Klaus Wolschner                     Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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Texte zur Religion

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Wirklichkeits-Konstruktion
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Medien-Demokratie:
Wenn der Pöbel
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Bagdad, Konstantinopel 
– islamische Herrschaft im Orient 
in Zeiten des „christlichen Mittelalters“

Notizen zur Geschichte islamischer Staatsmacht

2018

Für die Verbreitung des Islam im Orient ist die Geschichte zweier städtischer Zentren in den ersten Jahrhunderten nach den Eroberungsfeldzügen des Propheten Mohammed interessant
– Bagdad, weil es über Jahrhunderte das Zentrum der Kalifen-Herrschaft war und
- Konstantinopel, weil dort mehrere Jahrhunderte lang die Tradition des christlichen römischen Imperiums fortgeführt worden war, bevor unter dem Ansturm der Osmanen schließlich 1453 auf dem historischen Boden Konstantinopels das neue Imperium entstand, das den Islam zur Weltreligion machte.

Der Islam als institutionalisierte Religion ist - ähnlich wie das Christentum – weitab von dem kulturellen Umfeld seiner Ursprünge entstanden - als Staatsdoktrin  und als Rechtfertigungs-Kult politischer Macht. Politische Machtansprüche lagen von Anfang an den religiösen Rivalitäten und Spaltungen in der islamischen Bewegung zugrunde. 
Zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert zerfiel dann die islamische Welt in kleine Territorial-Fürstentümer. Gleichzeitig drangen aus Asien neue Stämme in den arabischen Herrschaftsbereich ein und übernahmen den Islam als intellektuelles Rüstzeug zur Etablierung von neuen Machtzentren. Die Grenzlinien zwischen den persönlichen Überzeugungen der Verehrer Mohammeds und den Christen waren dabei weit weniger klar als das der historische Rückblick manchmal suggeriert. Sie schwankten zudem je nach den machpolitischen Konstellationen. Die Repräsentanten der muslimischen und der christlichen Welt konnten bisweilen durchaus miteinander jagen gehen oder ihre Kinder verheiraten.

Das Osmanische Reich stand nicht in Kontinuität zu den Eroberungen der Araber seit dem 7. Jahrhundert, sondern entwickelte sich aus der Dynamik des zentralasiatischen Turk-Stammes der Oghusen und seiner Herrscherdynastie, die sich auf den Gründer „Osman“ bezog.

Die Frage, warum die Grundlagen der modernen Welt nicht im islamischen Orient entstanden, richtet sich also weniger an den Islam als Religion als vielmehr an das Osmanische Reich. Im Osmanischen Reich hat es über Jahrhunderte keinerlei modernisierende Dynamik gegeben und Impulse aus dem (lateinischen) Europa wurden - wenn überhaupt - dann zögerlich und verspätet aufgenommen, oft gegen den Widerstand der islamischen Gelehrten.

Teil 1: Bagdad vor dem Fall 1258

In Zeiten der Ummayaden-Herrschaft in Damaskus sind die arabischen Eroberer offenbar nicht als fanatische Vertreter eines neuen Glaubens auftreten. Syrische Christen haben die Araber als eine Variante der innerchristlichen Strömungen verstanden, die die anthropomorphe Gottesvorstellung gegen (griechische) Idee eines abstrakten, in zwei Gestalten auftretenden Gottes verteidigten. Der syrisch-christliche  Patriarch berichtete Mitte des 7. Jahrhunderts, dass die Araber seine Kirche sogar unterstützten. Johannes von Damaskus berichtet in einer aus dem Jahre 726 überlieferten Schrift viel über schreckliche Machthaber und über diverse christliche „Häresien“ – aber nichts über eine neue Religion.

