Klaus Wolschner 

Über den Autor

Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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II
Politik
und Medien

Über traditionelle Herrschafts-Kommunikation
und neue Formen der
Medien-Demokratie:
Wenn der Pöbel
online kommt

POP 55

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Über die
Mediengeschichte der
Schriftkultur und ihre
Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion
im  Jahrhundert des Auges

2 VR Titel

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Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne

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Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen

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Populistische Kommunikation
 von rechts
und von links

 „Die Rebellion von 1968 hat
mehr Werte zerstört als das Dritte Reich.
Sie zu bewältigen, ist daher wichtiger,
als ein weiteres Mal Hitler zu überwinden.“

Bruno Heck 1983 als Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Heck war von 1952 bis 1958 Bundesgeschäftsführer der CDU gewesen.

2021 Pop1-01

Der amerikanische Soziologe Seymour Martin Lipset hat 1959 darauf hingewiesen, dass der Populismus seine soziale Basis auch in Schichten finden kann, die in der Soziologie sonst zum Terrain des Liberalismus gezählt werden.

Pierre Poujade, ein klassisch populistischer Führer aus dem Frankreich der 1950er Jahre, schwärmte von den französischen Revolutionären, die nicht gezögert hatten, „einen König auf die Guillotine zu bringen“. Er forderte, dass wie zur Zeit der Französischen Revolution  die  vier „produktiven" Schichten der Gesellschaft – die Arbeiter, die Bauern, die freien Gewerbetreibenden und die freien Berufe – ihre (Geld-) Forderungen an den Staat durchsetzen sollen. Der südfranzösische Schreibwarenhändler war ein äußerst geschickter Demagoge und stritt für die Kleinbauern, Einzelhändler wie Handwerker und gegen die Macht der „Politiker, Intellektuellen, Bürokraten, Eurokraten, Plutokraten, Technokraten“.  Die liberalen Elite aus „Hochschulabsolventen, polytechniciens, Wirtschaftswissenschaftlern, Philosophen und anderen Träumern“ hätten, so erklärte er, „jeden Kontakt zur realen Welt, jede Beziehung zum gesunden Menschenverstand verloren“, so zitiert Roland Barthes ihn. Seine Ideologie hatte vor allem rechte, aber auch „linke“ Elemente.  Er polemisierte gegen Großindustrie und Banken wie gegen die marxistischen Parteien und Gewerkschaften. Seine Bewegung versiegte nach fünf Jahren,  sein zeitweiliger Gefolgsmann Jean-Marie Le Pen gründete 15 Jahre später den Front National.

Das Phänomen Populismus begleitet auch die Geschichte der USA. Andrew Jackson war der erste Populist im Weißen Haus (1829). Er erklärte sich zum „common man“ und beendete die Serie der aristokratischen Präsidenten. Er verachtete die „besseren Klassen", die mehr Weisheit als gewöhnliche Männer und Frauen für sich beanspruchen. Jackson über die Bank der Vereinigten Staaten: „Ihr seid eine Grube voll mit Schlangen und Dieben. Ich habe beschlossen euch auszurotten, beim Allmächtigen, ich werde euch ausrotten.“ Er wurde 1843 wiedergewählt, sein Porträt hängt im Oval Office. Donald Trump ließ sich gern vor dem Bild Jacksons fotografieren.

„Populists“ nannten sich erstmals gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Farmer im Westen, die sich gegen die Wirtschaftspolitik der Banken und Zulieferer an der Ostküste zur Wehr setzten. 

Auch unter den Anhängern des US-amerikanischen Populismus in den 1950er Jahren, zur Zeit von McCarthy, bildeten die kleinen Geschäftsleute die größte Gruppe, sie appellierten an die selbständigen städtischen und vor allem ländlichen Mittelschichten, die sich von den Haupttrends der modernen westlichen Gesellschaft abgeschnitten fühlten. Die im Niedergang begriffenen „liberalen“ Schichten drückten ihre Unzufriedenheit aus – die Irrationalität ihrer Protestideologien war ein Ausdruck davon, dass sie kaum in der Lage waren, über Bündnisse und Kompromisse ihre Ziele zu verfolgen.

Rechtsideologischer Populismus in Deutschland

Dass es nach dem Verbot der „Sozialistischen Reichspartei“ (SRP) im Jahre 1952 lange keine stärkere nationale Partei in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben hat, ist eine Besonderheit im europäischen Vergleich. Mit Verweis auf die Zahl der Migranten und ihre hohe Kinderzahl (Thilo Sarrazin) erscheint der Appell an die nationale Identität heute wieder denkbar und artikulierbar. In der Gründungsgeschichte der „Alternative für Deutschland“ (AfD) stand noch die Kritik des Euro im Zentrum, dem die Bundesrepublik unter dem Kabinett Helmut Kohl zugestimmt hatte, um die Sorge der Nachbarstaaten vor einer neuen – wiedervereinigten - deutschen Hegemonialmacht zu zerstreuen. In der Folge des Zusammenbruchs der realsozialistischen Regimes konnte die Regierung Kohl ausdrücklich nationale Interessen in die Politik einbringen. Die Grünen als nationale Verweigerer flogen 1980 aus dem Bundestag heraus mit Ihrer Parole: „Alle reden von Deutschland, wir reden vom Wetter.“  Die Menschen redeten von Deutschland.

