Klaus Wolschner 

Über den Autor

Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

www.medien-gesellschaft.de


II
Politik
und Medien

POP Titel Farbe klein 150 jpg

Über traditionelle Herrschafts-Kommunikation
und neue Formen der
Medien-Demokratie:
Wenn der Pöbel
online kommt

ISBN: 978-3-752948-72-1

2 VR Titel

Über die
Mediengeschichte der
Schriftkultur und ihre
Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion
im  Jahrhundert des Auges

ISBN: 978-3-7375-8922-2

2 GG Titel

Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne

ISBN: 978-3-746756-36-3

2 AS Cover

Kulturgeschichte des Sehens, Mediengeschichte der Bilder. Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen:
Augenlust und Bild-Magie


ISBN: 978-3-7418-5475-0

Wir-Ich Titel kl4

Neue Medien, neue Techniken des Selbst:
Unser digitales Wir-Ich   

ISBN: 978-3-754968-81-9

Auf dieser Internetseite finden Sie einen Überblick zu verschiedenen Themen der Mediengeschichte und Medientheorie.
  Der Überblick ist nicht vollständig, die Texte sind nicht „fertig”, sondern immer wieder in Arbeit.
Daher bin ich immer dankbar für kritische Hinweise.    
klaus (at) wolschner de

 

Abschnitt II:
    
Zum Verhältnis von Medien und Politik

Zur Einführung

2020

Wir leben in einer Welt der Medien, politische Kommunikation ist zu einem erheblichen Teil vermittelt über technische Medien - erst über das Fernsehen, inzwischen auch über Internet-Kommunikation.
Das ist revolutionär neu - vorher gab es über 200 Jahre eine lange Phase der Dominanz der Schrift-Medien in der politischen Kommunikation - die Schrift-Medien erreichten aber nur die Eliten. Das einfache Volk lebte in einer Welt mündlicher, oraler „Anwesenheitskommunikation“.
Was bedeuten solche Brüche in den Kommunikations-Formen für die Politik? Um diese Frage geht es bei den hier eingestellten Texten.

„Anwesenheitskommunikation“ (Rudolf Schlögl, L) vollzieht sich mit den „primären” körperlichen Medien, mit Sprache und Gesten, visuellen Eindrücken (Bildern) und Symbolen. Hinzu kommt die „Sprache der Fakten”: Wer seinen Feind öffentlich an den Pranger stellen konnte, zeigte damit politische Macht.
Über die Details der Politik wusste das Volk im Grunde nichts. Die großen Fragen der Politik hatten das einfache Volk auch nichts anzugehen. Das bedeutete aber nicht, dass Macht sich nicht rechtfertigen musste - auch vor dem einfachen Volk. In der Verbindung von politischer Macht und religiösem Kult rechtfertigte sich der Herrscher als von Gott gewollter Ordnungs-Stifter. Militärische Niederlagen, mehrfache Missernten oder Unwetter warfen unweigerlich die Frage auf, ob der Herrscher wirklich gute Verbindungen zu den Göttlichen hatte oder ob er den Kult zur Befriedigung der Götter korrekt ausübte. Der herrschaftliche Prunk demonstrierte, dass der König reich, also erfolg-reich war.
Auch in der römischen Republik, in der jeder nach seiner Facon selig werden konnte, waren gleichwohl die Opfer für die staatlichen Götter verbindliche Staatsbürgerpflicht, mit der bekanntlich die frühen Christen in Konflikt gerieten - ihre Verweigerung war keineswegs Privatsache, sondern stellte das Staatswohl infrage.
„Öffentlichkeit" ist also eine Kategorie für die Herrschaftskommunikation schon vor der europäischen Neuzeit. Das klassische Medium dieser Kommunikation war die mündliche Rede, die die eindrucksvollen visuellen medialen Inszenierungen insbesondere des Kultes und der Architektur interpretierte. Die Erfindung der Drucktechnik hat daran zunächst nur für eine kleine gebildete Elite etwas geändert.

Druckschriften fürs Weltbild

Die große frühe Ausnahme ist der reformatorische Streit. Das bewegende Motiv dieser ersten gedruckten Flugschriften der frühen Neuzeit waren heilsgeschichtlich bedeutsame Botschaften, politisch in komplexer Weise vermischt ging es um einen Machtkampf der Fürsten, der kirchlichen Rechtfertigung weltlicher Macht und dann auch um Bauerninteressen.

