Klaus Wolschner  Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

Über den Autor

www.medien-gesellschaft.de


III
Medien
-Theorie

Cover WI

Neue Medien,
neue Techniken des Selbst:
 Unser digitales Wir-Ich

ISBN: 978-3-754968-81-9

Cover VR

Über die Mediengeschichte der Schriftkultur und ihre
Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion
im  Jahrhundert
des Auges:
Virtuelle Realität
der Schrift

ISBN 978-3-7375-8922-2

COVER AS

Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen:

Augensinn und
 Bild-Magie

ISBN 978-3-7418-5475-0

Cover GG

Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne:
Wie Glaubensgefühle
Geschichte machen

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Cover POP2

Über traditionelle
Herrschafts-Kommunikation
und neue Formen der
Medien-Demokratie:
Wenn der Pöbel
online kommt

ISBN: 978-3-756511-58-7

 

 

 

Sprache der Metaphern

Die Sprache scheint ein Instrument der Vernunft zu sein.
Bei näherem Hinsehen verankern Metaphern die Alltagssprache emotional
in mentalen Konzepten, die in leiblichen Erfahrungen verwurzelt sind

2014/2023

Je abstrakter und unvorstellbarer Zustände oder Dinge sind, desto mehr Metaphern müssen dabei helfen, wenigstens den Umgang mit den Phänomenen zu ermöglichen.
Ein schönes Beispiel dafür ist der alltägliche Umgang mit Computern. Die Verkäufer dieser neuen Technologie haben den Zugang dazu von Anfang an durch Metaphern geebnet: Die drehende Magnetscheibe nannten sie „Festplatte”, da soll es „Dateien“, „Papierkörbe“, Buchstaben, Objekte, die bewegt werden, geben. So etwas gibt in der elektronischen Physik nicht. Die Sprache des Internets hat sich umfänglich tradierter Bilder des Alltagsverstandes bedient: Das, was einen Computer mit einem anderen verbindet, ist ein „Netz“, wie in der Werkstatt gibt es „Werkzeugleisten“, Dokumente werden „heruntergeladen“. Wir empfangen und versenden „Post“ und müssen uns vor den Ansteckungsgefahren der „Viren“ schützen. Wir „surfen“ über „Datenautobahnen“ und leben in einem „globalen Dorf“, das gleichzeitig „Cyberspace“ ist, also ein Raum irgendwo hinter dem Bildschirm. Wie könnten überhaupt nicht mit den Geräten umgehen, wenn die Metaphern nicht nachvollziehbare Bedienungs-Routinen schaffen würden.

Metaphern prägen aber auch im Alltag, der uns als vertrautes Gelände gilt, unsere Wahrnehmung. Wenn ich jemanden „zum Fressen gern“ habe, geht es um einen Bereich, für den die Worte offenbar fehlen – was „fressen“ ist, weiß ich hingegen. Gerade im Bereich der Gefühle haben Metaphern eine große Bedeutung – sie helfen uns Verstandeswesen, Gefühle wenigstens zu benennen. Metaphern können auch Gefühle hervorrufen.

Die „Väter“ der linguistischen Metaphern-Theorie, George Lakoff und Mark Johnson, haben festgestellt: „Wir reden nicht nur in Metaphern, wir denken in Metaphern.“ Metaphern sind aus direkten, körperlichen Erfahrungen entstanden. Etwa dem Gefühl der Wärme, das zur Metapher für Zuneigung wird. Das Gegenteil wäre „die kalte Schulter“.

Metaphern prägen kognitive Strukturen, etwa die dem Krieg entnommenen Sprachbilder, mit denen kontroverse Kommunikation beschrieben wird: Wir „beziehen Position“, wollen ein Argument „niedermachen", Schwachpunkte „angreifen“, kennen eine Kritik, die „ins Schwarze trifft".

Subtiler wirken die Metaphern, mit denen wir das unverständliche Phänomen der Zeit beschreiben: Zeit „fließt“, wir wollen keine Zeit „verschenken" oder „vergeuden" oder wir „nehmen“ uns Zeit für jemanden.  Mental machen wir uns so Zeit verfügbar wie einen Gegenstand der Dingwelt - „Zeit ist Geld".
„Unten“ und „oben“ sind körperlichen Erfahrungen, die die Sprache sich zunutze macht, um komplizierte Phänomene der Kultur zu ordnen: Glück, Tugend, Macht und Gesundheit etwa haben ein klares „unten“ und ein „oben“. Glückliche Menschen sind „obenauf“, Vorbilder zeichnen sich durch eine „hohe“ Tugend aus, die Stufen der Macht werden „erklommen“. Oben ist in der Regel gut, unten ist unterlegen und schlecht. Selbst das Ansehen einer Person kann „steigen“ oder „fallen“.

