewinnen, wenn uns, unserer Gesellschaft und unserem Staat nicht wieder von den Familien her das soziale Empfinden und Bewusstsein, die produktive Kraft sozialer Verantwortung und personaler Freiheit Zuwachsen, wird unsere Gesellschaft mehr und mehr verkommen.“

Wie sehr das „Wirtschaftswunder“ die Bindung des Volkes der Nazis an die neue Demokratie gefördert hat, konnten die Deutschen in der eher nüchternen Analyse des US-amerikanischen Soziologe Seymour Martin Lipset lesen, der formulierte 1959 eine „Wohlstandstheorie der Demokratie“: Je wohlhabender ein Land, desto größer sind die Chancen, dass es die Demokratie aufrechterhalten wird. („The more well-to-do a nation, the greater the chances that it will sustain democracy.“)  In Political Man (1960) fügte er hinzu, dass die Demokratie natürlich auch von der Effektivität und der Legitimität des politischen Systems abhängt, d.h. davon, wie die Erwartungen der Bevölkerung und mächtiger Interessengruppen erfüllt werden.

Als „output-orientierte“ Legitimation hat Fritz Scharpf später diese Erwartung in seiner Studie über „Regieren in Europa“ (1999) bezeichnet.  Output-orientierte „Herrschaft für das Volk" wird vor allem akzeptiert, wenn sie die Lösung von Problemen verspricht, die „national“ oder plebiszitär-demokratisch nicht effektiv lösbar erscheinen. „Verteilungsgerechtigkeit“ wird dann an der Bilanz von Kosten und Nutzen gemessen.  Mehrheitsentscheidungen der Europäischen Union haben keine wesentliche „input-Legitimation“, sie genießen eine geringe Akzeptanz, wenn ihre „output“-Bilanz nicht erkennbar ist. 

Der Gegenbegriff der „input-orientierten“ Legitimation demokratischer Herrschaft verweist auf das Wahlverfahren der staatlichen Repräsentanten. Wahlverfahren sind aber nur legitim innerhalb im Rahmen einer gefühlten Gemeinschaft.

Die Opfer, die der Staat den Individuen auferlegt,  werden leichter hinnehmbar, wenn sie im Namen der Gemeinschaft eingefordert werden und innerhalb der Gemeinschaft gerecht verteilt werden. Die Vorstellung der Nation begründet einen „Gemeinsamkeitsglauben“ (Max Weber), der das Vertrauen auf den guten Willen der Mitbürger stärkt und für das Individuum. Dieser Gemeinsamkeitsglauben wird natürlich durch sozialpolitische Gemeinsamkeits-Maßnahmen unterfüttert - und durch die Erfahrung, dass das Handeln der Repräsentanten der Gemeinschaft die Wohlfahrt aller Mitglieder fördert. Das gilt für Familienoberhäupter wie für die Repräsentanten einer Nation. Wenn es keinen kulturellen Grund gibt, auf die Solidarität zwischen den Mitgliedern einer Gemeinschaft zu vertrauen, dann ist auch der Hinweis auf die demokratische „input“-Legitimation nicht ausreichend. (Die Sorge, dass eingebürgerte Flüchtlinge anderer Kulturen und Religionen die Staatsbürger-Gemeinschaft dominieren könnten („Deutschland schafft sich selber ab“), kann daher ein starkes Motiv zur Verteidigung der „nationalen“ Identität werden.) 

Meinungsforschung zur Ergänzung der repräsentativen Demokratie

Die Meinungsforschung war in den 1950er Jahren eher das geheime Instrument der Parteiführungen gewesen, um sich einen Eindruck von der Stimmung in der Bevölkerung zu verschaffen. Die Antworten auf (Meinungs-)Fragen geben allerdings in keiner Weise „authentisch“ wider, was gedacht wird, sondern spiegeln nur Antworten auf gezielte Fragen und verändern so die Wahrnehmung der Realität.
Die Parteien interessierten sich vor allem für die Frage, ob sie gewählt werden und was sie tun könnten, um mehr als bisher gewählt zu werden. So wurde die Meinungsforschung in den 1970er Jahren schnell zu einer Spielart der Politikberatung. Aus der Technik der Meinungsumfrage ergibt sich die Vorstellung von der Steuerbarkeit der Wähler, wenn nur die richtige Medienstrategie gewählt wird, die richtigen Themen gesetzt und die richtigen Begriffe in der öffentlichen Debatte durchgesetzt werden können. Von Willy Brandt wird berichtet, dass er in nahezu allen politischen Sitzungen, in denen es um die Auswirkungen der Politik auf die Popularität seiner Person und seiner Partei ging, auf Meinungsumfragen verwies. Beraten durch die Meinungsforscher von Infratest setzte die SPD unter Brandt  besonders auf neue Wählergruppen aus der Mittelschicht, die „neue Mitte“, und die Jungwähler.

