Klaus Wolschner                    Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

Über den Autor

www.medien-gesellschaft.de


III
Medien
-Theorie

Augensinn Cover

Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen:

Augensinn und
 Bild-Magie
ISBN 978-3-7418-5475-0
 

Schriftmagie Cover

Über die Mediengeschichte der Schriftkultur und ihre
Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion
im  Jahrhundert
des Auges:

Virtuelle Realität
der Schrift
ISBN 978-3-7375-8922-2

GG Titel

Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne:
Wie Glaubensgefühle
Geschichte machen
ISBN 978-3-746756-36-3

POP55

Über traditionelle
Herrschafts-Kommunikation
und neue Formen der
Medien-Demokratie:
Wenn der Pöbel
online kommt

ISBN: 978-3-752948-72-1
 

Was meint „Medium“?

2016

Medien sind „Mittel“. Das Wort Medien hat im Sprachgebrauch verschiedenste Bedeutungen. Im spiritistischen Kontext werden Wesen als „Medien“ bezeichnet, die die Verbindung zu übersinnlichen Welten herstellen. Geld ist ein „Medium“, ein Tauschmittel, dass den Dingen einen Wert zuschreibt, den sie „an sich“ nicht haben, der sie aber vergleichbar und damit handelbar macht. Dem Physiker gelten Stoffe wie Luft oder Flüssigkeiten als „Medien".

Das lateinische Wort „medius“ ist abgeleitet vom griechischen „méson“. Medium bezeichnet ursprünglich zunächst das in der Mitte Befindliche, aber auch Zwischenraum, Unterschied und Vermittlung, weiterhin Gemeinwohl und Öffentlichkeit. Während das lateinische „medius" noch primär das in einem räumlichen Sinn „in der Mitte Befindliche" bezeichnet, entwickelt das seit dem 17. Jahrhundert in der deutschen Sprache nachweisbare Fremdwort im 18. Jahrhundert zwei unterschiedliche Bedeutungsfelder. „Medium" wird eine Bezeichnung für „Hilfsmittel" und „Werkzeug", also das, was zur Erreichung eines Zweckes dient. Und „Medium" bezeichnet  „das zwischen zwei Dingen Vermittelnde" im Sinn von „Mitte", „Mittler", „Mittelglied".

Die „Medien“ der Kommunikationswissenschaft sind Kommunikationsmedien.

Luft ist für die Lebewesen auf der Erde ein „Medium“, ihr Sauerstoff ermöglicht das Atmen. Luft füllt unsichtbar den Raum, lässt aber gleichwohl Licht hindurchscheinen. Luft lässt Duftstoffe diffundieren, sie ermöglicht das Riechen. Luft leitet Schwingungen oder Druckwellen weiter – sie ermöglicht das Hören. Nur weil sie weder sichtbar noch greifbar ist, nehmen wir sie normalerweise nicht als das natürliche Umwelt-Medium wahr, das den Menschen umgibt und Leben ermöglicht. Im Medium der Luft können sich Lebewesen zudem leicht fortbewegen – mit Hilfe der Sinneswahrnehmungen, die die Luft ermöglicht, steuern und kontrollieren sie ihre Fortbewegung durch das, was sie sehen, hören und riechen. „Die Beleuchtung ermöglicht, dass das Lebewesen Dinge sehen kann, der Schall, dass es Dinge hören kann und die Diffusion, dass es Dinge riechen kann. Das Medium enthält also Information über Dinge, die Licht reflektieren, vibrieren oder flüchtig sind. Durch Herausfinden dieser Information steuert und kontrolliert das Lebewesen seine Fortbewegung.“ (James J. Gibson)

Nur der Tastsinn liefert seine sinnlichen Eindrücke von der Realität unmittelbar an das Gehirn, also ohne ein Medium der Wahrnehmung. Aber mehr als „warm oder kalt“, „spitz oder rund“, „hart oder weich“, also mehr als ein Regenwurm würde auch der Mensch über seinen Tastsinn nicht identifizieren können - hätte er nicht Bilder von den ertasteten Gegenständen im Kopf.

Entscheidend für die Wahrnehmung ist die Bedeutung, die aufgenommenen Reizen zugeschrieben wird. Die Mittel dazu sind die kulturellen Muster der Produktion sinnhafter Realität, Zeichen und Symbole, vor allem die Sprache, also Kommunikationsmedien. Das ertastende „Begreifen“ ist als Metapher für gelungene Wirklichkeits-Repräsentation geblieben. Neugeborene „begreifen“ den Körper ihrer Mutter und wachsen dann aber in eine Welt voller kultureller Muster hinein, die ihnen als Wort-Laute, Bild- und Schriftzeichen nahegebracht werden. Das Wirklichkeits-Bewusstsein eines erwachsenen Menschen ist vor allem aus visuellen Bildern und akustischen Lauten konstruiert, die Menschen in ihren Lebensgemeinschaften teilen: Kommunikationsmittel sind vermittelnde Zeichen. Auch die Zeichenträger für Bilder und Schrift, die im Grunde Techniken ihrer Verbreitung sind, werden gewöhnlich unter den Begriff der Kommunikationsmedien subsumiert – vom Holz und Stein über das Papier bis zu elektrochemischen Zeichenträgern (Foto, Film) und schließlich dem digitalen elektronischen Netzwerk der Festplatten (Internet).