Wir reden von einem „Briefkopf, von „Zahnrädern“ oder den „Beinen“ an Tischen und Stühlen. Wir beißen auf Granit. Wir denken „oberflächlich“ oder sind „voll“ des Dankes. Wir machen „Nägel mit Köpfen, wir suchen nach Argumenten, die „unter die Haut gehen. Metaphern sind sprachliche Bilder für eine Sache zur Bezeichnung einer anderen Sache. „Metaphern verstärken unser Vermögen, die Welt um uns herum wahrzunehmen und zu verstehen.“ (Jaynes) In den Metaphern für zwischenmenschliche Beziehungen spielt die Haut eine wichtige Rolle. Wir kommen „in Berührung“ mit jemandem, sind „dickfellig“ oder „dünnhäutig“. 
Sprache ist Kommunikationsmittel und gleichzeitig Wahrnehmungsorgan. Die metaphorische Etymologie vieler Worte, die wir selbstverständlich benutzen, ist nicht immer deutlich oder bewusst. Der Wortschatz einer Sprache besteht so aus einer endlichen Menge von Ausdrücken, die auf Metaphern zurückgehen. „Eine Sache verstehen heißt eine Metapher für sie finden, indem wir etwas Vertrauteres an ihre Stelle setzen. Das Gefühl der Vertrautheit ist das Gefühl, verstanden zu haben.“ (Jaynes) 
In der Kultur- und Sprachgeschichte gibt es verschiedene Muster, die Vertrautheit herstellen. Das archaische mythische Wahrnehmen hat Prozesse, die wir heute als „natürlich“ und mit naturwissenschaftlichen „Gesetzen“ erklären, personalisiert, als menschenverursacht vor Augen gestellt und damit zu „begreifen“ versucht. Gewitter sind für das Denken mit mythischen Metaphern Gottes-Akte oder vielleicht auch Lärm vom Kampfgetümmel verschiedener Gottheiten oder Dämonen.  
Unser mentales Bewusstsein konstruiert aus Metaphern und Analogien eine gedachte Welt, in der wir Ursachen und Folgen bedenken und somit für unser Handeln Gründe suchen können. Ob dieses Bedenken im Sinne von Probehandeln dem Handeln vorausgeht oder nur schlicht rechtfertigend nachfolgt, macht für unsere Selbstvergewisserung keinen Unterschied.
Wenn wir versuchen, unser Bewusstsein zu verstehen, benutzen wir wiederum Metaphern. Wir „sehen“ die Lösung eines Problems, wir bedenken Probleme unter einem bestimmten „Gesichtspunkt
, wir „begreifen“ etwas. Wir stellen uns dank dieser Metaphern den mentalen Innenraum nach dem Muster von äußerlichem Verhalten vor. Es gibt auch unangemessene Metaphern – wenn die Ober- und Untertöne der Metapher nicht passend sind. Bei der Rede von der Liebe, die „wie eine Rose“ sei, stimmen diese Untertöne: Die Liebe blüht in der Sonne, sie duftet, sie kann ihre Stacheln hervorkehren, sie welkt irgendwann. Das mentale Bewusstsein ist aus demselben Stoff wie die Dichtung: Dieses sprachlich vermittelte Bewusstsein „ist ein Werk der sprachlichen Metaphorik“ (Jaynes). So wie wir uns in unserer Welt zurechtfinden, prägen wir ihr mentales metaphorisches Abbild und daher können wir uns – meist – dank unserer metaphorischen Bewusstseins-Filter in der Welt zurechtfinden. Die poetischen Figuren sind ein Mittel, um die ungeheuer große  Komplexität der Wirklichkeit aufscheinen zu lassen und gleichzeitig in dem Rahmen der sprachlichen Repräsentanten einzufangen.

Während in unserem Gehirn immer verschiedene Prozesse parallel ablaufen, kann unser aufmerksames mentales Bewusstsein nur eins nach dem anderen verkraften. Es ordnet also in Reihe, was ihm angeboten wird, es sortiert die Vorstellungsbilder in einem imaginären Raum. Auch „Zeit“ können wir uns nur vorstellen, wenn wir sie verräumlichen und den Fluss der Ereignisse in „davor“ und „dahinter“ aufteilen. Unser mentales Bewusstsein selektiert. Wenn ein Objekt so ähnlich aussieht wie die, die wir früher als „Baum“ begriffen haben, dann wird es auch ein Baum sein. Bewusst werden uns immer nur einzelne Aspekte der Wirklichkeit und mit Vorliebe Aspekte, die wir schon kennen und die sich als plausible Folge von Ursache und Wirkung darstellen lassen, die also unserem Modell von Handeln folgen. Wirkungen ohne Ursache sind ganz schwierig und unübersichtlich komplexe Vorgänge erscheinen uns „unbegreiflich, erschließen sich dem mentalen Bewusstsein nicht, dafür konstruiert unser Geist gern einfachere Erklärungen. Wir haben in unserem Bewusstsein eine klare Vorstellung von Liebe, aber die Metaphern, mit der wir sie beschreiben, verraten ihre Unbegreiflichkeit. Wir nähern uns ihr durch Muster der Erinnerung, alte Geschichten machen unbegreifliche neue Erfahrungen vertraut.