Die wurde offenbar erst im 8. Jahrhundert im persischen Bagdad formiert, fern ab von der arabischen Nomadenkultur, in der Mohammed gelebt und gepredigt hatte. Im Rahmen der zahlreichen inner-arabischen Machtkämpfe hatten die Abbasiden um 750 die Macht von dem Familienklan der Umayyaden, einer alten arabisch-mekkanischen Aristokratie, übernommen und den Herrschaftssitz von Damaskus in das persische Bagdad verlegt, in die „Stadt des Friedens“ (Madīnat as-Salām) - wenige Kilometer östlich von Seleukia-Ktesiphon, der alten Hauptstadt des Sanassidenreiches. Bagdad lag damit im Zentrum der alten persischen Kultur, die die neuen Machthaber übernahmen und fortentwickelten - unter aktiver Beteiligung gebildeter Christen und Juden. Im Unterschied zu den alten Metropolen des Weströmischen Reiches, die unter der Herrschaft des lateinischen Christentums einen kulturellen Niedergang erlebten, wurde das antike Erbe in Bagdad bewahrt und fortentwickelt. In dem im Jahre 825 von dem Abbasiden-Kalifen al-Maʾmūn in Bagdad gegründeten „Haus der Weisheit“, das sich an dem Vorbild der alte persische  Akademie von Gundischapur orientierte, arbeitete in den Anfangsjahren vor allem christliche und jüdische Gelehrte. Bekannt sind vor allem die Namen des christlichen Hunayn ibn Ishaq, des Syrers Thabit ibn Qurra und des persisch-stämmigen al-Chwarizmi. Sie besorgten die Übersetzungen des antiken Schriftgutes ins Arabische und trugen dazu bei, dass die arabische Sprache für mehrere Jahrhunderte zur Sprache der Kultur und Wissenschaft werden konnte. Schrift und Wissen blieben aber als Herrschafts-Instrumente und -Dekor von der Gnade des Hofes abhängig.

„Islamisiert“ wurde Bagdad erst sehr langsam. Die abbasidischen Kalifen waren 750 durch eine Aufstandsbewegung an die Macht gekommen, die sich gegen die damals von vielen Muslimen als zu weltlich angesehenen Herrscher der Umayyaden richtete. Aber die Abassiden stützten ihre Militärische Macht nicht auf die Bevölkerung ihres Imperiums, sondern auf turk-stämmige Militärsklaven, für die die Garnisonsstadt Samarra am Tigris vor den Toren von Bagdad gebaut wurde. Von 836 bis 892 verlegten die Kalifen sogar ihren Herrschafts-Sitz nach Samarra und ließen dort Paläste, Parks, Moscheen, Wildgehege und Pferdearenen bauen, die von ihrer Pracht und ihrem Ausmaß den Vergleich mit Konstantinopel nicht zu scheuen brauchten. Für die Kalifen war das oströmische Imperium das Vorbild.Spiegelminarett_von_Samarra

Sieben Kalifen haben von Samarra aus die islamische Welt regiert. Die „Konkurrenz“ aus Medina beseitigten sie – Kalif al-Mutawakkil  brachte den „zehnten“ schiitisschen Kalifen, der sich auf die Nachfolge des Propheten-Schwiegersohns Ali berief, nach Samarra und hielten ihn dort 20 Jahre lang in Hausarrest, bis er 868 starb. Auch sein Nachfolger und Sohn starb 874. Ihre Gräber dort sind den Schiiten bis heute heilig und Wallfahrtsstätten.

 

 

Spiralminarett der großen Moschee von Samarra


 
Unter dem Abbasiden-Kalifen al-Mutawakkil
wurde die Moschee Mitte des 9. Jahrhundert erbaut.

Es dient den europäischen Bildnissen vom 
„Turm zu Babel“ als visuelles Vorbild. 

Samarra ist in jüngster Zeit als Geburtsort von 
Abu Bakr al-Baghdadi, dem „Kalifen“ des Islamischen Staates, 
zu trauriger Berühmtheit gekommen.
 

Die Abassiden-Kalifen wurden schließlich über Jahrzehnte an die Seite gedrängt von der persischen Dynastie der Buyiden (945–1055). Die Kalifen waren in dieser Zeit auf ihre Rolle als geistliche Führer reduziert. Nach der tribalen Macht-Tradition teilten die Buyden die Herrschaft über eroberte Territorien unter Familienmitgliedern auf, die kleinen Höfe der Buyiden wetteiferten in der Förderung der Wissenschaften. Schiitische Philosophie und Theologie und persische Dichtung erlebten eine Blüte. In Finanznot gerieten die buyidischen Höfe wegen der hohen Kosten der Militärsklaven. Diese auch „Mamluken“ genannten turk-stämmigen Militärsklaven gewannen in manchen Phasen ein großes politisches Eigenleben und politische Macht.  Da die Buyiden sich als Nachkommen altiranischer Könige verstanden, stärkten sie das iranische Element im Islam. Sie regierten bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts.