Von der Wahrnehmung der Zeichen zum Sinn

Über ihre Sinnesorgane nehmen höhere Lebewesen unendlich viele Signale aus der Umwelt auf. Sobald das Gehirn in diesem Sinnes-Rauschen besondere Muster identifizieren kann, macht es diese als akustische oder visuelle Zeichen bewusst und gruppiert sie zu Konzepten und Vorstellungen. Neue Informationen werden im Kontext der „gespeicherten” alten Informationen und persönlicher Erfahrungen bestimmten Bedeutungen zugeordnet. 
„Informationen” werden aus den Rohdaten des Sinnes-Rauschens erst, wenn Lebewesen sie im Kontext ihres kulturellen Wissens selektieren, Lücken schließen, Sinn konstruieren. „Medien“ vermitteln also Zeichen in einem gesellschaftlichen Kontext, der erst den Zeichen Bedeutung verleiht. Erst die soziale Gemeinschaft gibt den Zeichen-Mustern ein gemeinsames Verständnis dessen, was sie als Sinn transportieren (sollen). Die Interpretation der Zeichen reduziert, schafft Kontext, überhöht die Bedeutung von Zeichen - und schafft ihren Sinn. Überspitzt gesagt: Wir verstehen hörend und sehen das, was wir wahrzunehmen glauben und wahrnehmen wollen.

Das Benennen von Dingen ist ein kulturell gewachsener, eingespielter Gebrauch von Namen, die in der Natur keine Entsprechung haben. Was ist gut, was böse? Kultur beginnt dort, wo etwas benannt wird. Die kulturellen Konstruktionen gibt es „in der Natur“ nicht: Es gibt in der Natur Bäume, aber nicht „den Baum“ als Typus, der es in der kultivierten Sprache ermöglicht, einen einzelnen Baum einzuordnen, also Ordnung im Kopf herzustellen. Unbenannte Natur ist reich an Gestalten, aber hat kein Wesen. Der Name ist mehr als Etikett, er ist eine Transzendierung des nur Körperlichen. Nur was benannt ist, kann eingeordnet werden nach mehr oder weniger nützlich oder gefährlich, kann geistig beherrscht werden, verliert den Schrecken des Unbekannten. Die Benennung des Gottes ist in jeder Kultur ein Sprechakt der Aneignung – mit dem, der benannt ist, kann man reden oder zumindest in Händel kommen: Man kann ihn durch Opfer versöhnlich stimmen, spenden. Ein Gott, der wirklich nicht benannt werden darf, auch nicht als der Namenlose „Ich bin der ich bin da“ angesprochen werden darf, wäre ein unheimlicher Gott. 
Benennung schafft Bedeutung, markiert, sortiert, ordnet ein. Die Benennung ist ein Sprechakt, mit dem sich der Mensch den Gegenstand aneignet oder den Anderen identifiziert.

Reale Gegenstände lösen „Akte der Aufmerksamkeit“ aus, die das Gehirn interpretieren will und über deren Interpretation Kulturen ihre jeweiligen Gewohnheiten herstellen müssen. „Der Mensch ist ein symbolisches Wesen, und in diesem Sinne sind nicht nur die Wortsprache, sondern die Kultur insgesamt, die Riten, die Institutionen, die sozialen Beziehungen, die Bräuche usw. nichts anderes als symbolische Formen", formuliert Umberto Eco im Anschluss an Ernst Cassirer. 

Chaos

Die Ordnung des Chaos: Der kulturelle Weltbezug des Menschen ist ein medial vermittelter

Am Anfang war das Chaos. Auch Tiere haben Angst vor dem Chaos, haben ein inneres Bild davon, gehen instinktiv in Deckung, suchen Schutz. Menschen fassen ihr Empfinden in Worte: „Das sind Sturmwolken.“ Das Wort ordnet den Anblick, macht aus dem Chaos einen geordneten Kosmos.  Dieses leibliche Spüren ist dem Menschen nicht verloren gegangen. Aber wenn der Mensch Gefahr spürt, versucht er sie zu benennen. Dieses Benennen ordnet sie ein, macht sie vergleichbar mit anderen, „be-greifbar“, zumindest symbolisch. Wenn der schreckliche Gott des Sturmes „Odin“ heißt, hat das Ungeheuer einen Namen. Der Name macht das Schreckliche zugänglich für allzumenschliche Tauschgeschäfte: Können Gebete ihn besänftigen? Oder Gaben, Opfer?  Haben wir genug geopfert?