40 Jahre danach scheint es umgekehrt: Alle reden vom Wetter und von der globalen Klimakrise, wer laut von Deutschland redet, gilt als rechtsextrem. Jedenfalls in der großen Koalition der Mitte, zu der die Grünen inzwischen gehören. Grüne Klima-Rhetorik und die „Willkommenskultur“ bestimmen das öffentliche intellektuell-politische Klima der „Mitte“. Es wäre verwunderlich, wenn es dagegen am „rechten Rand“ kein Aufbegehren gäbe.

Solange die parteipolitische Resonanz dieses Aufbegehrens bei 10 Prozent liegt, ist das im Grunde eher wenig. Bei der Leipziger Autoritarismus-Studie (2018) haben deutlich mehr als 50 Prozent der Befragten Aussagen zugestimmt wie: „Unruhestifter sollten deutlich zu spüren bekommen, dass sie in der Gesellschaft unerwünscht sind" oder „Bewährte Verhaltensweisen sollten nicht infrage gestellt werden".

Die Kritik der seit den späten 1960er Jahren in großem Tempo voranschreitenden Liberalisierung der Lebenskultur ist dabei vor allem in den neuen Bundesländern groß – in der DDR hat der langjährige Konflikt um die Liberalisierung nicht stattgefunden. Die Bevölkerung wollte als „ein Volk“ mit dem alten Westdeutschland vereint werden und muss sich nun mit der Diskreditierung der Leitplanken ihres nationalen Welt-Bildes und mit den Migranten-Quoten auseinandersetzen.

Zum Beispiel Björn Höcke

Björn Höcke, der extreme Repräsentant des neuen Rechts-Populismus, den man gerichtlich bestätigt einen Faschisten nennen darf, bietet in dem Buch „Nie zweimal in denselben Fluß. Björn Höcke im Gespräch“ (2018) einen Blick in sein Innerstes. In dunklen Andeutungen spielt er mit Assoziationen, die einen erschaudern lassen: „Eine neue politische Führung ist den Interessen der autochthonen Bevölkerung verpflichtet und muss aller Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwiderlaufen." Höcke spricht von „wohltemperierter Grausamkeit" und verkündet: „Neben dem Schutz unserer nationalen und europäischen Außengrenzen wird ein groß angelegtes Remigrationsprojekt notwendig sein."

Solche Sätze, die wie Hitler-Zitate klingen, sind eingebettet in ein solides konservatives Weltbild, als dessen Kern er die Liebe zur Natur und die Skepsis gegenüber der Moderne bezeichnet. Und natürlich geht es um die Männlichkeit, in einer Rede in Erfurt hat er 2015 erklärt: „Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken. Denn nur, wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft. Und nur, wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft, und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde!"

Der ehemalige Gymnasiallehrer Höcke zitiert scheinbar mühelos einige Klassiker der europäischen Geistesgeschichte. Er erläutert sein Weltbild auf Augenhöhe mit Heraklit, Aristoteles, Locke, Hegel, Nietzsche, Heidegger, Jünger und Schmitt. Die Zitate erscheinen jedoch wie aus dem bildungsbürgerlichen Zettelkasten, mit dem man früher altkonservatives namedropping betrieb - für einen studierten Historiker sind die Bezüge auffallend oberflächlich. Und es gibt in dem 300 Seiten dicken Buch ein paar Sätze über die Arbeiter, die für die nationale Idee gewonnen werden sollen. Er bekennt sich zu geistigen „Anleihen“ bei Bernie Sanders und Sahra Wagenknecht, wie die Synthese von Nationalismus und Sozialismus aber gehen soll, das bleibt völlig nebulös. „Geld regiert die Welt!“ schimpft Höcke und betont gleichzeitig, dass „soziale Marktwirtschaft … in einer erneuerten Volkswirtschaft ihren wichtigen Platz“ haben wird. Die Kritik an der Moderne ist eher ein bildungsbürgerliches Naserümpfen in der Tradition von Oswald Spengler. Da gibt es keine Analyse der Triebkräfte von Modernisierung und Globalisierung, daher auch keine Idee, ob oder wie man die Geschichte bremsen könnte. Er geht ihm ausdrücklich „um die Wiederverzauberung der Welt“, er will „der kalten funktionalen Welt eine Seele einhauchen“ und „die faszinierenden Dinge hinter den Dingen entdecken“. Wie das? „Wir sollten Mythen ganz praktisch als mögliche Kraftquellen und Orientierungshilfen ansehen, die uns auch in schlechten Zeiten Hoffnung und Zuversicht spenden.“ 