Die politischen Parteien der Bundesrepublik reagierten auf die Durchsetzung des Fernsehens als Leitmedium mit einer Neuorientierung ihres Selbstverständnisses. Aber selbst das „Mehr Demokratie wagen” aus der Regierungserklärung von 1969 bezog sich noch ganz klassisch auf die Demokratie-Vorstellungen aus den 1950er Jahren: Es ist ein Appell an die Elite, die „mehr wagen” soll, und das Wagnis konkretisierte Brandt als „Anhörungen im Bundestag, ständige Fühlungnahme mit den repräsentativen Gruppen unseres Volkes und eine umfassende Unterrichtung über die Regierungspolitik”. (2)

Meinungsumfragen konnten in den 1970er Jahren nicht mehr geheim gehalten werden, die Medienöffentlichkeit verlangte nach Transparenz und die Forschungsinstitute suchten sich in ihrer Konkurrenz um die Solidität ihrer Ergebnisse auch öffentlich zu profilieren, indem sie ihre Ergebnisse selbst interpretierten. Die Meinungsumfragen wurden so zu einem Instrument der öffentlichen Meinungsbildung.

Über die Blitz-Umfragen nach Fernsehauftritten versuchten Politiker gleichzeitig, ihr Auftreten vor dem Bildschirm demoskopisch zu justieren. Weil Arbeitnehmer offenbar bei politischen Sendungen früher abschalten als andere Zielgruppen, suchte Brandt zu Beginn einer  Sendung viel zu reden und besondere Akzente zu setzen. Auf den in Meinungsumfragen festgestellten Wertewandel reagierte die SPD 1972 mit dem Slogan von der „Qualität des Lebens“, sie setzte plakativ auf „Selbstverwirklichung“ und „Frieden“.  

Die Nutzung der Meinungsforschung verallgemeinerte sich, Umfrageergebnisse wurden nicht nur für Wahlkämpfe erhoben und eingesetzt, sondern auch im politischen Alltag. Ende der 1970er Jahre verlor die Meinungsforschung dabei die Aura einer effektiven Geheimwissenschaft, zu viele der Ratschläge der Demoskopen hatten sich als falsch bzw.  unwirksam erwiesen. Schon 1972 hatte das Allensbacher Institut der CDU einen Wahlsieg prophezeit, allerdings wurde die CDU/CSU bei den wirklichen Wahlen von der SPD überflügelt. Die eigenen Wahlforscher der CDU gerieten in den Verdacht, nur Gefälligkeits-Analysen vorgelegt zu haben. Im Wahlkampf 1976 hat die FAZ dann das CDU-nahe Institut für Demoskopie von Elisabeth Noelle-Neumann mit einer laufenden demoskopischen Beobachtung der Wählergunst beauftragt.

Die Medien als Repräsentanten des Volkssouveräns

Entscheidend für die Entwicklung der Demokratie wurde allerdings die zunehmende Nutzung der Meinungsforschung durch die Fernsehanstalten selbst und auch durch Print-Medien. Die Fernseh-Anstalten interessierten sich zunächst vor allem für ihre Zuschauer-Zahlen. Zunehmend wurden die Forschungsinstitute aber auch beauftragt, unabhängig von den Partei- und Sender-Interessen ein Meinungsbild der Bevölkerung zu konkreten politischen Themen abzufragen. Die Richtung der Fragen und die Interpretation der Antworten war aber damit unabhängig von Parteiinteressen und orientierte sich stärker an der Eigenlogik der Medien. Im Zentrum stand der Nachrichtenwert von Umfrageergebnissen. Die Medien interpretierten ihre Rolle bei der Erhebung von demoskopischen Daten als die eines neutralen Vermittlers des Volkswillens, als direkte Repräsentanten des Volkssouveräns.