1055 zogen die „Seldschuken“ in Bagdad ein, ein oghusischer Stamm aus Zentralasien. Die Seldschuken unterwarfen große Teile Persiens und Gebiet des heutigen Irak. Ende des 10. Jahrhunderts war der „Khan“ des Stammes, Seldschuk, zum Islam übergetreten. Auch die Seldschuken verstanden sich als politische  Schutzherren des Abbasiden-Kalifats. 
Erst im 12. Jahrhunder
ts konnten die Abbasiden wieder ein Stück der politischen Macht zurückgewinnen.

Die Eroberung Bagdads durch die Mongolen im Jahre 1258 bedeutete dann das formale Ende des im Jahre 750 begründeten sunnitischen Abbasiden-Kalifats. Hülegü, ein mongolischer Khan und ein Enkel von Dschingis Khan, hatte einen christliche-nestorianischen Hintergrund. Er ließ den letzten Abbasiden-Kalifen hinrichten. Hülegü  begründete im Gebiet des heutigen Iran und Irak das Großreich der Ilchane. Diese mongolischen „Provinzfürsten“ traten im späten 13. Jh. zum Islam über. Ihr Reich zerfiel in der Mitte des 14. Jahrhunderts an inneren Konflikten.

Wichtiger als der Wechsel der Dynastien war, dass im Zusammenhang mit der mongolischen Eroberung von den Verteidigern (Mamluken) wie von den Mongolen die hochkomplexen Bewässerungssysteme des Landes zerstört wurden. Die Bevölkerung floh, das fruchtbare Zweistromland Mesopotamien verwüstete.

1534 wurde die Stadt Bagdad erstmalig dem Osmanischen Reich eingegliedert, über Jahrhunderte war es Zankapfel im Streit persischer und osmanischer Machthaber. Die große Tradition der Stadt lebte erst nach Jahrhunderten wieder auf: 1831 wurde Bagdad wieder von osmanischen Truppen besetzt und entwickelte sich zu einer kosmopolitischen und multinationalen Stadt. Schiiten und Sunniten waren zu gleichen Teilen vertreten, rund 130 jüdische Familien Juden lebten dort, es gab drei Synagogen, und es gab 300 christliche Familien verschiedenen Glaubensrichtungen (Armenier, Jakobiten, Nestorianer, Griechen), Perser und Inder.

Teil 2: Konstantinopel vor dem Fall 1453

Als Kaiser Basileios II. im Jahre 1025 starb, stand das Byzantinische Reich auf dem Höhepunkt seiner Macht. Länger als er – von 958 bis 1025 – hatte kein römischer Kaiser regiert, seitdem Kaiser Konstantin das alte „Byzantion“  im Jahre 330 zur Hauptstadt seines Imperiums gemacht und nach seinem Namen benannt hatte. Die Bezeichnung „Byzantinisches Reich“ ist eine moderne Erfindung für das oströmische Imperium, die neuen Herrscher von Byzantion verstanden sich als stolze Nachfahren Roms und nannten sich „Rhomäer“. Sie herrschten zeitweise über ein Gebiet von Süditalien bis Armenien, von der Donau bis Antiocheia in Syrien.
Konstantinopel_im_11_JahrhundertDas oströmische Reich war ein Zentralstaat mit einer breiten gebildeten und lesekundigen Elite (L). Mit einem umfangreichen Beamtenapparat regierten die Kaiser das Land. Aber von drei Seiten drängten um die JAhrtausendwende starke Gegner vor: Auf Sizilien und in Süditalien die Normannen vor, aus Zentralasien überschritt die Petschenegen die Donau, im Osten kamen die Turk-Völker. Seit dem 12. Jahrhundert verlor das Oströmische Reich große Gebiete – und schließlich seine Souveränität – lange bevor die Osmanen 1453 die Stadt endgültig in Besitz nahmen.

Exkurs über die Turk-Stämme

Der machtpolitische Aufstieg der Turk-Völker, insbesondere der Oghusen, hatte im 9. Jahrhundert begonnen. Die schamanistische Naturreligion der Oghusen wird als „Tengrismus“ beschrieben.

Tengrismus war die ethnische Religion aller mongolischen und Turkvölker Zentralasiens. Der Glaube bezieht sich auf den Himmelsgott Tengri und kennt Praktiken, die von Ethnologen als Animismus, Schamanismus  und Totemismus beschrieben werden. In einem turkmenischen Schöpfungsmythos wird der Mensch, der sich anfangs zusammen mit dem Gott Kaira Khan ans Werk der Schöpfung macht, verstoßen mit dem Hinweis, dass  der Mensch Kaira Khan betrügen.