Die politischen Zielformulierungen haben also propagandistische Bedeutung, keine analytische. Ob eine nationale Regierung nach seinem Geschmack wieder zurück zur D-Mark gehen müsse und wenn ja, wie das gehen soll, ob Austritt aus der EU erforderlich ist und was das die Exportnation Deutschland kostet - Fragen über Fragen, die nicht konkret diskutiert werden. Politik erscheint in dem Plauderton von Höcke als Wille zur Macht und als Tat oder Untat von Menschen, es kommt dann nur darauf an, dass die falschen abgesetzt und die richtigen eingesetzt werden. Ausdrücklich lehnt Höcke jeglichen Pluralismus als „Parteigeist“ ab: „Wer ist Freund, wer ist Feind? Freund ist, wer den Interessen der Nation dient, Feind ist, wer diesen entgegensteht – festgemacht ganz im Sinne des politischen Begriffs von Carl Schmitt, also ohne jeden Haß und Ressentiments.“ 

Die Themen und Akzente des Rechtspopulismus sind nicht neu.
Neu ist, dass sie außerhalb der Parteien der „Mitte“ formuliert werden.

Mit einer Kampagne gegen die Entnazifizierung, die man heute nur der AfD zutrauen würde, führte die Bremer CDU ihren Wahlkampf im September 1947:  „Schnüffelei und Denunziantentum“ sei es, wenn die Spruchkammer alte Fotos auswerte, hießt es auf einem Wahlwerbezettel. Die CDU wandte sich gegen diese „neuen Gestapomethoden und Verewigung der Volksaufspaltung - Wählt die Liste der CDU – Für fortschrittliche, schnelle Beendigung der Entnazifizierung“.

Alte Volksgemeinschafts-Denkweisen waren verbreitet, aber sie waren bald mit Hinweis auf die NS-Verbrechen diskreditiert. Der CDU-Politiker Bruno Heck, von 1952 bis 1958 Bundesgeschäftsführer der CDU, hat als Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung im Organ der Stiftung „Die Politische Meinung“ 1983  erklärt: „Die Rebellion von 1968 hat mehr Werte zerstört als das Dritte Reich. Sie zu bewältigen, ist daher wichtiger, als ein weiteres Mal Hitler zu überwinden.“  Der Gymnasiallehrer Karlheinz Weißmann, der (wie Höcke) im Antaios-Verlag publiziert, hat 1992 eine „Fundamentalliberalisierung“ durch die Studentenrevolution von 1968 dafür verantwortlich gemacht, dass diese eine noch „tiefere intellektuelle Zäsur in Westdeutschland als der Zusammenbruch 1945“ bedeutet habe.

Fünfzehn  deutsche Professoren, unter ihnen der ehemalige Vertriebenenminister Theodor Oberländer, warnten 1981 in einem „Heidelberger Manifest“ vor der „Unterwanderung des deutschen Volkes“ und der „Überfremdung“ der deutschen Sprache, der Kultur und des „Volkstums“.

Der Sozialdemokrat und langjährige hannoversche Oberstadtdirektor, Städtetagspräsident und NDR-Intendant Martin Neuffer veröffentlichte 1982 ein Buch „Die Erde wächst nicht mit“. Unter der Überschrift „Die Reichen werden Todeszäune ziehen“ druckte der Spiegel Auszüge. Da geht es vor allem um das Wachstum der Weltbevölkerung und drohende Wanderungsbewegungen. Da heißt es – 1982 – wörtlich: „Unter Anlegung heutiger Maßstäbe wird sich die Zahl derer, die politisch bedroht oder verfolgt werden, leicht auf Hunderte von Millionen Menschen belaufen. Es ist eine Illusion, zu meinen, die Bundesrepublik könne in dieser Lage ihre Grenzen für alle Asylanten der Erde weit offen halten. Sie könnte es schon nicht annähernd für die unübersehbare Masse der echten politischen Flüchtlinge. Sie wäre aber auch überhaupt nicht in der Lage, zwischen echten und den Fluten der unechten Asylsuchenden zu unterscheiden.“ Den Deutschen, so Neuffers Schluss, „solle ihr ‚Recht’ gewahrt werden, ‚in einem deutschen und nicht in einem Vielvölkerstaat zu leben’.“