Die politische Meinungsforschung wurde „medialisiert“ und die Umfragen der Medien ergaben, dass die Erwartungen einer „Demokratisierung“ der Politik keineswegs erfüllt wurden. Die Parteipolitik in den 1970er Jahren war unter einen Erwartungsdruck gesetzt worden, dem sie nicht entsprechen konnte. Anti-Atom-Bewegung und Friedensbewegung gegen den „Nato-Doppelbeschluss“ schürten auch die Unzufriedenheit der SPD mit ihren potentiellen „Jungwählern“.  Die „Bewegungs-” oder „Anti”-Partei  Die Grünen bildete sich 1979 wählersoziologisch  als Abspaltung der SPD.
„Politikverdrossenheit“ oder besser „Parteienverdrossenheit“ war das neue Stichwort, das die zögerliche Umsetzung der neuen politischen Werte der „Transparenz und „Demokratisierung“ reflektierte und in den 1980er Jahren zu einer Vielfalt „neuer sozialer Bewegungen“ und Initiativen mit plebiszitären Ansprüchen führte.    

Als in den 1980er Jahren in der Bundesrepublik über den Marktzutritt der privaten Fernsehsender debattiert wurde, waren die parteipolitischen Fronten wieder umgekehrt: Die CDU begrüßte die Entwicklung und sah darin eine Chance für die eigene politische Darstellung. In der Ablehnung privater Konkurrenz für die Öffentlich-Rechtlichen Sender sah sie eine „unheimliche Arroganz der linken Programm-Macher“ der Öffentlich-Rechtlichen, die „zu wissen glauben, was dem Bürger frommt“ (so Ernst Albrecht, Ministerpräsident von Niedersachsen).
Aus Kreisen der sozialliberalen Koalition wurden die Warnungen vor einer kulturellen Verflachung und politischen Manipulation durch finanzstarke Gruppen aufgegriffen. Der damalige FDP-Generalsekretär Günter Verheugen meinte, die Privaten würden mit Wildwest und Klamotten, Nacktem und Brutalem den ganzen Tag lang die Zuschauer erst einmal von den öffentlich-rechtlichen Wellen weglocken, „um ihnen dann anschließend bestimmte Werbung vorführen zu können." Peter Glotz sah „eine Spirale der Programmverflachung" kommen, wenn erst der Kommerz den Bildschirm bestimmen würde, „und sich die Systeme untereinander einen wilden Konkurrenzkampf um die jeweils höchsten Einschaltquoten liefern". SPD-Bundesgeschäftsführer Egon Bahr warnte gar davor, durch „das Füllen von Bauch, Auge und Ohr bis zur Übersättigung ... das bequeme Ende der Demokratie" herbeizuführen.

Professionelle Politik gegen Zivilgesellschaft  - wer bestimmt die Medienagenda?

Mit zunehmendem Einfluss der Medien können gut ausgebildete Einzel-Personen, die außerhalb der partei- und verbandspolitischen Strukturen agieren, auf sich aufmerksam machen. Um dieses Phänomen in die Elitetheorie zu integrieren, wird von „Eliten auf der Massenebene" gesprochen. Niklas Luhmann konnte – Jahre nach der Protestbewegung der späten 1980er Jahre und der beginnenden Herausbildung von Bürgerinitiativ-Stukturen - feststellen, dass Kommunikation von der Masse zur Elite normalerweise nur dann durchdringt, wenn das Anliegen skandalisiert wird und im Sinne der Medienlogik spektakuläre Aktionen oder Demonstrationen die öffentliche Resonanz verstärkt.
Der praktische Erfolg solcher Kommunikation „von unten nach oben“ hängt dabei weithin letztlich davon ab, ob die Motive von Teilen der organisierten Machtelite, vor allem also von Parteien, aufgriffen werden. Aber wenn die politischen Eliten immer weniger Zugriff haben auf die relevanten Massenmedien und die Interpretation von deren „Botschaft“ nicht mehr steuern können, dann stellt sich die Frage: Unter welchen Bedingungen findet eine Botschaft Zugang zu den Massenmedien? Wer bestimmt die Medienagenda?