Erst in den periodischen Zeitungen seit dem 17. Jahrhundert entwickelte sich die Form der systematischen, regelmäßigen Verbreitung von „Zidunge” (Nachrichten). Vorläufer gedruckter Nachrichtenblätter waren handgeschriebene Nachrichten-Briefe von Handelshäusern wie dem der Fugger gewesen, für „harte” politische Informationen interessierten sich nur neben den Fürsten nur die Fern-Händler. Die dann öffentlich zum Kauf angebotenen periodischen Druckerzeugnisse waren für die „lesenden Bürger” meist nicht handlungsrelevant, sondern Weltbild-relevant. Im 17. bis in die Anfänge des 18. Jahrhunderts passierte eine medial vermittelte, geistige „Welteroberung” (Holger Böning) - dem lesenden Publikum erschloss sich eine neue politische Weltsicht, in der das politische Geschehen sich im Verständnis der Menschen vom Heilsgeschehen ablöste. In diesem Sinne waren die frühen Zeitungen Medien der Aufklärung. (L) Niccolò Machiavelli hatte schon 1513 diese neue profane Weltsicht in seinem Buch „Il Principe" als Summe seiner Erfahrungen dargestellt - geschrieben hat er es  in der Volkssprache des toskanischen Italienisch. „Alle Macht ist Raub und all ihre Rechtfertigung pure Ideologie", davon war Machiavelli überzeugt, und zur Politik gehöre „die Kunst, den richtigen Schein zu erzeugen". Modern würde man das „Darstellungspolitik" nennen.
Durch die Möglichkeiten der Drucktechnologie entkoppelte sich das Wissen von der Beschränkung des eigenen körperlichen Erlebens. Mit der neuen Kommunikationstechnik der Druckerzeugnisse wurde das Wissen, auf dessen Grundlage die Menschen sich ihr Weltbild konstruieren, erweitert und vervielfältigt. Und die präsenten Machthaber konnten die Verbreitung des Wissens nur noch nicht mehr kontrollieren - die körperliche Vernichtung von gelehrten Köpfen konnte das neue Wissen nicht mehr austilgen, dies ist die frühe sozialgeschichtliche Bedeutung 
(message) der Drucktechnik.

Demokratische Politik und Massenmedien

Die gedruckten Nachrichten bezogen sich zunächst auf Ereignisse aus der Ferne. Anfang des 18. Jahrhunderts kam es vor, dass europäische Herrscher Briefe, die sie sich schrieben, auch in Zeitungen drucken ließen. Für Lesekundige wurde die internationale Politik der Höfe dadurch beobachtbar. Die Politik stellte sich auf die neuen Beobachtungsverhältnisse ein und präsentierte ihre Entscheidungen in „Intelligenzblättern“. Mit der Veröffentlichung der Politik wurde eine neue Rechtfertigungsstruktur erforderlich. Der Hinweis auf ihr Gottesgnadentum reichte nicht mehr zur Legitimation von Machtausübung. Der klassische Nationalstaat wurde zur Sache der Gebildeten des Volkes. „Diener des Staates“ war eine neue bürgerliche Legitimationsfigur.

Massenmedien entwickelten sich erst Ende des 19. Jahrhunderts. Die bürgerliche Gesellschaft lernte, Zeitung zu lesen – Politiker lernten, sich als „Interessenvertreter” ihrer Strömung und als „Repräsentanten des Volkes“ zu legitimieren. Wenn Politiker „vor Ort“ kamen und die alte Form der Anwesenheitskommunikation praktizierten, waren die Plätze voll - das war die einzige Möglichkeit, die handelnden Personen „live” zu erleben. Die Anwesenheitskommunikation der Herrscher wurde als Show für das Volk inszeniert (zur Medialisierung siehe Link)