Um den Handel mit dem inneren Bild zu erleichtern, schnitzten die Menschen in archaischen Kulturen kleine Handpuppen. Der kleine Odin ist als Artefakt präsent, auch wenn die Sturmwolken nicht präsent sind.  Er steht für das Schreckliche und für die Bezähmung des Schrecklichen. Die mythischen, archaischen Götter-Schnitzbilder sind keine Abbilder im modernen Sinn, keine reinen Symbole, sondern als Götter-Präsenzen selbst wirkmächtig. Noch griechische Marmor-Götter wurden gewaschen und mit Nahrungs-Opfern bedient.

Menschen verkriechen sich auch vor der Gefahr, verlassen möglicherweise ihre zu leichten Behausungen, suchen Schutz in heiligen Höhlen. Sie suchen das Schreckliche mit ihren Mythen und mit ihren Artefakten zu bannen. Auch mit dem Kreuz. „Schütze uns vor dem Bösen“ lernen christliche Kinder heute noch im Anblick des Kreuzes zu beten. Auch heute noch wird das Kreuz als Amulett getragen, es soll Glück bringen. Verschone mich. Wie es seinem Erfinder, dem grausamen römischen Kaiser Konstantin, Glück brachte in der blutigen Schlacht mit seinem Rivalen Valerius Maxentius. Das Kreuz wurde seit Konstantins Traum („In diesem Zeichen wirst du siegen“) zum Bildzeichen der geordneten Welt. Ein willkürliches Zeichen. Das Zeichen steht für eine Erzählung, die das Schreckliche kennt und geradezu auskostet und gleichzeitig Hoffnung macht: niedergefahren zur Erde, grausam als Verbrecher gestorben, aber auferstanden. Mit dem Kreuz wird das Christentum zu einer Bild-Religion. Dass es ein abstraktes Symbol ist - zwei gekreuzte Linien unterschiedlicher Länge, mehr nicht - macht es offen für die gesamte erzählerische Tradition, die es interpretiert.

Das Chaos ist eine „Welt des Gesehenen, Gehörten, Getasteten, eine Welt optischer, akustischer, haptischer Phänomene", so formuliert Ernst Cassirer in seiner Logik des Symbolbegriffs (1938). Der menschliche Geist kann dieses Chaos nur erfassen, verstehen, begreifen, wenn er es mit seinen Mitteln ordnet. Geistigen Zugang zur Wirklichkeit verschafft sich der Mensch mit seinen mentalen Repräsentationen. Er spürt den Sturm und begreift den chaotischen Anblick als Bild des Sturms, und während sich das Netzhautbild jeden Moment verändert, bleibt das symbolische Bild vom Sturm als inneres Bild konstant.

Durch seine geistige Tätigkeit ordnet der Mensch die Welt für sich, für sein Begreifen. Auch Tiere müssen, um sich in ihrer Welt orientieren zu können, neuronale Muster für „innere Bilder“ entwickeln, die ihnen sagen, was fressbar ist und was gefährlich. Fressbar zum Beispiel sind kleine Punkte, die sich bewegen, sagt das Froschgehirn dem Frosch. Für still sitzende Fliegen hat er kein „inneres Bild“, weil sein visuelles System das als „Rauschen“ und wenig aufregend ausblendet, ihm also letztlich unterschlägt. Ein großes sich bewegendes Objekt signalisiert für das Froschgehirn Gefahr. Max Scheler berichtet fasziniert von dem Spinnenversuch von Hans Volkelt. Dieser hat beobachtet, dass eine Spinne eine Mücke, die sich in ihrem Netz verfängt, also ihrem Tastsinn zugänglich ist, als Beute erkennt, vor einer Mücke aber flieht, wenn sie ihrem Gesichtssinn präsentiert wird.

Tiere kombinieren ihre inneren Bilder mit weitgehend instinktiven Reaktionsmustern, die Verhaltensforscher als Überlebens- und Fortpflanzungsimpulse interpretieren. Tiere können, wie die Warnrufe bestimmter Affenarten zeigen, ihre „inneren Bilder“ auch akustisch kommunizieren, sie können innere Bilder visuell ausdrücken und ihren Artgenossen „zeigen“, dass sie sich unterwerfen oder dass sie die Zähne fletschen und bereit zu Angriff sind.