Formelle Eliten müssen ähnlich wie informelle Eliten Aufmerksamkeit erzeugen, wenn sie in der Vielfalt der Medien-Ereignisse einen besonderen Platz besetzen wollen. Diese Aufmerksamkeit ist nur wenigen herausragenden Personen allein aufgrund ihrer Position sicher.

Die Themen müssen „ankommen“, dass heißt von den Medien als „wichtig“ identifiziert werden. Medien ihrerseits selektieren danach, was nach ihrem Ermessen und nach ihrer Erfahrung beim „Publikum“ ankommt. Themen kommen nur an, wenn sie auf Interessenlagen und auf Vorinformationen treffen. Zudem sind Themen  in Zeiten der visuellen Medien leichter bei den „gate keepern“ der Medien unterzubringen, wenn es Bilder gibt.
Politische Themen, die gegen eine bei den Bürgern vorzufindende Sensibilität gesetzt werden sollen, stoßen derweil schon bei den Medienmachern auf Skepsis, wenn diese negative Reaktionen ihrer „Kunden“ befürchten. 

Was die politische Kommunikation angeht, bleiben die „gate keeper“ ihrerseits vielfach auf Informationen, die ihnen von verschiedenen Vertretern der politischen Eliten oder der „Eliten der Masse” zugetragen und „gesteckt“ werden, angewiesen. Was als  Medienwirkung erscheint, verdankt sich also oftmals der  geschickten Kommunikations-Strategie eines parteilichen Interesses.

Kriterien für den Erfolg einer Kommunikationsstrategie sind:
- die Neuigkeit einer Nachricht,
- ihre Konflikthaftigkeit,
- die Möglichkeiten der Personalisierung und Prominenz der Protagonisten und
- die Bedeutsamkeit der Nachricht, die allerdings genauso in einem großen Überraschungspotential (etwa ein Rücktritt) liegen kann wie in der Anschlussfähigkeit der Nachricht an Vorwissen und Erwartungsstrukturen.

Die parteipolitischen Eliten stehen mit der Entfaltung des Mediensystems zunehmend in Konkurrenz zu anderen Themengebern. Das betrifft vor allem die einfachen Mitglieder des Parlaments, das ja im Kern ein „Redeparlament“ ist – der einfache Abgeordnete hat keine besondere Bedeutung mehr als Träger von Macht und Wissen.

Der Visualisierungszwang des Fernsehens sorgt dafür, dass sich Inhaber von Macht und die Vertreter der Exekutive direkt an „das Volk“ wenden können. Sowohl die geforderte Personalisierung der Berichterstattung wie die  erforderliche „Prominenz" einer begrenzen Zahl politischer VIPs grenzt die meisten „einfachen“ Politiker vom Medienzugang aus. 
Auch bei den Kommunikationsstrategien „von unten nach oben“ zählt heute die Inszenierung: Eine Unterschriftenliste ist eine medial „schwache“ Nachricht, eine Demonstration desselben Inhaltes schon deutlich stärker. Die symbolische „Besetzung“ von Straßen oder Gebäuden steigert dem Aufmerksamkeitseffekt, ohne dass der Nachrichtenkern ein anderer sein muss.

Dass in Zeiten der Bildmedien der Nachrichtenkern „stärker als früher“ hinter dem Potential der Inszenierung zurücktritt, ist dabei eine gern wiederholte Behauptung, die aber einer historischen Betrachtung kaum standhalten dürfte. Parteitage sind heute zu einem wichtigen Teil Inszenierungen für Bildmedien – früher waren sie Inszenierungen für die politische Klasse bzw eine ihrer Fraktionen. Die Inszenierungen mittelalterlicher oder neuzeitlicher Herrscher richteten sich genauso an einen kleineren Kreis von Beobachtern ihrer Politik, der „Nachrichtenkern“ bei ihren Inszenierungen keineswegs weniger zurück hinter dem „Nachrichtenkern“ als das heute üblich ist. Mittelalter- und Neuzeit-Historiker würden sogar sagen: Auch da dominierte die Inszenierung. Das Personenvertrauen war schon immer wichtiger als Systemvertrauen.