Schamanentrommel_Tengris
Das Symbol der Drei-Welten-Kosmologie Tengris ist die Schamanentrommel

Der Mensch soll mit „allem, was unter dem Himmel ist“, im Einklang leben. Die „Mutter Erde“ ernährt ihn, der Herrscher als „Sohn des Himmels“ schützt ihn. Naturgeister und Ahnen schützen ihn. Wenn böse Geister das Gleichgewicht stören, muss es durch Schamanen wiederhergestellt werden. Anderen Göttern gegenüber war der Tengrismus meist tolerant. Für militärische Operationen gab es die Weisheit: „Je mehr Götter auf unserer Seite sind, umso besser für uns!“

 

Schon im 10. Jahrhundert berichteten arabische Kaufleute anerkennend, dass ihre Handelspartner im Land der Oghusen das islamische Glaubensbekenntnis auswendig konnten. Die Turkvölker gelten als die erste große Volksgruppe, die durch Mission und Kulturkontakt zum Islam übergetreten ist, nicht  durch militärische Unterwerfung. Ein wesentlicher Hintergrund ist die Vermittlung über Sklaven.  Die Turk-Völker waren neben den Schwarzafrikanern das große Sklavenreservoir für die islamische Welt. Auch im abbasidischen Kalifat in Bagdad waren die Oghusen präsent – als Militärsklaven. Aus ihren ursprünglichen tribalen Verbindungen herausgelöst übernahmen sie den islamischen Glauben ihrer Besitzer.  

Dynastie der Seldschuken

Die Oghusen-Dynastie der Seldschuken, die 1055 Bagdad erobert hatten, beherrschte im 11. und 12. Jahrhundert weite Teile des Vorderen und Mittleren Ostens. Die nomadischen Traditionen ihrer oghusischen Vorfahren gingen mehr und mehr verloren, der Islam wurde zum Instrument der Zentralisierung der Macht über die Städte. Die Seldschuken übernahmen gleichzeitig das Kultur- und Literaturerbe Persiens und machten das Persische zu ihrer Verwaltungs- und Kultursprache. Die Herrscherdynastie der Seldschuken suchte einen Ausgleich zwischen persisch-islamischen und oghusisch-nomadischen Elementen.

In der Mitte des 11. Jahrhunderts griffen sie das Oströmische Reich an. In der Schlacht von Manzikert 1071 wechselten viele turkstämmige Söldner des Kaisers die Seiten. Ihr Sultan Alp Arslan machte dem oströmischen christlichen Kaiser Romanos ein demütigendes Angebot: Der Sultan forderte die Übergabe von Antiocheia, Edessa, Hieropolis und Manzikert, eine kaiserliche Prinzessin zur Braut für einen seiner Söhne sowie ein Lösegeld von 1,5 Millionen Goldstücken und einen jährlichen Tribut. Romanos akzeptierte, wurde aber von Rivalen entmachtet, die das Angebot widerrufen. Daraufhin drangen die Turkvölker weiter Richtung Konstantinopel vor, dem alten Kaiserreich blieb nur noch ein Küstenstreifen.

Nizām al-Mulk, Regent des Seldschukenreiches (1018 -1092), betrieb die flächendeckende Ausbreitung der islamischen Hochschule, der Madrasa, zur Ausbildung seiner Beamten. Damit war die Verstaatlichung der islamischen Gelehrsamkeit verbunden - Gelehrte, die Gehälter und Zuwendungen vom Herrscher annahmen, wurden  tonangebend. Damit schuf der Seldschuken-Regent eine islamische Einheit von Politik und Religion. Im Militärwesen ersetzte er die alten tribalen Strukturen durch ethnisch gemischte Einheiten. 

Rum-SeldschukenDas Sultanat der Rum-Seldschuken um 1190. 
Der Stern markiert die Hauptstadt Konya 
(griechisch Ikónion).

Die Seldschuken konnten ein Großreich errichten – in einer Phase, in den die ursprünglichen islamischen Machtzentren zerstritten waren. Nach dem Sieg der Mongolen 1243 über die Seldschuken zerfiel das Reich in einzelne Fürstentümer. Aber die Seldschuken-Herrschaft wurde, auch was die Herrschaftsfunktion der Religion angeht, zum großen Vorbild der aufstrebenden osmanischen Dynastie.