Unsere Sprache stellt gern Prozesse ohne verursachendes Subjekt vor, die wir nicht durchschauen“ und für die wir keine Ursache erkennen können: Die „Inflation“ etwa kommt und geht wie das Wetter oder ein Untier. Die Inflation „frisst die Gewinne auf." Wenn „die Religion“ es mir verbietet, Wein zu trinken, muss ist nicht darüber nachdenken, warum ich mir das selbst verbiete. „Der Alkohol war stärker als ich", sagt der Trinker zu seiner Entschuldigung.

Metonymie nennt man Metaphern, die das Verständnis erleichtern, indem sie ein Teil für das Ganze nehmen. „Hitler hat den Krieg gewollt“ - Personalisierung ist ein wichtiges Konzept der Verdeutlichung von komplexen Zusammenhängen.

Was sind Theorien? Theorien sind „Gebäude“, die ein „Fundament" haben und ein „Gerüst" brauche, damit sie nicht zusammenfallen. Ideen sind „halbgar" oder „unverdaut“, Behauptungen werden „geschluckt", Bücher als geistige Nahrung „verschlungen". Ideen haben „Väter", „leben weiter“, „tragen Früchte", sind „ausgereift", wenn sie ihren „letzten Schliff" bekommen haben. Sigmund Freuds Theorien über das undurchschaubare und unbewusste Triebleben konnten populär werden, weil er die Metaphern der Hydraulik benutzte.

Natürlich lebt auch die Politik von ihren Metaphern – und kann ohne eingängige Metaphern nicht erfolgreich vermittelt werden. Politiker „stehen mit dem Rücken zur Wand“, „schlagen auf den Tisch“, „strecken die Hand aus“, reden „weichgespült“ daher. Ihre Argumente sind „kurzatmig“ oder „fundiert“.  Als der US-Präsident George W. Bush den „Krieg gegen den Terror verkündete, war die Botschaft vollkommen klar und niemand wusste, was das bedeuten könnte. „Volk ohne Raum“ war eine ähnlich legitimierende Kriegs-Metapher, die ihre eigene Wahrheit erst geschaffen hat. Umgekehrt sind „sanfte Energien“ gut, weil sie „sanft“ sind.

Essen und Geschmack

Je weniger die Menschen Hunger haben, desto mehr reden sie über den Geschmack der Speisen. Aufgrund des Mangels an Metaphern bleiben aber die Diskurse der Essenskultur auffallend nüchtern und listen vor allem die Elemente auf, die auf den Teller kommen. Jedermann weiß über die Liebe, dass sie „durch den Magen geht“, aber ein Satz wie „Erdbeeren mit Sahne schmecken wie ein Zungenkuss“ würde sich merkwürdig anhören. Für die Quelle von wunderschönen Metaphern gibt es kaum Metaphern.
Oft tritt der Geschmackssinn hinter der visuellen Wahrnehmung zurück und es kommt zu Reizirrtümern: Was im „Dunkelrestaurants“ köstlich schmeckt, kann sich bei näherem Hinsehen als ekelhaft entpuppen. Bei blinder Verkostung können viele Weintrinker nicht einmal Rot- von Weißwein unterschieden.
Geschmackswahrnehmungen sind komplex, visuelle und Geruchselemente spielen eine wichtige Rolle, auch taktile Empfindungen. Aber das würde den Geschmack geradezu zum prädestinierten Objekt für Metaphern machen.
Die Weinsprache ist vielleicht die am meisten entfaltete Geschmacksgenuss-Sprache – wer ihre blumigen Bilder beherrscht, kann nicht nur den Wein besser genießen, sondern nebenbei auch damit den feinen Unterschied markieren, mit dem der Kenner sich zu erkennen gibt.
Die Sprache baut eine Brücke zwischen Wahrnehmung und der Kultur, das Benennungen einer Sache ordnet diese einem Konzept zu. Das Sprechen über das Schmecken fördert damit das kulturvolle Genießen der Speise.

Metaphern sind leibliche Verständigungs-Hilfen

Insbesondere die metaphorischen Anspielungen auf das Essen gehören in vielen Bereichen zu den gängigen Sprachfiguren. Metaphern sind Verständnis-Hilfen – wir verstehen die leibliche Komponente direkt, die in der Metapher mitschwingt, und assoziieren damit eine bestimmte Interpretation des „eigentlichen“ Gegenstandes. Neurowissenschaftler haben jüngst im Experiment eine Bestätigung gefunden: Die Wirkung der beliebten Geschmacksmetaphern im Gehirn ist direkt in den Regionen, in denen Geschmacksempfindungen verarbeitet werden, nachweisbar. Es macht eben einen Unterschied, ob wir sagen: „Die Trennung war bitter für ihn“ oder „Die Trennung war schlecht für ihn“. Metaphern sind emotional wirksamer, wenn sie körperliche Erfahrungen assoziieren. Ein „süßes“ Kompliment geht besser unter die Haut als ein „nettes“ Kompliment.