In dem beigefügten Bericht fasst der Spiegel Stimmungen in der Bevölkerung unter der Überschrift „Ausländer: Das Volk hat es satt“ so zusammen: „Rechte ‚Bürgerinitiativen für Ausländerstopp’ bereiten Volksbegehren vor. Sozialdemokraten befürchten Stimmenverluste und fordern eine ‚Trendwende zum Realismus’ im Umgang mit Gastarbeitern und Asylbewerbern. Hessens Ministerpräsident Börner: ‚Mit Integration kommen wir nicht durch.’(Spiegel 18/1982)
Vor einer „heimlich-unheimlichen Umvolkung“ hat 1988 der Bochumer Politikwissenschaftler Bernard Willms gewarnt - der Staat beruhe auf „Homogenität und Identität des Volkes mit sich selbst", erklärte er und forderte die „Identitätserhaltung durch Bewahrung gegebener Unterschiede“. Inzwischen werden seine Texte von dem rechtspopulistischen Antaios-Verlag verbreitet.
Brigitte Seebacher-Brandt, Historikerin und Witwe des ehemaligen SPD-Bundeskanzlers Willy Brandt, versicherte 1994: „Die deutsche Nation lebt, und sie lebt weiter wie andere Nationen auch. Die Nation bleibt der natürliche und normale, der selbstverständliche Bezugsrahmen der Menschen, die in sie hineingeboren werden. Nach allem was es sich und der Welt angetan hat, ist Deutschland in die Normalität eingekehrt".
Wolfgang Schäuble warb 1994 dafür, dass „die Nation und ihre identitätsstiftende Wirkung" wieder stärker mit einer „transzendentalen Dimension" ausgefüllt werden müsse.

Solche Meinungsäußerungen redeten gegen den Trend an. Elisabeth Noelle-Neumann hatte in Sorge um Wahlerfolge der CDU in den 1960er Jahren festgestellt, dass konservative Positionen im öffentlichen Diskurs kaum eine Chance hätten gegen den kosmopolitischen Liberalismus, der von den politischen Eliten zunehmend vertreten wurde. In diesem Geist hat Bundeskanzler Helmut Kohl 1981 eine programmatische „geistig-moralischen Wende" verkündet. Sein Ziel war die „Normalisierung" der deutschen Geschichte. Er wurde von den Intellektuellen der Republik verspottet. Selbst der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt wurde mit seiner Meinung, dass die „multikulturelle Gesellschaft eine Illusion von Intellektuellen“ sei, 2004 nicht ernst genommen (ZEIT 22.4.2004).

Über die auch 2015 noch vorhandene skeptische Grundstimmung in Deutschland ist die Welle der „Willkommenskultur" hinweggefegt, nachdem in Berlin vorher diskutiert wurde, ob man mit militärischen Mitteln die über den Balkan andrängenden Flüchtlinge dort aufhalten und nicht nach Deutschland hineinlassen könne. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte mit ihrem „Wir schaffen das“ die skeptischen Positionen in der Verwaltung und in ihrer Partei für eine Zeit mundtot gemacht, aber nicht ausgeräumt. Deutschland hatte sich in den Jahrzehnten davor dagegen gewehrt, seine Probleme als Einwanderungsland realistisch zu diskutieren. Die Feststellung, dass auch viele Einwanderer in der zweiten oder dritten Generation sich noch als „Migranten" fühlen und in zunehmendem Maße beim fundamentalistischen Islam ihre Heimat suchen, macht die Politiker ratlos. Es waren keine Verfahren entwickelt, mit verschiedenen Einwanderungsmotiven umzugehen, so wurden alle Einwanderer als Asylbewerber behandelt.

Das „Wir schaffen das“ erwies sich als leeres Versprechen, es gab dafür auch keine Präzisierung und keinen realistischen Zeithorizont.  Als im Winter 2015 den Schulen ihre Turnhallen weggenommen wurden, war klar, dass „die Politik“ überfordert war. Mit der „Willkommenskultur“ kompensierten die urbanen Mittelschichten die Überforderung der Politik und die fehlende politische Eingrenzung des Problems durch ihr persönliches karitatives Engagement in der Tradition der christlichen Nächstenliebe Einzelner. 

Die Steuerungsdefizite der modernen Gesellschaft angesichts der Komplexität der Welt ließen sich mit dem schlichten Merkel-Optimismus nicht wegwischen. Der Satz provozierte nur die, die glauben, eine Gesellschaft sei besser zu steuern, wenn sie wieder ethnisch und kulturell homogen wäre. Das war schon die Illusion hinter der Parole von der „formierten Gesellschaft“ (Ludwig Erhard, 1963), mit der - damals ganz ohne Migrations-Problem – konservative Intellektuelle die Vorstellung verbanden. „dass die verschiedenen sozialen Gruppen nicht mehr einander ausschließende Ziele verfolgen, sondern sich vielmehr zu einer zusammenwirkenden Gemeinschaft zusammenfinden.“ 

Lebenszufriedenheit hat ja nicht nur mit dem Geld im Portemonnaie zu tun, sondern auch mit der Erwartung, dass man auch in Zukunft einigermaßen gut zurechtkommt, dass so ein Vertrauen für die nächste Generation da ist. Wenn es aber kein harmonisches (nationales) Gemeinschaftsbild und keinen „Normal-Lebenslauf“ mehr gibt in dieser „postindustriellen“ und digitalisierten Gesellschaft, wenn die Erfahrung von Krisen an dem Grundvertrauen nagt, dann werden Erzählmuster attraktiv, die einen festen mentalen Horizont versprechen. Dieselbe Methode, Unsicherheiten zu verdrängen durch die Idee einer  ethnisch und kulturell homogenen Gemeinschaft, beflügelt nicht nur den Rechtspopulismus, an ihr wärmen sich auch Menschen, die mitten in einem multikulturellen Umfeld mit einer islamischen Weltsicht aufgewachsen sind und nun die Konfrontation mit dem europäischen Individualismus als Irritation erleben.