Dynastie der Osmanen

Schon vor dem 10. Jahrhundert gab es kleinere Stämme, die mit Arabern und Persern in Kontakt gekommen waren und – nicht immer freiwillig – zum Islam übertraten. 920 trat als erster Herrscher eines größeres Turkvolk Abd al-Karim (reg. 920–956) von den Karachaniden zum Islam über. Danach breitete sich der Islam unter den Turkvölkern im Südwesten Zentralasiens aus. Zeitgenössische Quellen nennen „200.000 Zelte“, die sich dem Islam angeschlossen hätten – wobei die Zahl 200.000 vermutlich für „unzählbar viele“ steht. Einige Turkvölker waren vor ihrer Islamisierung auch nestorianische Christen gewesen.  
Es gab eine Vielzahl turkmenischer Herrschaftsgebiete. Auf dem Gebiet des heutigen Afghanistan konnte Mahmud von Ghazni (reg. 997–1030), der Sohn eines türkischen Militärsklaven, eine eigene Herrschafts-Dynastie begründen.

Osman I., Sohn des in einem  Film legendär beschriebenen Häuptlings Ertoğrul, entstammte einem halbnomadischen turkmenischen-oghusischen Stamm. Dessen ursprünglich erobertes Territorium lag im Nordwesten Anatoliens, das Emirat war eines der weniger bedeutsamen. In seiner Regierungszeit (bis 1326) baute Osman seinen Herrschaftsbereich mit dem Zentrum Konya (früher Ikonion) zu einem regelrechten Staatswesen aus. Schon zur Machtübernahme bekannte er sich zum Islam. Osman führte den Spitznamen „Gazi“ (Glaubenskrieger). Zahlreiche osmanische Madrasas sorgten für die mittlere und Hochschulbildung. 

Ostromisches_Reich_1270                Osmanisches_Reich_1281
Oströmisches Reich 1270                                           Osmanisches Reich 1281 (dunkel)- 1324 (hellrot)

Schon 1330 war die Elitetruppe der Janitscharen gegründet worden, später wurden von den unterworfenen christlichen Völkern auf dem Balkan systematisch Jungen im Alter von 7–14 Jahren ausgewählt, sie wurden unter strenger Disziplin zu muslimischen Soldaten als zukünftige Kämpfer ausgebildet, sie waren dem Zölibat unterworfen und dem Sultan zu absolutem Gehorsam verpflichtet. Die Osmanen verdankten ihren Erfolg vor allem ihrer Armee (stehendes Heer, Janitscharen) und ihrer gut strukturierten Verwaltung. Bauern, Händler und Handwerker hatten eine vergleichsweise geringe Steuerlast zu tragen.

1354 setzten die Osmanen über die Meerengen der Dardanellen nach Europa über - aufgrund eines Hilfegesuches des byzantinischen Kaisers. 1366 machten sie Adrianopel, seither Edirne, zu ihrer neuen Hauptstadt. Das einst so stolze Oströmische Imperium bestand nur noch aus der Stadt Konstantinopel und Umgebung, die Bevölkerung war auf rund 50.000 geschrumpft. Konstantinopel war praktisch eingekreist von osmanisch beherrschtem Gebiet. Die eroberten Ländereien gaben die osmanischen Herrscher als Lehen an Verwandte, Freunde, Militärführer und verdiente Gazi-Kämpfer. Dadurch wurde die Grundlage für das spätere Feudalwesen des Osmanischen Reichs gelegt. 
In der Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo) 1389 besiegten die Osmanen die verbündeten christlichen Fürsten aus Serbien, Bosnien, Bulgarien und Albanien. Große Teile des Balkans sollten 500 Jahre unter osmanischer Herrschaft bleiben.

Da das Reich der Osmanen bis an das Oströmische Kaiserreich heranreichte, gab es regen Austausch – und Konflikte. Die Osmanen halfen mal der einen, mal der anderen Partei in innerbyzantinischen Konflikten, eine religiös begründete Front nach dem Muster „Muslime gegen Christen“ scheint es nicht gegeben zu haben. Spätere Osmanische Quellen betonen, dass „Istimalet“, der Schutz und Respekt von Fremden, eine große Bedeutung für den Erfolg der osmanischen Machtentfaltung hatte. 