Nicht erst im „Medienzeitalter“ ist die Symbolik mindestens genauso wichtig wie die Substanz der Kommunikation.

Dennoch ist klar, dass die neue Medienlogik die Politik verändert. Während die klassische Soziologie etwa Max Webers die besondere Bedeutung charismatischer Führer-Persönlichkeiten hervorhob, wird heute angesichts der dichten Beobachtung der Politiker die Fragilität eines charismatischen Images diagnostiziert: Es ist kaum vorstellbar, dass ein Politiker sein Image auf hohem Niveau durchhalten kann, ohne hin und wieder „erwischt“ zu werden bei einer menschlichen Schwäche oder einem Widerspruch zwischen Worten und Handeln. Auf diese Konsequenz der Fernseh-Berichterstattung hatte schon in den 1980er Jahren Josua Meyrowitz hingewiesen. Die mediale Kontrolldichte begünstigt den medial übervorsichtigen Stil des farblosen Politik-Managers, dessen Qualifikation sich bei der Koordination politischer Interessen bewährt  - „Koordinationsdemokratie“ nennt die Politikwissenschaft das.

Die Regierungsstile von Bundeskanzlern wie Helmut Kohl oder Angela Merkel, die sich über mehrere Legislaturperioden „ganz oben“ halten konnten, scheinen diesen Befund zu bestätigen. Politiker, die ihre Macht in demonstrativer Weise auf mediale Inszenierung und alles für ihre Popularität tun, stürzen leichter ab. Gerade politische Quereinsteiger, die ihren Aufstieg der Medien-Popularität verdanken, müssen lernen, dass es - jedenfalls hierzulande, bisher - nicht für einen dauerhaften Erfolg reicht, wenn man „telegen und sexy“ in den visuellen Medien ankommt. Auf der Ebene der Kommunikationsstrategie über gesellschaftspolitische Themen zeigt sich immer wieder ein Strukturkonflikt: Die Macht-Kommunikation professioneller Politiker muss in der Fernsehgesellschaft auf konkrete Aussagen möglichst verzichten, wenn sie bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen und über längere Zeit erfolgreich sein will. Wer als Seiteneinsteiger sich einen Platz in der Riege der professionellen Politiker erobern will oder wer als Lobbyist aus der Zivilgesellschaft ohne „Amtsbonus” Aufmerksamkeit über die Medien erregen will, muss hingegen sein Anliegen im Sinne der Medienlogik sehr präzis und möglichst provokant formulieren. 

Auf der Ebene der Macht-Instrumente spiegelt sich diese Konflikt-Struktur in der Konfrontation von repräsentativen Legitimationsstrukturen von Macht, die in allgemeinen Wahlkämpfen gewonnen wird, und den außerparlamentarischen Mobilisierungsformen, die den Willen des Volkes in einzelnen Fragen artikulieren und mit plebiszitären Legimitations-Prozessen zur Geltung bringen wollen.  

 

    siehe auch meinen korrespondierenden Text
    „Fernseh-Demokratie”  - über die Bedeutung des Fernsehens für die Entwicklung der demokratischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland  M-G-Link
    Rebellisches Radio - populare Massenkultur und Demokratisierung von Nazi-Deutschland nach 1945 MG-Link

    Allgemeiner zur Typologie des Verhältnisses von Medien und Politik:
    Politik und Medien in der Fernsehgesellschaft des 20. Jahrhunderts
    und im historischen Überblick: M-G-Link
    Medialisierung - zur Typologie des Verhältnisses von Medien und Politik  M-G-Link

     

    Anmerkungen:
    (
    1) Weber wörtlich: „Solche Begriffe wie ‚Wille des Volkes’, wahrer Wille des Volkes existieren für mich schon lange nicht mehr, sie sind Fiktionen (unterstr. Weber). Es ist gerade so, als ob man von einem Willen der Stiefelkonsumenten reden wollte, der für die Art, wie der Schuster seine Technik ausrichten sollte, maßgeblich sein müsse! Die Schuhkonsumenten wissen zwar, wo sie der Schuh drückt, aber niemals wie er besser gemacht werden sollte.“ Brief an Robert Michels vom 4.8.1908