Das Wechselspiel von (parteilicher) Massenpresse, Massenparteien und Demokratie hatte in Deutschland in der Weimarer Republik seinen kurzen Höhepunkt. Seit den 1950-er Jahren verändert das neue Medium Fernsehen (L) die Politik radikal. Die Fernsehkameras beleuchten das, was hinter der Bühne vor sich geht. Menschen, die ihren hohen Sozialstatus und ihre Macht dem privilegierten Zugang zu Informationen verdanken, verlieren die „Kontrolle” über die Informationen. Die elektronischen Medien unterminieren das ganze System abgestufter Hierarchie und delegierter Autorität. „Das Fernsehen entmystifiziert nicht nur die Orte, die tatsächlich gezeigt werden, sondern erzeugt auch ein neues Gefühl für die Zugänglichkeit und Offenheit aller Orte.“ (Joshua Meyrowitz, L)

Politiker erreichen ihre Wähler wesentlich über „die Medien“ - das bedeutet nun: vor allem über das Fernsehen.  Die Bevölkerung erwartet mehr Informationen, konkurrierende Politiker streuen Informationen zu ihren Gunsten, Herrschaft muss sich dagegen zur Wehr setzen mit immer mehr Informationen. Politiker müssen sich und ihre Politik fernsehgerecht inszenieren, die Parteien als Unterbau der Macht verlieren an Bedeutung. Der Politikwissenschaftler Thomas Meyer nennt das entstehende System „Mediokratie”(L). Die politischen Institutionen engagieren zunehmend professionelle Medienberater. Die Sphäre der Politik schottet sich ab hinter einer Wand von Medieninszenierungen. Medien interessieren sich weniger für die politischen Sachfragen und Entscheidungsprozesse („policy") als für Form und Verlauf des politischen Streits - Darstellungspolitik, „politics".

Aber wie kommen die Botschaften auch an beim Volk? Über die Bilder vermittelt sich den Fernsehzuschauern den Eindruck, die große weite Welt aus eigenem Erleben zu kennen - sie machen sich selbst ein Bild von der Welt. Die Erklärungsmuster dafür sind oft aber der Nahwelt entnommen, dem kleinen Kosmos dessen, den Menschen direkt erleben - ihrem „Mesokosmos” (Gerhard Vollmer). Komplizierte strukturelle Zusammenhänge werden personalisiert und auf einen schlichten Nenner gebracht. Die „Darstellungspolitik” orientiert sich daran.
Wenn die wichtigen Staatsmänner der Welt ein „Spitzengespräch” oder gar einen „G8-Gipfel” inszenieren, ist ein Tribut an das große Publikum in der Fernsehdemokratie. Politiker müssen ihre Handlungsfähigkeit medial unter Beweis stellen - durch einen symbolischen Akt, einen öffentlichen Händedruck oder den Hinweis auf streng vertrauliche Gespräche. Um auch einen entsprechenden Platz in den elektronischen Medien beanspruchen zu können, pilgern Kritiker zu den Zäunen der Gipfel-Treffen und veranstalten Protest-Demonstrationen. Auch solche Demonstrationen simulieren „Anwesenheitskommunikation”, sind aber schon vollständig mit dem Blick auf die Fernsehkameras inszeniert.

In einem ersten Erschrecken haben manche Beobachter den Eindruck gewonnen, dass die Logik der Medien damit die Logik der Politik „beherrschen“ könnte. Aber natürlich instrumentalisiert die Politik auch die Medien in der Mediendemokratie (L), um ein wenig sachkundiges und letztlich auch wenig interessiertes Massenpublikum zu erreichen. Welche Logik setzt sich durch und wird dominant, die der Politik oder die der Medien, fragten Politikwissenschaftler wie Meyer. Die Frage ist überholt, die „Fernsehgesellschaft” war nur ein Durchgangsstadium.