Menschen können ihre inneren Bilder mithilfe eines komplexen Symbolsystems „Sprache“ sehr differenziert darstellen. Das Kommunikationsmittel Sprache schafft ganz neue Möglichkeiten der kommunikativen Ordnung der Welt, viel differenziertere als die Mittel, über die Tiere verfügen. In diesem Sinne wird Sprache zu dem menschlichen „Medium“ im Sinne von Marshall McLuhan: Die Sprache eröffnet neue Bedeutungsräume für die Ordnung der Welt. Diese Bedeutungs-Kultur entwickelt sich kommunikativ über Generationen, in der Sprache ist ein ganzes System von Bedeutungen verfestigt. Wenn zum Beispiel das Wort „Seele“ in der Welt ist, prägt es Wirklichkeits-Vorstellungen, es ordnet mit seinem Antipoden, dem Leib, das Bild vom Menschen und entfaltet seine Bedeutung auch wenn die Frage, was das wirklich ist, „Seele“, immer wieder neue Ratlosigkeiten hinterlässt.  Das ist der Wortrealismus: Das Aussprechen des Wortes „Seele“ ist klar, dass da etwas ist, auch wenn unklar ist, was eigentlich. Oder „Hölle“ oder „Sünde“ – solche Worte haben abendländische Geschichte gemacht.

Der kulturelle Weltbezug des Menschen ist ein medial vermittelter. Das Singen stiftete in den archaischen Horden des homo sapiens die Gemeinschaft, mit ihrem Sprechgesang konnten die Menschen sich zudem abstimmen, etwa für die Jagd. Die Sprache schließlich schafft die Voraussetzung für eine differenzierte Welt-Ordnung. 

Es gibt eine „natürliche Symbolik" einfacher körpernaher, leiblicher Wahrnehmungen und die kulturelle „künstlichen Symbolik" der Sprache und der Bilder, auf der Mythen, Weltbilder, Kunst und Wissenschaft aufbauen und mit denen das Wahrgenommene zur Welt gestaltet wird. 

Schon das Medium Sprache verlagert die symbolisierende Fähigkeit des Menschen nach außen, das Bezeichnete erscheint in dem flüchtigen Medium des Schalls und kann fixiert werden im menschlichen Gedächtnis. Dauerhaft und „für alle Ewigkeit“ fixiert wird der akustische Sprachklang durch seine Übersetzung in ein visuelles Symbolsystem, die Schrift. Als Klang fixierbar wird akustische Sprache erst mit dem Tonband und der Festplatte des Computers.

Die gedachte Ordnung der Welt vermittelt dem Menschen ein Gefühl der Geborgenheit. Hinter dem Bedürfnis nach einer Ordnung der Welt steht das Bedürfnis nach psychischem Wohlergehen. Eine unfassbare Welt erscheint als Chaos, Leere, Nichts. Die Überführung der Welt aus dem Zustand des Chaos in einen geordneten Kosmos wird als göttlicher Schöpfungsakt zur Ursprungs-Idee aller Ordnung. Platon schreibt in seinen Dialogen mit Timaios, dass „Gott wollte, daß alles gut und, soviel wie möglich, nichts schlecht sei“. Offenbar liebt Gott seine Menschen und kennt ihre Bedürfnisse. Und da er „alles Sichtbare nicht in Ruhe, sondern in ungehöriger und ordnungsloser Bewegung vorfand“, brachte er es „aus der Unordnung zur Ordnung". Die Idee, dass es einen Schöpfer der Ordnung geben muss, steht so am Anfang der geistigen Weltordnung der Menschen. „Feuer, Wasser, Luft und Erde“ befanden sich in einem gottlosen Zustand, so jedenfalls Platon, und so erfand Gott die schönste aller Ordnungsideen, die Mathematik: „Diese von Natur also Beschaffenen formte zunächst Gott durch Gestaltungen und Zahlen."  

Da, wo die geistigen Ordnungen auf am Leib spürbare Erfahrungen stoßen, unterliegen sie einer praktischen Kontrolle. Erst wenn bestimmte Gedanken mit der Vielzahl von Erfahrungen vereinbar sind, erscheinen sie als wahr und sind Grundlage für verallgemeindernde sprachliche Metaphern, die als „Wesen“ des Bezeichneten interpretiert werden. Dass rote Früchte süß und weibliche Sanduhr-Formen sexy sind, macht sie schön. Dass nicht alle „schönen“ Früchte süß sind, manche sogar giftig, tut der Idee des Schönen dann keinen Abbruch mehr. Wir sehen den grünen Busch und die rot leuchtende Frucht – und finden sie „schön“, weil sie mit unserem kulturell geformten Bild von Schönheit übereinstimmt. Die rot glühende Herdplatte ist dagegen überhaupt nicht schön, sondern signalisiert Gefahr.

