Iulianus Apostata, der Abtrünnige
Ein Beispiel des Widerstands gegen das Staats-Christentum
2012
„Flavius lulianus nobilissimus", ein Neffe von Konstantin dem Großen, wurde im Jahre 361 als "Julian" Kaiser von Rom. Zu seinen Zeiten kam dem Christentum „de facto das Monopol der früheren identitäts- und Einheit stiftenden Staatsreligion zu" (Prostmeier). Julians Amtsvorgänger Constantius II hatte - vergeblich - versucht, für die gesamte Reichskirche das vom Konzil in Nicäa 325 verworfene arianische Bekenntnis als verbindlich durchzusetzen.
In der kaiserlichen Familie Julians war es zu mörderischem Streit um die rechte Richtung der christlichen Lehre gekommen. Was dieses neuen Glauben so attraktiv machte, diskutiert der Theologe und Althistoriker Prostmeier nicht.
Der neue Kaiser, von der christlichen Geschichtsschreibung Iulianus Apostata, „der Abtrünnige“, genannt, sah trotz seiner christlichen Erziehung in der Rolle des Christentums eine Gefahr für das Imperium. Der Redner Libanios (314-393) sagte von Julian: „Nichts bewegt sein Herz so wie der Anblick der zerstörten Tempel, der verbotenen Bräuche, der umgestürzten Altäre, der untersagten Opferhandlungen, der vertriebenen Götterdiener, der an Unwürdige verschleuderten Schätze der Heiligtümer." Er suchte diese Religion zurückzudrängen, ohne allerdings zu dem in seiner Zeit sonst üblichen Mitteln gewaltsamer Verfolgung zu greifen. Julian hält die „Galliläer" mit ihrem "Aberglauben", wie er die Christen abwertend nennt, für unzuverlässig, weil sie die alten Götter nicht verehren. Er will die traditionelle griechisch-römische Wirklichkeitsauffassung wieder als Grundlage für Staat und Gesellschaft fördern. Er entließ sofort nach seiner Amtsübernahme leitende christliche Beamte und Militärs und versuchte durch verschiedene Erlasse, den Zugang von Christen zu öffentlichen Ämtern blockieren: "Die Verehrer der Götter (müssen) den Vorrang vor den Christen haben". Das Christentum wird als private Religion geduldet, im staatlichen Einflussbereich aber diskreditiert.
Nach der „konstantinischen Wende“ hatten die Christen manche Tempel zerstört, Julian lässt sie wieder aufbauen und stellte deren Priester wieder. In seinem Rhetorenedikt (362) untersagte er die Erteilung von Unterricht in heidnischer Literatur durch christliche Lehrer.
Julian verfasste einen philosophischen Angriff auf das Christentum unter dem Titel „Contra Galilaeos“ (Gegen die Galiläer) - mit dieser Kennzeichnung machte er die Christen zu einer regionalen Sekte. Julian kritisiert die christliche Denkweise. "Die theologische Rede vom Nazarener Jesus scheint Julian aber nicht nur vernunftwidrig" (Prostmeier), sondern als Beleg für die "rüde Unbildung" der Christen und für ihren Mangel an literarischer Kultur. "Entweder verwandelt sich Gott wirklich ... in einen sterblichen Leib; das ist aber ... unmöglich; oder er selbst verwandelt sich nicht, bewirkt aber, daß die Zuschauer glauben, er habe sich verwandelt, und führt sie (also) in die Irre und lügt." Als besonders suspekt fiel die Warnung vor der "Wissbegier" auf. Der christliche Diskurs missbilligte "curiositas" als letztlich für das Heil schädlich Haltung. Diese Haltung stand in diametralem Widerspruch zu der griechisch-römischen Tradition der Wissbegier. Dem griechischen Denken fremd war auch der Anspruch des Christentums auf absolute Wahrheit seiner Gottesvorstellung. In der griechischen Tradition war die Grenze zwischen philosophischen und religiösen Erklärungsmustern fließend und ermöglichte wechselnde Kombinationen. Die christliche Lehre widerspricht der griechischen religiösen Plausibilitätsstruktur, die Christen stellen sich daher für Julian außerhalb der griechisch-römischen Kultur und Zivilisation. Die christliche Theologie ist für ihn "Fabelei", ihre Gottesverehrung eine bloße Farce. In Widerspruch zur antiken Kultur geraten die Christen vor allem dadurch, dass sie den Glauben höher setzen als die Vernunft.