Die Macht der Empfänger in der digitalen Gesellschaft

Denn das, was im Zeitalter der Fernseh-Bilder und der Tageszeitungen - die unter dem Druck der Fernseh-Bilder bunt aufgehübschten wurden - als „Politik“ galt, wird steif und grau angesichts der Möglichkeiten des globalen elektronischen Medienzaubers. Das Internet wird Leitmedium (L). Wo auch immer ein Verbrechen in der Welt passiert, niemand wartet mehr, bis die Polizei ihre offizielle Darstellung des Geschehens gibt und der Tagesschausprecher es mit ernster Miene verkündet - über die sozialen Medien sind alle Interessierten blitzschnell informiert und die Polizei bittet um Übersendung der Handy-Videos, um sich ein Bild vom Tatort machen zu können. Die Kommunikationsnetze der Smartphones, die das Fernsehen mit den multimedialen Computern verschmelzen, machen aus den „Empfängern”, die alles aus dem Fernsehen wissen, aber im Ernstfall nur ihre Ohnmacht an einem Zaun demonstrieren können, aktive „Sender” und Teilnehmer am medialen Geschehen. Und in den sozialen Medien wird die Welt mit schlichten Weltbildern geordnet.
Die Menschen verlieren den Respekt vor den „Schriftgelehrten” der Aufklärung, den Politikern und ihren Journalisten, wenn sie selbst am Bildschirm erleben, dass Macht ganz anders funktioniert als die theatralische politische Pose („Ich habe entschieden …“) es suggeriert. Wesentliche politische Entscheidungen in der globalisierten Welt stehen kaum zur Disposition von Parteienstreit. In der modernen „Konsumgesellschaft” organisieren rivalisierende Politiker auch nicht mehr einen Parteienstreit an den Linien sozialer Interessenkonflikte. Schwarz, Gelb, Rot oder Grün kombiniert sich frei und wechselt sich in den Regierungsämtern bruchlos ab - geht es da um mehr als um Pfründe? Vor der Hintergrund-Macht der globalen Märkte und multinationaler Institutionen werden die Politiker klassischen Typs zu kleinen Möchte-Gern-Entscheidern, zu „Repräsentanten" des machtpolitischen Prozesses. Wer sitzt in Wahrheit an den „Schalthebeln der Macht”? Wenn Politiker nur noch als Koordinatoren von Sachzwängen erscheinen, werden „Verschwörungstheorien” attraktiv, die eine personalisierende Antwort auf die drängenden Fragen geben. 

Die populistischen Moden des beginnenden 21. Jahrhundert (L) haben die Verfechter von „mehr Demokratie wagengebremst. es mag sein, dass online-Abstimmungen über die Computer-Fernbedienung zur Selbstverständlichkeit werden und das Publikum über die Farbe des Lippenstiftes eines TV-Stars abstimmen kann. Über das Internet organisierte Boykott-Kampagnen beeinflussen mit Argumenten der Moral längst die globale Ökonomie. So rüttelt die politisch interessierte Zivilgesellschaft am Zaun der politischen Eliten, beschäftigt sich aber vor allem mit den medialen Konstrukten an der Oberfläche der Politik.  Über eine Medienkampagne von wenigen Wochen wurde im Jahre 2012 der Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg gestürzt - offenbar eine Medienkonstruktion, eine Attrappe. An der Politik des Ministeriums hat dieser „Sieg” nichts geändert. Was es für die Demokratie bedeutet, wenn der „Bürger in Uniform” durch Berufssoldaten abgelöst werden soll, interessierte in derselben Zeit kaum jemanden. Die Wende in der Atompolitik nach dem Unglück von Fukushima zeigt, dass die öffentliche Beobachtung der Regierungspolitik unter den Bedingungen von Mediendemokratie doch unter bestimmten Bedingungen einen substantiellen Politikwechsel erzwingen kann.

Aber lässt sich sich "mehr Demokratie" als Modell  auf die grundlegenden repräsentativen Strukturen (L) übertragen, wo bisher die aktive Teilnahme nur alle vier Jahre auf dem alten Beschreibstoff Papier möglich ist?  Liquid democracy galt als Modell einer Alternative (L). Seitdem  populistische Protestbewegungen Zweifel an der politischen Kompetenz des „Volkes” wachsen lassen, ist es bei den links-liberalen Eliten still geworden um den schönen Slogan von „mehr Demokratie”  

 

    siehe auch die Verweise in der linken Spalte und insbesondere die Überblickstexte

    Vor dem 18. Jahrhundert - Hören-Sagen-Öffentlichkeit in der frühen Neuzeit  MG-Link

    Das 19. Jahrhundert - Neuordnung des Hintergrundwissens durch Volksaufklärung und Massenpresse MG-Link

    Das 20. Jahrhundert - Politik und Medien in der Fernsehgesellschaft MG-Link

    Das 21. Jahrhundert - Politik in der digitalen Gesellschaft MG-Link

    Die Idee einer „liquid democracy” als moderne Form repräsentativer Demokratie  MG-Link