Da wo Bedeutung nicht mehr handgreiflich spürbar werden kann, ist sie offen für große Interpretationen. Die Idee des Schöpfergottes, der als ein Guter im Sinne der menschlichen Moralvorstellungen gedacht wird, steht am Anfang dieser Interpretationen. Erzählungen mythischer Art müssen vor allem in sich konsistent sein. Da sie als Gemeinschaft stiftende Erzählungen entstanden sind, sind sie von den Machtinteressen derer geformt, die die Gemeinschaft stifteten. Im Kult erneuert und festigt sich die Gemeinschaft und für den Kult sind die archaischen Artefakte produziert worden, visuelle Kunstwerke wie die Statuen oder die Tempel. Auch die archaischen Schriftzeichen und ihre Schriftträger waren heilige Artefakte in diesem Sinne. Die frühe Magie der Schrift ist Teil der Bildmagie. Denn wenn die „Tora“ in der jüdischen Tradition mit der Aura des Geheimnisvollen umgeben wurde, verehrt, aber unberührbar und für normale Sterbliche unzugänglich von den Priestern aufbewahrt, dann entsprach das einem entwickelten Kult innerer Bilder.

Bedeutung erhält ein visueller Eindruck durch die Sinnzusammenhänge, in die ihn das wahr-nehmende Bewusstsein einfügt. Die Wahr-nehmung abstrahiert aus dem chaotischen visuellen Eindruck ein Allgemeines, das ordnende Bewusstsein erkennt in den unterschiedlichen Formen und Farben im Apfelbaum „Äpfel“ und unterscheidet sie von den Blättern. Bewusstsein ist gestaltete sinnliche Wahrnehmung. 

Die vermittelte Bedeutung hängt auch von den Möglichkeiten des Mediums ab, das sie vermittelt. Schon die menschlichen Sinnesorgane beschränken den Bereich des unmittelbar Wahrnehmbaren auf ein Überlebens-Spektrum. Sowohl Auge wie Ohr und Gedächtnis ersparen mit ihrer Beschänktheit dem Gehirn Sinneseindrücke, die für das Überleben des steinzeitlich geformten ‚homo sapiens’ nicht notwendig waren.

Durch seine „Medien“ erweitert der Mensch sein leibliches Vermögen. Die Bildsymbolik der Wahrnehmung und die Sprache erweitern die Möglichkeiten des Sichtbaren, indem sie die Eindrücke sortieren helfen. Die Schrift erweitert die Möglichkeiten des Gedächtnisses, sie steht am Anfang einer apparativen  Externalisierung des leiblichen Wahrnehmungsvermögens.

Kulturgeschichte der Kommunikations-Medien

Menschen können sich durch symbolische Zeichen Ausdruck verleihen, aber nur im Kontext der Gemeinschaft, in der sie leben und verstanden werden. Erst im gesellschaftlichen Kontext haben Gedanken, Gefühle und Ideen eines einzelnen Mitglieds der Gemeinschaft Bedeutung, durch Kommunikation bilden sich also menschliche Gemeinschaften - und verändern sich. Die Geschichte der Medienkultur ist die Geschichte der Wahrnehmungs- und Kommunikationsmöglichkeiten; im Unterschied zu Gemeinschaften in der Tierwelt ist für die Kommunikationsmittel der menschlichen Gemeinschaften ihre kulturgeschichtliche Entwicklung wesentlich.

Zur den primären, natürlichen Mitteln der Kommunikation gehören  
- körperliche Berührungen und Bewegungen, also Zeige-Gesten, Gesichts-Grimassen, Tänze
- Ton-Änderungen, also Laute, Klänge, Musik - und Sprache. 

Am Anfang der Hochkulturen der Menschheitsgeschichte steht die Speicherung von Kommunikation durch visuelle Symbol-Zeichen: kleine Schnitz-Bilder, große Marmor-Plastiken, monumentale heilige Bauwerke und Schriftzeichen. Die ursprünglichen technischen Kommunikationsmedien sind die bildlichen Artefakte, also Statuen und heiligen Bauwerke und in Ton geritzte Sinnbilder. Man könnte die Pyramiden neben den Münzen als frühe Form von „Massenmedien” begreifen. 
Zu den technischen Kommunikationsmedien (Verbreitungsmitteln) gehören dann natürlich der Ton, das Leder und das Pergament, auf die die Schriftzeichen aufgetragen wurden, und der Stein, in den sie gemeißelt wurden. Sie sind Speichermedien und Transportmittel für Sprechakte und konnten ursprünglich nur laut gelesen werden, wurden also durch Sprecher in akustische Sprache zurückverwandelt. 
Die europäische Kulturentwicklung der Neuzeit, die inzwischen weltweit dominant ist, hat sich auf der Basis der massenhaften Verbreitung schriftlicher Speichermedien (Technik des Buchdrucks) entwickelt, mit der die Verbreitung des „stillen“ Lesens, also des direkten Erfassens der visuellen Sprachzeichen einherging.
Seit dem 19. Jahrhundert kam die magnetische, chemische und elektrische Speicherung und Verbreitung von Bildern und Tönen hinzu. 
Seit dem 20. Jahrhundert revolutionieren die elektronischen Techniken der Digitalisierung, Speicherung und Verbreitung von Bildern, Schrift und Ton die weltweite Kommunikation und damit die Kulturen der Welt.