Julian thematisiert auch das sozial auffällige Verhalten der "Galiläer". Ihr Rückzug aus sozialen Bindungen, ihre Körper-Feindlichkeit und Martyriums-Sehnsucht sind der griechisch-römischen Kultur fremd.
Die Bevorzugung der heidnischen Staatsreligion entsprach sicherlich den Vorstellungen vieler aus dem intellektuellen und offiziösen römischen Adel. Zustimmung gab es aber nicht für Julians religiösen Eifer und seine Appelle an den Kult des "Gottes der Väter". Julian wollte nach dem Vorbild der christlichen Institutionen eine heidnischen „Reichskirche“ bilden und darin die traditionellen römischen Kulte, die Mysterienkulte und die vom Neuplatonismus beeinflussten Strömungen zusammenfassen.
Der zeitgenössische griechisch-römische Historiker Ammianus Marcellinus, kein Christ, lobte den Kaiser Julian, kritisierte aber dessen „Aberglauben“ und seinen „Opferwahn“. Oft weist Ammianus auf die Schicksalsgöttin Fortuna hin, die das Auf und Ab von Glück und Unglück bestimmt. Dabei stehen für Ammianus ‚fortuna’ (Glück) und ‚virtus’ (Tugend, Mut) in einem direkten Verhältnis zueinander. Ammanius Geschichtsschreibung ist von einer pessimistischen Zukunftshaltung geprägt.
Offenbar gab es in der römischen Gesellschaft des 4. Jahrhunderts keinen Konsens mehr über eine an der nichtchristlichen kulturellen Tradition orientierte Renaissance.
Prostmeier benennt eine sozialgeschichtliche Hypothese, ohne sie weiter zu erläutern: „Für die Mehrheit der Bevölkerung erwies sich im Kult für den 'Gott der Väter' allenfalls die Loyalität dem Staat gegenüber, jedoch tat sich darin keine Existenzerhellung und Weltdeutung auf. Der alte Kult bot religiöses Erleben nicht in der Hinsicht, dass der einzelne darin für sich persönlich eine Lebensdeutung empfing."
Ob darin umgekehrt die Attraktivität des christlichen Glaubens begründet lag? Dem entgegen steht die Kontinuität, die es offenbar in dem populären Wunderglauben gegeben hat. Von der Bevölkerung wurden die Angebote der christlichen Heiligen genauso genutzt wie die der traditionellen übersinnlichen Kräfte. Die Heiligen traten auf als Vertreter einer Macht, die den überkommenen Glaubenrichtungen überlegen war, nicht als Exponenten einer total andersartigen Weltsicht (Brown). Selbst der Heilige Augustinus glaubte fest daran, dass ihn die Gebete von seinen Zahnschmerzen befreit hatten. Er berichtet in seinen „Bekenntnissen“: „Damals züchtigtest du mich mit Zahnschmerzen, und da sie so schlimm wurden, dass ich nicht sprechen konnte, kam es in mein Herz, die Anwesenden zu ermahnen, für mich zu dir, dem Gott jeglichen Heils, zu beten. Ich schrieb es auf ein Wachstäfelchen und gab es ihnen, dass sie es lesen sollten. Und als wir das Knie zum Gebet gebeugt hatten, da schwand der Schmerz.“ Die Grenze zwischen „heidnischem“ und christlichen Aberglauben war durchaus fließend. Das war auch die Überzeugung des Diplomaten und Philosophen Synesios, der in seiner Heimatstadt Ptolemais im Jahre 411 gedrängt wurde, Bischof zu werden. Er bestand darauf, verheiratet bleiben zu dürfen, er machte keinen Hehl daraus, dass er nicht an die jüdische Schöpfungsgeschichte glaubte und auch nicht an die Auferstehung des Fleisches. Die Mythen der Religion waren für den griechisch gebildeten Philosophen, der Schüler von Hypatia (L) war, Geschichten für ungebildete, schlichte Menschen.