Ein Beispiel dafür, wie die Beziehungen zwischen Christen und Osmanen auch sein konnten, ist die Zeit des römischen Kaisers Manuel II.  und des osmanischen Herrschers Bayazit I. Der Christ war dem „Muselmanen“ als Lehensmann zur Heeresfolge verpflichtet. Im Winterquartier in der Gegend des heutigen Ankara vertrieb sich Manuel II. im Dezember 1391 die Zeit an 26 Abenden mit ausführlichen Gesprächen mit einem hochrangigen Vertreter des Islam aus Bagdad, die er in einer Schrift als „Dialoge mit einem Perser“ festhielt. Da ging es um den Vergleich der Lehren Mohammeds zu denen des Moses und des Christos, etwa um die Frage der „Jungfrauen” im Paradies oder das Zölibats-Gebot, das nach Ansicht des „Persers” den Menschen überfordert. Dass ein derartiger Dialog möglich war und ausführlich vom Kaiser schriftlich dokumentiert wurde, deutet darauf hin, wie stark das Bewusstsein gemeinsamer Themen zwischen den Anhängern des Mohammed und der griechisch-christlichen Lehre war, die sich selbst „orthodox“, also rechtgläubig, betrachtete in Abgrenzung zu anderen christlichen Varianten. Die Differenzen waren auf jeden Fall nicht größer als zu anderen innerchristlichen Strömungen. Mit Sultan Mehmed I. (1413-21) war der römische Kaiser Manuel II. geradezu befreundet - und ließ doch sicherheitshalber manche Befestigungsanlage ausbauen.

Auf „Bettelreisen“ in Europa hatte Manuel II. um Bündnisse geworben. Er muss gewusst haben, dass viel Hilfe nicht kommen würde und dass der Papst die „Kirchenunion“, also den Verzicht auf die Eigenständigkeit der Orthodoxen Kirche -  als Gegenleistung für westliche Hilfe forderte. Die Mehrheit der orthodoxen Christen in Konstantinopel lehnte aber die Unterwerfung unter den Papst ab und setzte auf die Toleranz der Osmanen. Die Handelsrepublik Venedig verdiente sich gleichzeitig den Spottnamen „Hure der Türken“, weil sie dem Sultan 1452 italienische Geschützgießer schickte, die bei der Belagerung eine wichtige Hilfe waren – die Venezianer stellten sich im Interesse ihres Handels damit vorsorglich auf die Seite des mutmaßlichen Siegers.

Unter Mehmeds Sohn Murad II. begannen dann wieder die militärischen Operationen gegen Konstantinopel, die 1453 zum Fall der Stadt führten. Das Massaker an den Einwohnern von Epibation deutete schon an, dass Murad II. es ernst meinte. Der Senat von Venedig forderte vom Papst und den Kardinälen energischere Schritte. Aber der Papst blieb hart: Einem Kreuzzug sollte die Einheit der Kirche vorausgehen.

Am 12. Dezember 1452 kam es zur Unterwerfungsgeste unter die römische Kirche in der Hagia Sophia. Griechische Mönche verbreiteten darauf die Sorge, der gottlose Vertrag müsse den Zorn des Himmels heraufbeschwören. Die „griechische Fraktion“ war gegen die Kirchenvereinigung und mancher auch zu Spionage und Sabotage bereit. Man kannte die muslimischen Herrscher und war darauf eingerichtet, sich mit ihnen zu arrangieren.
Die Stadt fiel 1453 nach 54-tägiger Belagerung. „Drei Tage hindurch soll die Stadt zur Plünderung euch gehören. Was ihr da erbeutet und findet, an Gold- und Silbergeschirr, Kleidern und Gefangenen – niemand soll es euch jemals streitig machen“, hatte Sultan Mehmed II. erklärt. Seitdem wurden im christlichen Europa die Greuel-Geschichten über den Fall von Konstantinopel erzählt.