Das Radikalste, was in Deutschland nach 1945 der herrschenden Kultur entgegen geschleudert werden kann, sind sprachliche Anspielungen an die Nazi-Ideologie. Die AfD beherrscht das Spiel mit medienwirksamen Provokationen, ihr fehlt aber fast alles für eine Neuauflage nationalsozialistischer Politik. Sie drückt rechtskonservative Stimmungen aus, auch wenn sie keine Form der Abgrenzung gegen Neonazi-Gruppierungen an ihren Rändern gefunden hat. Der aktuelle neue Nationalismus erscheint wie eine nostalgische Farce, der der Mut fehlt, sich zu dem gesamten historischen Vorbild zu bekennen und seine Verbrechen zu rechtfertigen.

Das Gespenst eines neuen Faschismus, der da anrolle, bläst das Phänomen auf und macht die Akteure, die man schlechtreden will, erst besonders wichtig.  Was den aktuellen Fall der „Flüchtlingspolitik“ angeht, der im Zentrum der populistischen Rhetorik steht, muss man konstatieren, dass diese von einem akuten Glaubwürdigkeitsproblem der Demokratie lebt: Die, die die Zahl der Migranten begrenzen wollen, handeln egoistisch – aber nicht weniger egoistisch als die, die vom Reichtum der europäischen Länder angelockt werden und dafür sogar ihre sozialen Bindungen aufgeben. Natürlich sträuben sich die meisten Migranten gegen die geforderte Integration in eine ihnen fremde Kultur. Dass das „soziale (Wohlstands-)Netz“ der reichen Länder nicht für alle reicht, ist unbestritten. Daher tut die offizielle Politik längst das, was die „Populisten“ fordern – an den Grenzen Zäune und Mauern hochziehen. Die Mittel dazu sind kaum appetitlicher als die Phantasien der Pegida-Demonstranten.

Linksideologischer Populismus

„Ich bin überzeugt, dass in den nächsten Jahren die zentrale Achse des politischen Konflikts zwischen Rechtspopulismus und Linkspopulismus verlaufen wird.“ So erklärt im Jahre 2018 die in Großbritannien lehrende belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe in ihrem programmatischen Text „Für einen linken Populismus“. Chantal Mouffe und ihr Ko-Autor Ernesto Laclau gehörten zu den Stichwortgebern der weltweiten Occupy-Bewegung und neuer linker Parteigründungen wie „Podemos" in Spanien, „Syriza" in Griechenland und „La France Insoumise" in Frankreich. Das herkömmliche Parteienspektrum von Mitte-links und Mitte-rechts sei wie eine Wahl zwischen Coca-Cola und Pepsi-Cola, argumentieren sie. Der „Konsens der Mitte“ sei schlecht für die Demokratie. Demokratie müsse die Möglichkeit der Wahl geben. Darum müsse man, so Mouffe „vom Thatcherismus lernen", Demokratie neu denken und radikalisieren.

Mouffe begreift den kommunikativen Populismus als Technik, um die „neoliberale Hegemonie“ zu zerstören. Dazu sei Dissens nötig, klare Unterscheidung der Positionen. Das „Wir" will gespürt werden, vor allem im Kampf gegen den Gegner: „Ohne einen Gegner zu definieren, kann man keine gegenhegemoniale Offensive starten." Es gehe um einen „kollektiven Willen", der „von gemeinsamen Affekten getragen wird, die auf eine demokratischere Ordnung abzielen". 

Das linke „Volk“, das Mouffe vorschwebt, will sie zusammenschweißen über „die Forderungen der Arbeiter, der Einwanderer und der vom Abstieg bedrohten Mittelschicht sowie anderer demokratischer Forderungen, etwa derer der LGBT-Gemeinde". Es ist eine Allianz der Unzufriedenen, der kleinste gemeinsame Nenner besteht in der Neuverteilung des Reichtums, der weiter produziert werden soll, aber irgendwie nicht kapitalistisch.