Von dem Feldzug gegen die Perser, bei dem Kaiser Julian nach nur drei Jahren Amtszeit ums Leben kam, gibt es eine schöne Geschichte, die ein Licht auf die damaligen religiösen Verhältnisse wirft: Julian besuchte das Städtchen Harran in Nordmesopotamien. Harran war neben Ur in der Antike ein Zentrum des Mondkultes. Schon im zweiten Jahrtausend wurde der Tempel des Mondgottes Sin dort erwähnt. Noch aus römischer Zeit wurden in Harran Münzen mit der Mondsichel gefunden. Die Christianisierung des römischen Reiches scheint den heidnischen Kult in Harran wenig beeinträchtigt zu haben, die des Sin-Kultes war weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt. Dieser Ruf lockte offenbar den Kaiser Julian Apostata an. Auf seinem Perser-Feldzug im Jahre 363 blieb der römische Kaiser fünf Tage in der Stadt und opferte dem Mondgott nach den ortsüblichen Bräuchen. Die Anhänger der alten Religion nannte Julian dem allgemeinen Sprachgebrauch nach „Hellenen". In der Kirchengeschichte des Theodoret von Kyrrhos war später sogar zu lesen, der Kaiser habe an Mysterienfeiern in einem Tempel teilgenommen und anschließend befohlen, die Türen zu verschließen und zu versiegeln, damit niemand vor seiner Rückkehr vom Perserfeldzug das Heiligtum beträte. Als die Todesnachricht eintraf, fand man im Inneren ein Weib an den Haaren aufgehängt, ihr Unterleib aufgeschnitten. Aus ihrer Leber hätten, so der fromme Bericht, die Frevler Julians Persersieg herausgelesen. Der Schmerz der Harranier über den plötzlichen Tod des Kaisers soll nach einem anderen Bericht so groß gewesen sein, dass der Bote, der die Nachricht überbracht hatte, gesteinigt wurde. Die spanische Pilgerin Egeria stellte auf ihrer Reise zu biblischen Städten noch hundert Jahre später fest, daß es außer einigen Mönchen und Klerikern keine Christen in Harran gebe: „Alle waren Heiden".
Für das Römische Reich blieben Julians Bemühungen um die Rehabilitierung der alten Kulte ohne Kontinuität. Das Christentum hatte bereits eine irreversible Position in Staat und Gesellschaft erlangt. Sein Nachfolger, Kaiser Theodosius I., ordnete dreißig Jahre nach seinem Tod ordnete das Verbot aller heidnischen Kulte an (392).
Die Episode Julian ist ein Hinweis darauf, dass die Christianisierung des römischen Reiches nicht ins Belieben der Laune dieses oder jenes Herrschers gestellt war. In der Mitte des vierten nachchristlichen Jahrhunderts gab es noch Gegenkräfte, aber die Christianisierung konnte selbst ein einer kurzen Situation, in der der Kaiser sie zu blockieren versuchte, nicht nachhaltig aufgehalten werden.
Literatur: Ferdinand R. Prostmeier: Die Wolke der Gottlosigkeit, Gültigkeit und Relevanz des traditionellen Wirklichkeitsverständnisses in der Politik gegen das Christentum bei Kaiser Julian (in: Jahrbuch für Antike und Christentum 44/Jg. 2001) Peter Brown, Autorität und Heiligkeit (dt. Stuttgart 1998)
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