Zeichen-Muster haben unterschiedliche Beständigkeit, abhängig von ihren Träger-Medien. Der Schall wird von der schwingenden Luft nur Bruchteile einer Sekunde lang gespeichert, Muster im Sand halten bis zum nächsten Wind, Zeichen auf Pergament oder Papier können je nach klimatischen Bedingungen ihre Botschaft über Jahrhunderte speichern. Die Verfallszeit elektronischer Speicherung hängt inzwischen wesentlich von der Software ab, mit denen sie ausgelesen und in sichtbare oder hörbare Muster umgewandelt werden können.

Mit der der Bild-Statue und der Bilder-Schrift wurden Speichermedien und Kommunikationsvorgang schon früh getrennt. Elektrisch sind auch Laute (Sprache und Musik) speicherbar, ohne dass unmittelbar kommuniziert wird. Es macht daher Sinn, zwischen den Kommunikationsmedien Ton und Sprache, Bild und Schriftbild und ihren technischen Speichermöglichkeiten zu unterscheiden, also den „Verbreitungs-Medien” Papier und Buch, den Tonträgern, den Bildträgern. Der Computer ist ein digitales Speichermedium und das digitale Netz ist das universelle Träger-Medium für Kommunikation.

    Der Medienhistoriker Werner Faulstich verwendet das Wort „Medien“ wie die Ethnologie auch für menschliche Vermittler gesellschaftlicher Bedeutungen. Für Faulstich ist die Frau das „Leitmedium der Urgesellschaft" in ihrer matriarchalischen Frühphase. In dieser mediengeschichtlichen Perspektive werden für das Mittelalter disparate Erscheinungsformen der Kommunikation als Medium bezeichnet, differenziert als „Primärmedien" wie das Fest, der Magister und der Hofnarr und als sekundäre (Schreib-) Medien wie Wand, (auf Pergament handgeschriebenes) Buch und Blatt. Denn Medien sind für Faulstich „komplexe, etablierte Vermittlungseinrichtungen, die Kommunikation organisieren und regulieren". Dieser Versuch einer systematischen Begriffsbestimmung erscheint mir zu ausufernd. Faulstich blendet mit dem Kriterium der „Einrichtungen” die direkte, verbale Alltagskommunikation aus.

Sprache als Medium des menschlichen Geistes

Sprache ist aber das ursprüngliche, primäre Mittel der Kommunikation. Die Schallwellen der Sprache bleiben auch im elektronischen Zeitalter das grundlegende Trägermedium. Die Stimme ist das primäre Kommunikationsinstrument, das Gehirn bzw. das Gedächtnis bleibt das primäre Speichermedium - insbesondere für das Gesprochene. Auch in der heutigen scheinbar ganz von technischen Medien bestimmten Kultur ist die unter Anwesenden geteilte Wahrnehmung immer noch die sicherste Form kommunikativer Symbolisierungen.

Bei dem Wort „Medium“ denkt man zunächst an Techniken – Bilder und Fernsehen, Schrift und Druckwerke, schließlich das Internet.  Solche technischen  Verbreitungsmedien sind Werkzeuge wie ein Hammer. Er hat ungenutzt seine Existenz wie ein Buch oder ein Datenträger. Beim Medium Sprache ist das anders: Sprechen kann ich nur, indem ich mich des Mediums der Sprache bediene. Sprache ist nicht Mittel zur „Abbildung“ einer von ihr abgetrennten, ontologisch vorgegebenen mentalen Welt. Sprache gibt es nur als Sprachhandeln. Durch Sprachhandeln wird erst der Sinnhorizont, in dem sprachlich kommuniziert wird, geschaffen. Gedanken brauchen Sprache, um sich auszuformen.

Als soziale Wesen sind Menschen sprachlich handelnde Wesen. Durch die Kultur der Schriftsprache, die auf den Speichertechniken der Schrift aufbaut, ist die orale Sprache als ursprüngliches Medium des menschlichen Geistes überformt. Die Schrift ist ein Werkzeug - das primäre Medium aber ist die mündliche, akustische Sprache.

Entscheidend für die menschliche Kommunikationskultur ist die Frage, wie die jeweils dominierenden technisch vermittelten Speichermedien die (körperlich-primäre) orale und visuelle Kommunikation beeinflussen und ihre Wahrnehmung im Gehirn der Menschen prägend bestimmen können.