    (2) Der Kontext des „Mehr Demokratie wagen” von 1969 in der Brandt’schen Regierungserklärung: 
    „Wir wollen mehr Demokratie wagen. Wir werden unsere Arbeitsweise öffnen und dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun. Wir werden darauf hinwirken, daß durch Anhörungen im Bundestag, durch ständige Fühlungnahme mit den repräsentativen Gruppen unseres Volkes und durch eine umfassende Unterrichtung über die Regierungspolitik jeder Bürger die Möglichkeit erhält, an der Reform von Staat und Gesellschaft mitzuwirken. (…) Wir können nicht die perfekte Demokratie schaffen. Wir wollen eine Gesellschaft, die mehr Freiheit bietet und mehr Mitverantwortung fordert.“

    (3) Die Bremer Straßenbahnunruhen von 1968 sind ein gutes Beispiel für die medienpolitische Übergangszeit. In seiner Regierungserklärung hatte der 38 Jahre junge neue Bürgermeister Hans Koschnick am 13. Dezember 1967 festgestellt, dass „die junge Generation und nicht nur die Studentenschaft von einer nicht unbeträchtlichen Unruhe über den Zustand unserer Gesellschaft befallen ist. Das ist auch meine Meinung. … Wir müssen erkennen, dass die junge Generation, auch die junge Studentenschaft, recht hat ...“
    Acht Wochen später ließ er die Polizei hart durchgreifen gegen Schüler, die gegen die Fahrpreiserhöhung der Straßenbahn protestierten.  Noch 30 Jahre später meinte Koschnick im Rückblick, er frage sich immer noch, „warum ich das, was ich in der Regierungserklärung als Leitlinie für den Umgang mit der jüngeren Generation gesagt habe, nicht immer gleich nach der Staatsgewalt zu schreien, sondern, wenn die Jugend Probleme hat, erst einmal im Dialog zu versuchen, herauszufinden wohin die Sache geht, nicht umgesetzt habe.“ (zit. nach Detlef Michelers)
    Zivilgesellschaftliche Initiativen waren offensichtlich trotz des allgemeinen Bekenntnisses der Regierungserklärung im konkreten Politikverständnis keine legitime Größe. Auch der Bremer IG Metall-Vorsitzende als wichtiger Figur im Beraterkreis des SPD-Landesfürsten hatte ein harten Durchgreifen gefordert – das Umdenken setzte erst ein, als der Polizeieinsatz seine Opfer auch unter Genossen-Kindern forderte, was sich in einer Fülle von Leserbriefen in der lokalen Zeitung niederschlug, und als die (linken) Betriebsräte des Stahlwerkes ihre Belegschaft zu mobilisieren drohten, falls der Senat die Lösung des Konfliktes weiterhin der Polizei überlassen wollte. 
    Da der allgemeine 1968er-Unmut in der Schülerschaft und der konkrete Unmut über die Fahrpreiserhöhung sich in den damals vorhandenen Medien nicht niederschlagen konnten, war die Politik vollkommen überrascht von der Breite des Protestes. Bürgermeister Koschnick fuhr nach Nordrhein-Westfalen, um dort von Innenminister Willi Weyer zu reden, weil der 1966 bei Straßenbahn-Proteste in Köln Erfahrungen gesammelt hatte. Auch die Aktivisten der Schüler waren von der Resonanz ihrer Proteste überrascht, sie bereiteten im Rathaus ihre Protest-Reden vor und griffen gleichzeitig zu Metaphern von „Revolution“, um sich den Vorgang zu erklären. 
    Die mediale „Beobachtung“ der Gesellschaft reduzierte sich noch auf die „repräsentativen“ demokratischen Institutionen, also Verbände und Parteien. Mit den Straßenbahnunruhen kündigten sich in der bremischen Lokalpolitik die „partizipatorische Demokratie“ an, in der zivilgesellschaftliche Willensbildung und Protest-Kultur von den Medien beobachtet wurde und von der Politik als legitimer Faktor der Meinungsbildung ernst genommen werden musste. 
    vgl. Detlef Michelers: „Draufhauen, Draufhauen, Nachsetzen! Die Bremer Schülerbewegung, die Straßenbahndemonstrationen und ihre Folgen 1967/70“ (2002),
    zusammengefasst
    http://www.taz.de/1968/!132345/