Sultan Mehmet II. nahm den Beinamen „Fatih" an („der Eroberer"), 1461 wurde mit dem Bau einer „Fatih-Moschee“ in Istanbul begonnen. Er erklärte sich zum neuen römischen Kaiser, „Rum Kayseri“, und die alte Metropole zur neuen Hauptstadt seines osmanischen Reiches. Nach den Schrecken der dreitägigen Plünderung setzte er daher darauf, dass die überlebenden Bewohner blieben,  Sklaven und Gefangene aus den Balkanländern wurden angesiedelt. Muslimische Kaufleute wurden ermuntert, sich in Istanbul niederzulassen. Es begann ein Jahrzehnte dauernder Wiederaufbau. Zwischen 1453 und 1481 entstanden 209 Moscheen, 24 Schulen und 32 öffentliche Bäder. Drei Jahrzehnte nach der Eroberung war 60 Prozent der gewachsenen Stadtbevölkerung muslimisch, 20 Prozent waren Christen und zehn Prozent Juden.

Die Kirche „Zur Heiligen Weisheit“ (Hagia Sophia) wurde in eine Moschee umgewandelt, gleichzeitig wurde das orthodoxe Patriarchat wieder zugelassen (1456) mit Sitz in die Pammakaristos-Kirche. Als sich die christliche Inquisition auf der iberischen Halbinsel gegen Juden richtete, setzte 1492 eine jüdische Einwanderungswelle ein. Das Osmanische Reich unter Sultan Beyazid II. nahm sie auf und gewährte ihnen die Religionsfreiheit.

Islam als osmanische Staatsreligion

Die Beduinen-Stämme waren Fehdeverbände, die den Zusammenschluss mit anderen Fehdeverbänden suchten, denn nur durch eine sichtbare Verteidigungsbereitschaft konnten mögliche Angreifer abgeschreckt werden. Solche Zusammenschlüsse nutzten natürlich eine günstige Gelegenheit auch zum Angriff. Dies sei die „natürliche Logik der Weidewirtschaft“, formuliert Ernest Gellner zur Kennzeichnung der besonderen Ursprünge des muslimischen Staatsverbandes. Diese Mentalität des Fehdeverbandes, die schon Ibn Chaldun (1332- 1406), als „Asabiyya“ (Sippensolidarität) beschrieben hat, ist die Grundlage des Erfolgs der Osmanen und war es schon für die Frühphase der militärischen Expansion der arabisch-islamischen Eroberungen. Der frühe Islam wird daher als Kriegerreligion etikettiert: Die Religion bot sich den verfeindeten Stammesgemeinschaften als übergreifende Gemeinschafts-Idee an, die „Umma“ ist die Kampfgemeinschaft der Gläubigen, die sich in einem Heiligen (Gellner) symbolisiert. Mit dem neuen Glauben wird die überkommene intertribale Rivalität und Raubökonomie gebündelt und gegen Andersgläubige gewendet, die der Monotheismus als Nichtgläubige identifizierbar macht. Der kriegerische Raubzug wird als „heilig“ überhöht. Noch im 16. Jahrhundert war der osmanische Gottesstaat wesentlich Militärapparat – auch in Jahren ohne Krieg betrug der Anteil des Militärs an den Staatsausgaben weit mehr als die Hälfte.

Für die Staatsverwaltung eines Imperiums von derartigen Ausmaßen reichen „Asabiyya“  und die frühe Kriegerreligion allerdings nicht. So wie der Sitz der arabischen Herrschaft bald nach dem Tode Mohammeds nach Damaskus und dann Bagdad verlegt wurde, also in alte Kultur-Metropolen mit nicht-arabischer und nicht Mohammed-gläubiger Bevölkerungsmehrheit, so verlegte das rasant expandierende Osmanischen Reich seinen Herrschaftssitz bald weg vom anatolischen Söğüt hin in Städte eroberter Gebiete des Balkans und außerhalb der anatolischen Heimat, 1361 Edirne, schließlich 1453 in das historische Konstantinopel. Während die Führungspositionen in den Anfängen der osmanischen Herrschaft nach „tribaler“ Sitte mit Verwandten und treuen alten Gefolgsleuten besetzt wurden, dominierten am Ende des 14. Jahrhunderts in Verwaltung, Heer und Geistlichkeit schon die Zuwanderer aus den Kulturen des Balkan. Sie trieben die Vereinheitlichung der Gesellschaft unter staatlicher Kontrolle voran. Dies zeigte sich auch in einer zunehmenden kulturelles Distanz der neuen Verwaltungselite gegenüber der turkmenisch-anatolischen Landbevölkerung, traditionelle heterodoxen Glaubensvorstellungen wurden von der neuen, sunnitisch ausgerichteten Elite nicht mehr als Elemente einer eigenen turkmenischen Geschichte verstanden, sondern als Zeichen der Rückständigkeit bekämpft – was sich insbesondere gegen die Aleviten richtete, die diese Traditionen in ihrem religiösen Weltbild bewahrten.