Die Kulturgeschichte der Medien ist die Geschichte der Speicher- und Verbreitungstechniken der Kommunikation und damit auch die Geschichte der symbolischen Zeichen.

In seinen Philosophischen Untersuchungen (1953) antwortet Ludwig Wittgenstein seinem imaginären Dialogpartner auf die Frage „Wie soll ich wissen, was er meint, ich sehe ja nur seine Zeichen?" mit der Gegenfrage: „Wie soll er wissen, was er meint, er hat ja auch nur seine Zeichen." Die Entwicklung einer differenzierten Wort-Laut-Sprache ermöglichte es den Lebewesen, die wir dann „homo sapiens“ nennen, Dinge und körperliche Handlungen mit Laut-Zeichen und mit Bedeutung zu versehen. Diese Zeichen können kommuniziert, ausgetauscht werden, das Wissen von dieser Bedeutung über Generationen hinweg in der Sprache bewahrt und tradiert werden.

Die Schrift als Speicher-Medium steht am Anfang des systematischen menschlichen Denkens. Bis zum Zeitalter des Buchdrucks dienten Schriften vor allem dem Vorlesen, also der oralen Kommunikation, als Gedächtnis-Stütze oder Gedächtnis-Ersatz. Die Papyrus-Schriftrollen konnte man nicht still für sich lesen, sie mussten Stück für Stück entrollt und laut vorgelesen werden, waren also nur die Gedächtnis-Vorlage einer Rede. Man entzifferte die Zeichen mit den Augen und „las” durch das Ohr.

Das Vorlesen der heiligen Schrift(rollen) dokumentierte schon Autorität, die Vorlesenden zuwächst, und bestätigte rituell die Abhängigkeit derer, denen vorgelesen wird. Erst mit der allgemeinen Volksbildung, die in der Reformation einsetzte, konnte Schrift zu einem Massenmedium werden.

Sekundäre Träger-Medien wie die Schrift trennen zeitlich und räumlich den, der kommuniziert, von denen, mit denen er kommuniziert. Schon diejenigen, die ein Höhlenbild in die Wand ritzten, ahnten nicht, wer wann staunend davor stehen würde. Auch derjenige, der ein Buch schreibt, hat auf die Wirkungsgeschichte seiner Botschaft kaum noch Einfluss. Schriftlich Niedergelegtes kann auch nicht mehr kommunikativ relativiert oder korrigiert werden, wenn die Rezipienten etwas nicht so verstehen, wie der Verfasser verstanden werden wollte.

Das frühere, ursprüngliche „Massen“-Medium ist das Bild: Als Wandbild in den Höhlen, als in Stein gemeißeltes Bild, als gemaltes Bild, als Statue, als Standbild, als architektonisches Sinnbild für Macht, als Pyramide oder Kathedrale, als Wandgemälde, Kupferstich und Holzschnitt. 

Mit der Erfindung der Drucktechnik wurde die Voraussetzung geschaffen für die massenhafte Verbreitung von Druckwerken, die zunächst das Bild und dann vor allem das Träger-Medium Schrift ins Zentrum der Kulturentwicklung stellten. 
Die elektrischen Speichermedien erlauben es, in gleicher Weise Töne (also auch Sprache) und Bilder (also auch  Schrift-Zeichen) zu speichern und zu verbreiten. Dabei macht es für den Menschen einen großen Unterschied, ob er über Schrift-Zeichen oder über Töne und Bild-Zeichen kommuniziert: Schrift-Zeichen sind abstrakte Zeichen.

Bild-Zeichen sind körpernahe Zeichen.

Bild-Zeichen, die Menschen abbilden, haben eine assoziative Nähe zum Körper, darauf hat Hans Belting hingewiesen, sie können sinnliche Botschaften enthalten, die nicht oder jedenfalls nicht so leicht in Sprach-Zeichen übersetzbar sind. Bilder schaffen daher eine besondere emotionale Nähe zur Botschaft. Dies ist die Voraussetzung von Bild-Verehrung.

Dass die Bilder „laufen lernten“, war eine sensationelle Medienerfahrung am Ende des 19. Jahrhunderts und die Rezipienten dieser neuen Medienform mussten erst lernen, mit den Filmen umzugehen, diese neuen Medien zu integrieren in ihre Routinen der Wirklichkeits-Konstruktion. Denn laufende Bilder scheinen authentischer als alle früheren „sekundären“ Kommunikationsmittel, sie suggerieren wie ikonische Zeichen eine besondere Nähe zur Realität. Vertonte laufende Bilder entsprechen den Strukturen unserer Sinneswahrnehmungen weitgehend, nur die taktile und die olfaktorische Dimension fehlen. Filme haben darstellenden Charakter und eignen sich durch ihre Bewegung mehr als fixierte Bilder, Affekte darzustellen. Als symbolische Strukturen eignen sie sich, komplexeste kulturelle Informationen zu vermitteln. Da ihre „Entzifferung“ gleichzeitig deutlich weniger (geistige) Arbeit macht als etwa die Lektüre eines Romans, werden Filme zu den neuen Projektionsflächen von imaginären Denkmustern und verdrängen andere Zeichenformen.