Linkspopulistische Macht-Phantasien

Die Russische Revolution ist ein klassisches Beispiel dafür, wie eine straffe und autoritäre Organisation mit einem Führer, der sich im Besitz der Wahrheit dünkt, die Macht übernehmen kann auf Basis einer „linken“ populistischen Propaganda. „Brot und Frieden” wollten natürlich alle. Die Wahrheit - „Diktatur des Proletariats“ und die Konsequenz, die „Kollektivierung“ der Landwirtschaft, wäre als Parole einer Volksbewegung überhaupt nicht angekommen, insbesondere nicht unter der Mehrheit der russischen Bauern.

Wie eine Farce auf die große Revolutionsidee von Karl Marx muss die maoistische Phase der Studentenbewegung erscheinen, dieses „roten Jahrzehnts“ (Gerd Koenen). „Rot“ war das Jahrzehnt vor allem durch das Blut hunderttausender Chinesen, die im Namen der Kulturrevolution ermordet wurden. Eine selbsternannte Elite von Studenten in Europa, die sich weigerte, die blutige  Realität der Kulturrevolution zur Kenntnis zu nehmen, kopierte deren populistisches Manifest, die schlichten, aber bauernschlauen Anweisungen des Vorsitzenden Mao im „Roten Buch“,  als Richtschnur für eine ehemals antiautoritäre Protestbewegung in den Universitätsstädten. Nicht wenige der damaligen Protagonisten des europäischen „Maoismus“ schämen sich heute dafür, wie sie solidarisch gewesen sind mit den brutalsten Diktaturen der Welt, von Pol Pot in Kambodscha bis Joseph-Désiré  Mobutu im Kongo – und sind erleichtert darüber, dass sie in Deutschland so wenig erfolgreich waren.

Südamerikanischer Populismus an der Macht

Der südamerikanische Populismus speist sich aus dem Protest der armen Bevölkerung, die sich von einem starken Staat Maßnahmen gegen die neokoloniale Ausbeutung ihrer Arbeit erhoffen. Die Geschichte Südamerikas kennt einige narzisstische Machtmenschen mit großem Sendungsbewusstsein, charismatischer Führer mit einem anti-oligarchischen Diskurs. Die von den Kolonialmächten übernommenen parlamentarisch-demokratischen Traditionen haben wenig Verankerung und Glaubwürdigkeit. In Lateinamerika hat der Populismus aufgrund der kolonialen Geschichte  häufig „linke“ und anti-imperialistische Züge - nicht nur in Kuba geht es um die Befreiung von der erdrückenden US-amerikanischen Hegemonie. Es gibt aber durchaus auch neoliberale Populisten.

Nach dem Vorbild von Getulio Vargas in Brasilien (Präsident zwischen 1930  und 1954) hat Juan Perón die städtischen Arbeiter und die verarmte ländliche Bevölkerung Argentiniens mobilisiert. In einem Bündnis mit den nationalistischen Offizieren konnte er Argentinien zwischen 1946 und 1955 regieren. Von den Kommunisten wurde er lange Zeit unterstützt – gegen die Mittel- und Oberklassen. Gleichzeitig sympathisierte Perón mit den faschistischen Achsenmächten und nahm deshalb flüchtige NS-Verbrecher wie Josef Mengele und Adolf Eichmann auf – ihre Flucht gelang mit Hilfe der katholischen Kirche und des argentinischen Geheimdienst División de Informaciones.  Schließlich wurde das Regime von den Offizieren und der Kirche zu Fall gebracht. 1973 bis 1976 kam Peron ein zweites Mal an die Macht – nach seinem Tod 1974 wurde seine dritte Ehefrau Isabel Peron  Präsidentin. Die peronistische Partei gewann 1989 und erneut 2019 die Wahlen.

Der lateinamerikanische Populismus endete regelmäßig im wirtschaftlichen und politischen Desaster, weil er keine Strategie hatte, wie politische Veränderungen im machtpolitischen Hegemonial-Schatten der USA und der CIA realistisch möglich sein könnten und weil mit den populistisch-autoritären Ideen kein Staat zu machen war.

Populismus an der Macht in Europa

Aber was passiert, wenn der moderne linke Populismus in Europa unversehens in die Lage kommt, parlamentarische Mehrheiten zu bilden und an der politischen „Macht“ zu partizipieren?

Italien und Griechenland haben mit dem Populismus an der Macht ihre Erfahrungen gemacht. In beiden Fällen hatten die Linkspopulisten wenig Skrupel, mit Rechtspopulisten Bündnisse einzugehen, um sich Mehrheiten zu sichern. Eine Strategie, die Macht der Bürokratie zu brechen, hatten die Linkspopulisten an der Macht nicht. In Griechenland wurde ein anderer Umgang mit der Tradition der kleinen und großen Korruption versucht, aber kein Bruch. In Griechenland wie in Italien hatten die Linkspopulisten keine Idee von „Partizipation“ oder mehr Demokratie, keine Reformidee für den Staatsapparat, sondern plünderten ihn im Interesse ihrer jeweiligen Klientel. Insbesondere hatten populistische Parteien keinerlei Idee, wie sie den Zwängen der kapitalistischen wirtschaftlichen Dynamik entgehen könnten, keinerlei Alternative einer Wirtschaftspolitik. Am Ende enttäuschten sie nur ihre jeweilige „Bewegung“ und verspielten das Vertrauen ihrer Wähler.