Das osmanische Reich in der Rolle des islamischen Kalifats wird zum Spiegel, 
in dem sich das christliche Europa erkennt

Dem osmanischen Sultan Selim gelang 1514 ein Sieg gegen die Safawiden in Persien. Schließlich wurde 1516/1517 das Mamlukenreich in Ägypten besiegt. Dies war von besonderer symbolischer Bedeutung, weil die Mamluken 1260 ihr Ägypten erfolgreich gegen die Mongolen verteidigt hatten und seitdem als Verteidiger des Islams galten.

Mamluken-Sultanat_1517
Das ägyptische Mamluken-Sultanat 1517

Mamluken nutzten andernorts ihre dominierende Stellung 
als Heerführer, um eigene Reiche zu begründen. 
Die beiden bedeutendsten dieser Reiche waren das 
zeitweise fast ganz Indien beherrschende Sultanat von Delhi (1206–1526) 
und das ägyptische Sultanat der Bahri- und Burdschi-Mamluken. 
Letzteres wurde erst 1517 – nach 267-jährigem Bestehen – 
von den Osmanen unterworfen.

Damit kontrollierte das Osmanische Reich nicht nur das reiche Nilland und die Levante bis nach Syrien, sondern auch die heiligen Stätten Mekka und Medina. Die gemeinsame religiöse Kultur des Islam sorgte für die symbolische Rahmung der Machtpolitik: Der letzte Kalif von Gnaden der Mamluken musste dem Sultan Selim Schwert und Umhang des Propheten übergeben. Seit 1517 führte der osmanische Herrscher den Titel des Kalifen, das Osmanische Reich wurde damit auch förmlich zu einem theokratischen Regime und der Islam zur Staatsreligion. (Erst 1924 erklärte die Türkische Nationalversammlung das osmanische Kalifat für aufgelöst.Mittelmeer_1500)

Venedig war die letzte (christliche) Macht im Mittelmeerraum, die sich gegenüber den Osmanen behaupten konnte.

 

 

 

Machtverhältnisse und Handelswege 
im östlichen Mittelmeerraum um 1500

 

 

 

Der Fall von Konstantinopel und die Legende vom christlichen Abendland

Die staatliche Machtpolitik hatte sich als wichtiger als die Religionspolitik erwiesen. Leonhard von Chios, Erzbischof von Mytilene und Augenzeuge des Falls von Konstantinopel, schrieb in seinem Bericht De urbis Constantinopoleos iactura captivitateque an den Papstnicht nur die Gegner der Kirchenunion, sondern auch die heuchlerischen Westchristen seien verantwortlich für den Fall Konstantinopels. Tommaso Parentucelli, von 1447-1555 als „Nikolaus V“ selbst Papst, formulierte wenig später, Diplomatie und Wirtschaft hätten ein gemeinsames Vorgehen gegen die Türken verhindert.
Der Fall Konstantinopels löste im Westen Europas entsprechend großes Entsetzen aus. Der Humanist Nikolaus von Kues verfasste sein Werk „De Pace Fidei“ (Über den Glaubensfrieden), in dem er sich für eine Verständigung zwischen den Religionen generell, insbesondere aber zwischen Christentum und Islam, einsetzte. 
Konstantinopel hatte bis zuletzt eine hohe symbolische Bedeutung im christlichen Selbstverständnis gehabt, keine machtpolitische. Dem Feindbild „Türken“ wurde das Eigenbild „christianitas“ und Europa entgegengestellt. Die gerade erfundene Drucktechnik ermöglichte die populäre Verbreitung des Feindbildes. Viele byzantinische Gelehrte waren nach Italien geflohen und hatten wertvolle Handschriften mitgenommen. Der Verlust des Landweges nach Indien schmerzte die Händler – und das trug zu der Motivation bei, einen Seeweg nach Indien zu suchen. 1492 wurde die „Neue Welt" entdeckt.


    siehe auch die Texte:
    Zeitalter des Islam  M-G-Link
    Die Tradition der Lesekultur im Oströmischen Reich (Byzanz)  M-G-Link
    Warum Europa? Warum nicht der Islam?  M-G-Link