Kommunikation klebt Menschen zusammen. Aber wie?

Das neue Verhältnis von Bild, Ton und Schrift ist eine Kernfrage der Medienkultur im Zeitalter elektrischer Speicher- und Übermittlungs-Techniken.

Ein kommunikatives Zeichen muss dekodiert und bedeutungsmäßig ausgelegt werden. Der „Sender“ weiß, was er anderen vermitteln möchte. Der Empfänger muss rätseln, was gemeint sein könnte. Primäre, unmittelbar körperliche menschliche Kommunikation ist daher in der Regel ein ständiges Feed-back auf unterschiedlichen Kanälen – durch Sprachlaute, Blicke, Berührungen, Gefühlslaute. In einer Situation unmittelbarer Kommunikation ist es unmöglich, eine Person nur als Sender und die andere nur als Empfänger zu definieren. Kommunikation passiert im Austausch gemeinsam. 
Sekundäre Kommunikations-Medien lassen die Anzahl der möglichen Kommunikations-Partner exponentiell in die Höhe schnellen - schränken aber im gleichen Maße die zeitliche Intensität und je nach Technik die Intensität des Feed-backs ein. Ganz extrem gilt das für die Schrift und das stille Lesen. Die persönliche Form des Briefes bindet sich daher ganz stark an eine durch unmittelbare Kommunikation geschaffene Vertrauensbasis, die sicherstellen soll, dass die Schrift-Worte „richtig“ interpretiert werden.

Die elektrische Träger- und Verbreitungstechnik hat im 19. Jahrhundert begonnen, auch die orale Kommunikation unabhängig von der physischen Anwesenheit zu machen. Schon die elektrische Technik des Telefons machte es möglich, miteinander zu sprechen, ohne präsent zu sein und die Sprach-Kommunikation durch visuelle Zeichen zu ergänzen und zu interpretieren. Mit dem Handy wird dies zur Alltagsrealität, der „Fernsprech-Apparat” wird wie eine Ausweitung des Körpers ständig mitgeführt. Nur Berührungen erfordern in der Zeit der Multimedia-Kommunikation noch die unmittelbare körperliche Präsenz des Kommunikationspartners.

Elektrisch transportierte Rede findet im Radio und am Telefon ohne vom anderen wahrnehmbare Bilder und Gesten statt. Je mehr die technischen Vermittlungs-Medien in die persönliche Alltags-Kommunikation eindringen und die unmittelbare Kommunikation ergänzen und ersetzen, desto mehr muss das Auswirkungen auf die zwischenmenschlichen Beziehungen haben. Mit dem Bild-Telefon wird das visuelle Erleben des Kommunikationspartners immerhin hinzugefügt und damit Nähe simuliert.

Mit dem kanadischen Medientheoretiker Marshall McLuhan wird (seit 1962) die These diskutiert, dass die technische Erfindung des Buchdrucks und ihre gesellschaftliche Durchsetzung – der Prozess dauerte sicher dreihundert Jahre – als „Medienrevolution“ interpretiert werden muss und der „elektrischen“ Medienrevolution vergleichbar ist, die mit der Erfindung der Nutzbarkeit von Elektrizität begann und schließlich zum Netz-Computer als universellem, multimedialem Speicher- und Übermittungsmedium für Zeichen führt. Neue Medien in diesen universellen Sinn, so McLuhan, revolutionieren die Kommunikation und damit die Gesellschaft - „the medium is the message”
Als Katholik wusste er möglicherweise, dass Thomas von Aquin dies mit den Worten ausgedrückt hat: „Das Gefäß, das etwas aufnimmt, prägt den Inhalt, der aufgenommen wird”. (Omne, quod recipitur in aliquo, est in eo per modum recipientis.)

Der Mensch lebt als geistiges Wesen in einer Welt der Zeichen. Jede neue Technologie der Speicherung und des Austausches von Zeichen erweitert die Welt, in der der Mensch lebt. Wenn McLuhan formuliert, dass der moderne elektronisch kommunizierende Mensch nun in einem „globalen Dorf" lebe, dann bezieht sich das nicht unmittelbar auf seinen Körper, sondern auf seine geistige Dimension, auf die Welt seines Zeichen-Lebens. Darin liegt die wesentliche Bedeutung (message) der elektronischen Medien.