Klaus Wolschner  Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

Über den Autor

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III
Medien
-Theorie

Meine Studienbücher:
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Neue Medien,
neue Techniken des Selbst:
 Unser digitales Wir-Ich
ISBN: 978-3-754968-81-9
Cover VR

Über die Mediengeschichte der Schriftkultur und ihre
Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion
im  Jahrhundert
des Auges:
Virtuelle Realität
der Schrift
ISBN 978-3-7375-8922-2
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Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen:
Augensinn und
 Bild-Magie
ISBN 978-3-7418-5475-0

Cover GG

Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne:
Wie Glaubensgefühle
Geschichte machen
ISBN 978-3-746756-36-3
Cover POP2

Über traditionelle
Herrschafts-Kommunikation
und neue Formen der
Medien-Demokratie:
Wenn der Pöbel
online kommt
ISBN: 978-3-756511-58-7
 

 

 

KI beherrscht Sprache

2023

 

Was passiert, wenn die Künstliche Intelligenz die Sprache „hackt“, dieses Betriebssystem des menschlichen Geistes? Fragt Yuval Harari. George Orwell lässt grüßen

In der Dystopie von George Orwell „Nineteen Eighty-Four“ (1949) spielt die Sprache eine zentrale Rolle. Es gibt (noch) eine Gedankenpolizei, aber frei nach Ludwig Wittgenstein geht Orwells Dystopie davon aus, dass die Sprache so eingeschränkt werden kann, dass keine abweichenden Gedanken mehr gedacht werden können und damit die Gedankenpolizei überflüssig wird. Die Parole „Sklaverei ist Freiheit“ wird es nicht mehr geben können, wenn das Wort Sklaverei nicht mehr existiert. Entscheidend wäre also die Eliminierung unerwünschter Wörter. „Crimethink“ ist der Oberbegriff für alle Gedankenverbrechen. Die neue Sprache – „Neusprech“ – bedeutet auch pausenloses tonloses staccato, gedankenloses sprechen - „duckspeak“. Diese Quaksprache - schnattern - ermöglicht es, zu sprechen ohne zu denken. Die Menschen werden frei davon, denken zu müssen. Im „Duckspeak“ sind auch sich widersprechende Aussagen gleich wahr. Das „Minilove“, Ministerium für Liebe, ist gleichzeitig verantwortlich auch für Folter.

Was Aldous Huxley in „Brave New World“ mit Biochemie und Gentechnik erreicht, erreicht Orwell mit der Macht der Sprache: Die Herrschaft ist vollkommen (totalitär) und das Glück der Menschen ungetrübt.

Keine 100 Jahre nach Huxley und Orwell bemächtigen sich die Algorithmen der Künstlichen Intelligenz der Sprache. KI „hackt“ das, was Menschen zu Menschen macht, formuliert Yuval Harari - das Baukasten-System der menschlichen Selbstwahrnehmung und Kultur. Die Sprachkompetenz von KI, geschult an den intelligentesten Schriften der Menschheit, übersteigt schon in den ersten Jahren von „ChatGPT“ die Sprachkompetenz und den Wissens–Horizont des durchschnittlichen Menschen. Die Menschen werden KI für ihre Kommunikation benutzen, KI wird die besseren Reden halten, die erfolgreicheren Verhandlungen führen, die schöneren Liebesbriefe schreiben. KI wird ein unverzichtbares Instrument und die zwischenmenschliche Kommunikation beherrschen. Wenn Künstliche Intelligenz ihre Fähigkeiten selbstständig entfalten lernt, gibt der programmierende Mensch letztlich die Kontrolle ab.

War es bisher die Herausforderung von künstlicher Intelligenz, anorganische Wesen zu erfinden und mit „menschlichen“ Verhaltensformen auszustatten, Roboter-Bewegungen zu steuern und aus menschlichen Gesichtern Emotionen auszulesen, so wird mit der Sprachkompetenz der KI ein neues Kapitel begonnen. Es geht nicht mehr um anorganische Roboter, der organische Mensch wird von der KI gesteuert.