Wer wissen wollte, wie die Führung von Syriza „tickt“, musste nach England fahren. Finanzminister Yannis Varoufakis (2015) hat wie der linkspopulistische Theoretiker und Argentinier Ernesto Laclau an der University of Essex Wirtschaft gelehrt. Die Liste der Verbindungs-Namen zwischen dem englischen Linkspopulismus und Syriza ist lang und der „offizielle Zweig von SYRIZA im Vereinigten Königreich“, Syriza UK, war groß.

Neben Ernesto Laclau ist Nicos Poulantzas einer der wichtigen Vordenker von Syriza gewesen. Der französisch-griechische Theoretiker war überzeugter Marxist. Für seinen demokratischen Weg zum Sozialismus ist eine Doppelstrategie zentral, das Volk solle über einen Aufstand von unten und eine linke Regierung von oben langsam den Staat erobern. Aber „das Volk“ hatte keine Medien der Selbstverständigung. Die großen Medienunternehmen die großen Medienunternehmen in Griechenland gehören mächtigen Wirtschaftsbossen wie dem Reeder Marinakis, dem  Clubbesitzer von Olympiakos Piräus, dem „Bayern München“ von Griechenland. Die Großunternehmer betreiben ihre Medienengagements aus Gründen der politischen und wirtschaftlichen Einflussnahme. Die Medienunternehmen werden mittels großzügig gewährter Kredite künstlich am Leben gehalten, regierungsgefällige Berichterstattung sorgt für kontinuierliche Staatsaufträge und öffentliche Darlehen. Das Misstrauen in der Gesellschaft hatte eine durchaus greifbare Komponente: Die Oligarchen zahlen für Nachrichten und bestimmen ihren Inhalt. Die Syriza-Regierung konnte sie nicht entmachten.

Italien als Laboratorium der neuen Demokratie

Die 5-Sterne-Bewegung, die Movimento 5 Stelle (M5S) entzieht sich den üblichen politiktheoretischen Differenzierungen. In ihr mischen sich moderne Elemente von Partizipation und direkter Demokratie  auf digitaler Basis mit der Akzeptanz einer charismatischen Führung, die aber selbst parteiintern die Fäden intransparent zieht. Das Internet erweist sich gleichzeitig als Instrument einer radikalen Demokratisierung wie eines arkanen Autoritarismus. Der Führer Beppe Grillo wird intern als „leader mediaticobezeichnet und damit augenzwinkernd in seiner Rolle anerkannt. Seine Bewegung lehnt die traditionellen Massenmedien ab, profitiert aber von seiner großen traditionellen Medienpräsenz. Vor allem jüngere WählerInnen waren offenbar durch das Versprechen, dass hier Demokratie neu erfunden würde, fasziniert, rund ein Drittel stimmten für das Movimento. Bei den Nationalwahlen erhielt die Partei, die keine sein will, 25 Prozent der abgegebenen Stimmen. In vielen Kommunen – darunter Turin und Rom – gewannen ihre KandidatInnen die Bürgermeisterwahl.

Auf die italienischen Besonderheiten wird zur Erklärung des Phänomens hingewiesen. Offenbar steht (und fällt?) die 5-Sterne-„Bewegung“ mit ihrem Führer Grillo. Sein eindrucksvoller Kopfschmuck und sein besonderes, aus dem Kabarett hervorgegangenes Redetalent waren schon für den Gründungsprozess 2009 entscheidend. Zeitweise (2017-2018) trat mit Luigi di Maio eine zweite Persönlichkeit an seine Seite, der verabschiedete sich aber bald von der 5-Sterne-Bewegung. Grillo verkörpert die Führungsmacht regelrecht. Im Wahlkampf  2012 inszenierte er ein „Schwimmen von Messina“ nach dem Vorbild von Benito Mussolini und vielleicht auch Mao Tse tung: „Ich bin 64 Jahre alt und habe die Straße von Messina physisch durchquert“, erklärte Grillo nach seiner Ankunft am Strand.

Die zweite „italienische“ Besonderheit betrifft die Sprache der italienischen Politik, die in ihrem Trend zu Vulgarität und dem Spiel mit antipolitischen Slogans den anderen europäischen Ländern deutlich voraus ist. Diesen Trend hat Silvio Berlusconi vorgeprägt. Auch ist die Vertrauenskrise der politischen Institutionen, die Entzauberung der Politik und der Parteien aufgrund einer Serie von Korruptionsverfahren größer als in vergleichbaren europäischen Ländern. Die italienischen Politiker stehen im Vergleich zu den deutschen als Versager da, wie 1923, die es nicht geschafft haben, die Wirtschaftsstruktur zu modernisieren. Die Folge ist nicht nur Staatsverschuldung, sondern auch Jugendarbeitslosigkeit. Die Generationen der „digital natives“ lesen keine Tageszeitungen mehr und interessieren sich weniger für die Institutionen der Politik als frühere Generationen, sie orientieren sich an zivilgesellschaftlichen Kommunikationsräumen, in denen sich Privates und Öffentliches mischt.

