Klaus Wolschner                     Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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von Religion

 

415 - Mord an Hypatia

2013

Hypatia (ca. 355-415) war die Tochter des Mathematikers Theon von Alexandria, der sie in Mathematik und Astronomie unterrichtete. Hypatia soll ausgezeichnete Beziehungen zu den führenden Politikern Alexandrias, insbesondere zu dem Präfekten Orestes, unterhalten haben. Ihr Ansehen in Alexandria war groß, Synesios hat im letzten Jahrzehnt des 4. Jahrhunderts bei ihr sowohl Philosophie als auch Astronomie studiert. Damaskios berichtet, sie habe den Philosophenmantel (tríbōn) getragen und sei in der Stadt unterwegs gewesen, um öffentlich zu unterrichten und allen, die sie hören wollten, die Lehren Platons oder Aristoteles’ oder auch jedes beliebigen anderen Philosophen auszulegen. Manche Historiker gehen davon aus, dass  ihr der Lehrstuhl für platonische Philosophie an der Universität (Museion) von Alexandria eingeräumt wurde.

Ihr Zeitgenosse Socrates Scholasticus porträtiert sie in seiner Kirchengeschichte wie folgt: „Es gab in Alexandria eine Frau mit Namen Hypatia, Tochter des Philosophen Theon, die in Literatur und Wissenschaft so erfolgreich war, dass sie alle Philosophen ihrer Zeit übertraf. Zugelassen zur Schule Platons und Plotins hielt sie Vorlesungen über die Grundlagen der Philosophie. Viele Hörer kamen von weither um von ihr unterrichtet zu werden. Dank ihres souveränen Auftretens und ihrer eleganten Erscheinung, die sie sich als Folge ihrer Geisteskultur angeeignet hatte, erschien sie häufig in der Öffentlichkeit in Gegenwart hoher Staatsbeamter. Sie scheute sich auch nicht in öffentliche Versammlungen von Männern zu gehen. Alle Männer bewunderten sie dafür auf Grund ihrer außerordentlichen Würde und Tugend umso mehr.“

Die Werke Hypatias (u.a. Kommentare zu Diophantos' Arithmetik, zu den Konica (Kegelschnitten) des Apollonios von Perge und zu Werken des Mathematikers und Astronomen Ptolemaios) sind nicht erhalten. 

In ihrer Zeit gab es heftiger Machtkämpfe in Alexandria – fanatisch  fundamentalistische Christen forderten die endgültige Vernichtung des Heidentums. Im Jahr 391 hatte der Patriarch Theophilus von Alexandria alle heidnischen Tempel zerstören lassen, wie es ein Dekret des Kaisers Theodosius verlangt hatte. Zerstört wurde dabei das Serapion (Tempel der großen Bibliothek).

Treibende Kraft war später Kyrill I . (auch  Kyrillos  oder Cyrill(us), Neffe und Nachfolger des Theophilos, von 412 bis 444 Patriarch von Alexandria. Er gilt als Heiliger, Kirchenvater  und Kirchenlehrer. Kyrill geriet unter anderem mit den schismatischen  Novatianern in Konflikt, deren Kirchen er schließen ließ, wie es einige Jahre zuvor Johannes Chrysostomos in Ephesos getan hatte. Bischof Kyrill lag auch in Konflikt mit dem weltlichen Stadtoberhaupt, Orestes.

Über die Mittel, mit denen der Volkszorn gegen die Philosophin geschürt wurde, berichtet Socrates Scholasticus: „Und in dieser Zeit trat in Alexandria eine Philosophin auf, eine Heidin namens Hypatia. Und die widmete sich nur der Magie, den Astrolabien und den Musikinstrumenten und sie behexte viele Leute durch ihre satanischen Künste. Und der Präfekt der Stadt überschüttete sie mit Ehren; denn sie hatte auch ihn behext durch ihre Zauberei. Und er hörte auf, wie gewohnt zur Kirche zu gehen.“

Dem Mord an Hypatia ging ein blutiger Konflikt zwischen Juden und Christen voraus, der zu einem Machtkampf zwischen der weltlichen Machthaber (Orestes) und der kirchlichen Autorität (Kyrill) wurde. Zur Verstärkung von Kyrills Anhängern trafen rund fünfhundert christliche Mönche aus der Wüste ein. Im Milieu dieser teils analphabetischen Mönche herrschte eine bildungsfeindliche Einstellung und radikale Intoleranz gegenüber Nichtchristen. Im Jahr 415 stiftete der Lektor Petros den christlichen Pöbel  zum Mord an der neuplatonischen Philosophin Hypatia an.

Johannes von Nikiu berichtet (ähnlich wie Sokrates Scholasticus), dass Hypatia in die Kirche Kaisarion gebracht und dann nackt in den Straßen der Stadt zu Tode geschleift wurde. Die Folge sei eine Solidarisierung der christlichen Bevölkerung mit dem Patriarchen gewesen, da er nunmehr den letzten Rest des Heidentums in der Stadt vertilgt habe. Johannes von Nikius Bericht gibt wohl die offizielle Position der Kirche von Alexandria wieder. Er rechtfertigt den Mord mit der Behauptung, Hypatia habe den Präfekten und die Stadtbevölkerung mittels satanischer Zauberei verführt; unter ihrem Einfluss habe der Präfekt nicht mehr am Gottesdienst teilgenommen. Den Lektor Petros, den unmittelbaren Anstifter des Mordes, beschreibt Johannes als vorbildlichen Christen.
Die in der Spätantike aufkommende Bestrafung der Hexerei geht auf ein Dekret des Kaisers Constantinus zurück, der zur
Bekämpfung des Aberglaubens angeordnet hatte, dass alle Zauberer in Rom den wilden Tieren vorgeworfen werden sollten; in den Provinzen aber sollte ihnen das Fleisch mit eisernen Haken heruntergerissen werden. Hypatias Tod passt zu diesem Gesetz.
Beim Konzil von Ephesos im Jahr 431 setzte jener Kyrill die Lehre von der Gottesmutterschaft Marias  durch.

Bibliothek alexandria
So könnte sie ausgesehen haben, die alte Bibliothek von Alexandri. Sie wurde von Ptolemeus I im Jahre 288 v.u.Z. gegründet und war über Jahrhunderte ein Treffpunkt für die großen Geister der Zeit. Aristarchus lehrte hier, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Euklid war hier tätig, Archimedes, der größte Mathematiker der alten Welt lehrte hier. Das „alte Testament" wurde erstmalig aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzt.
Der Gründer des Bibliothekswesens, Callimachus, hatte für diese Bibliothek ein Sortierungssystem erfunden - einen Katalog, um Schriftrollen nach Thema oder Autor zu finden
.

    Literatur:
    Peter O. Chotjewitz,
    Der Fall Hypatia (Hamburg. 2002)
    Karlheinz Deschner,
    Kriminalgeschichte des Christentums, Band 2: die Spätantike  (Reinbek 1988)
    Basileios A. Myrsilides, Biographie der hellenischen Philosophin Hypatia. Exzerpiert aus ältesten christianischen historischen Quellen und der Überlieferung in den Trümmern Klein-Asiens vor der Katastrophe und dem Gemetzel (2002)