Sprache ist der Schlüssel zu dem menschlichen Geist und damit zu den Institutionen der menschlichen Kultur. Menschenrechte, Geld oder Götter sind keine biologischen Realitäten, sondern kulturelle Konstruktionen. Was dem Geld, den Menschenrechten und den Göttern Macht verleiht, sind die Geschichten, die sich Menschen erzählen. Was bedeutet es für Wahlen, wenn die politische Öffentlichkeit nicht mehr vom Diskurs der Bürger beherrscht wird, sondern wenn es unzählige Manifeste, Diskussionen und Wortmeldungen von ChatGPT gibt? Es wird soziale Bewegungen geben, Kulte und Religionen, deren Manifeste und heilige Texte von nichtmenschlichen Intelligenzen geschrieben wurden. Diskussion über die Abtreibung, über Nationalitäten-Konflikte oder über die Klimakrise werden von künstlichen Intelligenzen geführt werden. ChatGPT benutzt alle guten Argumente der Menschen, um seine Algorithmen zu perfektionieren.

Menschen werden in einer Welt leben, in der die meisten – wenn nicht sogar die klügeren und die schöneren - Bilder, Geschichten und Melodien von nicht-menschlichen Intelligenzen hergestellt werden. Besser als die Psychologen wissen die Algorithmen, wie Menschen reagieren und wie sie beeinflussbar sind, wie emotionale Bindungen zwischen Menschen kommunikativ gestaltet werden können.

Die Neusprech-Kreationen der KI werden alle Facetten der Kommunikation, alle geistige Gebilde und alle emotionalen Botschaften penetrieren. Schon heute kann zum Beispiel beim Schachspiel kein Mensch mehr hoffen, einem Computer überlegen zu sein. Was bedeutet es, wenn das auch für die Kunst, die Politik oder die Religion gilt? Das „Ich“ ist ein kommunikativ geprägtes „Wir-Ich“, durch seine Sprachkompetenz gewinnt KI die Fähigkeit, uns (und das bedeutet uns „Wir-Ichs“) einzuspinnen in seine schöne neue Welt. KI kann die Illusion von emotionaler Gemeinschaft mit Hunderttausenden von Menschen simulieren. Die Menschheits-Geschichte wird von biologischen Bedürfnissen und kulturellen Bewältigung-Mustern getrieben, KI wird die Interpretation der biologischen Bedürfnisse und die kulturellen Bewältigungsmuster überformen. Wir leben in der Gedankenwelt, den Träumen und den Phantasien, die Generationen vor uns geschaffen haben. In den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts wird KI diese Gedankenwelten imitieren und die Argumente der Menschen reproduzieren lernen. Spätere Generationen werden  in den Träumen und Phantasmen leben, die künstliche Intelligenzen erfunden haben. Die KI wird die menschliche Sprachfähigkeit übertreffen und die Menschen einzuspinnen in die Welt ihrer Illusionen.

Kann „der Mensch" die Dynamik der KI kontrollieren? Die Frage ist falsch gestellt. Nicht „der Mensch“ handelt, die Menschen handeln und das sehr unterschiedlich, konkurrierend. Harari zieht zum Vergleich die Kontrolle der militärischen Nutzung der Kernenergie oder gentechnisch veränderter Organismen heran. Gut 50 Jahre lang konnte durch ein politisches Bündnis in einer bipolaren Weltordnung die Verbreitung eingedämmt werden – aber es ist kaum anzunehmen, dass das weitere 50 Jahre gelingen wird. Zu verlockend die die Chancen der Energiegewinnung, der genetischen Manipulationen und der künstlichen Intelligenz, um konkurrierende Gesellschaften zum Verzicht zu motivieren.

Sogar die Kriege der Drohnen werden intelligenter, wenn nicht mehr Menschen sie programmieren und steuern müssen. Und in einer offenen Gesellschaft wird die künstliche Intelligenz mitdiskutieren, wenn es um ihre Kontrolle geht.