In Italien wird auch besonders deutlich, wie sehr die Entscheidungskompetenzen von Nationalstaaten durch die Macht global agierender Konzerne vermindert werden. Innerhalb der EU ist Italien einer der abgehängten Staaten und ärgert die EU mit der Vorstellung, das Land könnte sich auch über besondere Wirtschaftsbeziehungen von China abhängig machen.

In einem 2018 veröffentlichten Aufsatz nannte die Kieler Politikwissenschaftlerin Paula Diehl das italienische Experiment noch ein „Laboratorium für die Untersuchung neuer Tendenzen der aktuellen Demokratie“.  Aber Aufstieg  und Niedergang der „5-Sterne-Bewegung“ in Italien verliefen gleich schnell. Die Koalition mit der neofaschistische Lega Nord zerbrach im August 2019, woraufhin das M5S zusammen mit der verschmähten Sozialdemokratischen Partei „Partito Democratico“ eine Koalition bildete.

Das Scheitern des Mythos von der Bewegung der fünf Sterne ist für viele ihrer jungen UnterstützerInnen die erste – oder nach der Phase Berlusconi die zweite – politische Erfahrung, die sie machen. Ein Blick nach Lateinamerika zeigt, dass die Erfolgsbilanz des Linkspopulismus dort nicht weniger negativ ausfällt. Ein Mythos am Ende? Die Theoretiker linkspopulistischer Erzählungen zeigen sich auffallend sprachlos.

„Kapitalismus abschaffen“ als populistische Parole

Es geht um nichts weniger als „Kapitalismus abschaffen" - wobei aber den Texten der Linkspopulisten nicht zu entnehmen ist, auf welchem Weg das verwirklicht werden könnte und was danach kommen könnte. Und auch wie die Unzufriedenen auf einen gemeinsamen Nenner kommen könnten, bleibt offen. „Kapitalismus abschaffen“ ist eigentlich nur die Chiffre für ein umfassendes Unbehagen an der Welt. Die populistische Kapitalismus-Kritik hat eine rein moralische Begründung: Es geht um „globale Gerechtigkeit“, „Kampf gegen Armut und Not“, „militärische Entspannung“ und neuerdings um die „Öko-Wende“. 

Die „Kapitalismus-Kritik“ hat sich vollkommen von der realen Geschichte der Arbeiterbewegung abgelöst und wird auch nicht mehr mit politisch-ökonomischer Notwendigkeit begründet, sie ist ein kulturelles Wunschkonzert geworden. Diese Kapitalismus-Kritik will in gewisser Anknüpfung an die Frühsozialisten die Ungleichheitseffekte des Ökonomischen politisch abschaffen, sie will die moralisch problematischen Folgen des Kapitalismus von seinen produktiven abtrennen und negiert, dass es gerade der maßlose Egoismus ist, die Sucht nach Reichtum und Ruhm, der die Menschen so arbeitsam, wagemutig und produktiv macht.

Solange es einen real existierenden Sozialismus gab, konnte man immer die Frage stellen, welches Wirtschaftssystem denn mehr „gegen Armut und Not“ erreicht hätte. Nach dem Ende des realen Sozialismus ist die Alternative wieder zum Traum, zur Vision geworden, auf die alle Hoffnungen projektiert werden können.

Unter entsprechend höherem Rechtfertigungsversuch steht der reale Kapitalismus. Für die relative Armut der Vielen hat der Kapitalismus keine plausible Erzählung, da auch faule Menschen reich werden können und der Reichtum sich sogar besser vermehrt, wo jemand „das Geld für sich arbeiten“ lässt, d.h. im Zweifelsfall die Armen.

In dieser Lage wird der geplünderte Supermarkt zum Fanal – Reichtum für alle. Gewalt simuliert – für einen Moment – Macht, Durchsetzungsfähigkeit, Autonomie. Linkspopulistisch gerechtfertigte Gewalt simuliert gegenüber den Beobachtern Handlungsfähigkeit. Es geht um Gewalt, die Dritten vorgeführt wird, um Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen: „Ich will alles, und zwar sofort". Der Populismus ermöglicht es, das ist seine psychologische Funktion, sich wenigstens mental auf die „richtige Seite“ zu retten.

    siehe auch die Texte zum Thema
    Populismus und Medien-Demokratie 
    MG-Link
    Demokratie und Republik  MG-Link