Klaus Wolschner                    Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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III
Medien
-Theorie

Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen”

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Über die Mediengeschichte der Schriftkultur und ihre
Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion
im  Jahrhundert des Auges

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Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne

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POP 55

Über traditionelle
Herrschafts-Kommunikation
und neue Formen der
Medien-Demokratie:
Wenn der Pöbel
online kommt
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Gesicht und Schleier

Im Jahrhunderte alten Streit um den Schleier geht es die Beziehung
von Körper-Sprache und Identität des Menschen

2014

77TeufelsblumeZu den Strategien der Kommunikation gehört das Phänomen der Verschleierung. Die Biologie kennt vielfältige Versionen der „Mimikry“, mit denen Lebewesen sich unsichtbar machen oder Fressfeinde täuschen.

Die afrikanische „Teufelsblume“ ist in Wahrheit eine Fangschrecke,
deren Vorderleib einer Blüte ähnelt.
Insekten sollen auf diese falsche Blüte fliegen und werden gefressen.

Verschleierungen sollen unseren Blick behindern, sie sollen gleichzeitig Projektionsfläche für die Vorstellungskraft und das Begehren sein, sie provozieren ein Bedürfnis nach Enthüllung, Entschleierung ist Wahrheitsfindung. Mechanismen des Blickschutzes sind oft solche der Blick-Lenkung - sie sollen die Aufmerksamkeit anziehend lenken und ablenken.

Gesicht zeigen

Das Gehirn ist in besonderer Weise auf das Erkennen und Deuten von Gesichtern spezialisiert – ganz so, als habe die Evolution die Lebewesen bevorzugt, die die Gesichtserkennung zur Strukturierung der Kommunikation nutzen. Gesichter gehören zu den visuellen Reizen, die wir am intensivsten wahrnehmen. Die Gesichtswahrnehmung beansprucht im Menschengehirn mehr Raum als jede andere figurative Repräsentation.
Bereits nach einem Sekundenbruchteil haben wir Informationen über Identität, Geschlecht, Stimmung und Alter „herausgelesen“.  Bei der Gesichtswahrnehmung suchen wir zudem Gefühlswahrnehmungen zu identifizieren – umgekehrt „verrät“ unser Gesicht bewusste wie unbewusste  emotionale Prozesse.  

Von Geburt an betrachten Säuglinge viel häufiger und aufmerksamer Gesichter als andere Objekte – als justierten sie ihre Gehirne für die Bedeutung der Gesichtswahrnehmung in der sozialen Kommunikation. Das Gehirn ist auf den Umgang mit Gesichtern spezialisiert – es nutzt bestimmte Muster als ganzheitliche Schablone und „erkennt“ daher Objekte, die dieser Schablone gleichen, leicht als Gesicht.  Dabei vollzieht das Gehirn einen Abgleich mit einer Schablone nach dem Kinderreim: Pünktchen - Pünktchen - Komma - Strich – fertig ist das Mondgesicht.

77Gemüsegärtner1   77Gemüsegärtner2 

Giuseppe Arcimboldo hat dies mit seinem Ölgemälde „Der Gemüsegärtner“ um 1590 gezeigt:
Wir sehen eine Gemüseschale, wenn das Bild auf dem Kopf steht, erkennen wir mühelos ein Gesicht.

Gesichter und Masken

Das Gesicht verbindet das Innen mit dem Außen, es macht aus zwei getrennten Dingen eine Einheit.
Oder eben auch nicht. In der antiken Tradition war „persona“ die Maske, die der Schauspieler sich vor das Gesicht hielt: Er simulierte nicht, sondern spielte durchsichtig seine Rolle. In der christlichen Tradition des Abendlandes gibt es die Maske als fingiertes Gesicht. Das falsche Gesicht verdeckt das wahre und steht für Lüge und Betrug. Die Maske ist das Symbol für Entfremdung. 

Durch den aufrechten Gang werden nicht nur die Hände frei, auch das Gesicht des Menschen richtet sich auf. Im Gesicht spiegelt sich die persönliche Existenz unter Einbeziehung des „Gesehenwerdens“. Während der übrige Körper von Kleidung bedeckt ist, zeigt sich die Individualität dem Gegenüber durch die Anordnung von Stirn, Nase, Mund und Kinn, durch Augen und Stimme.

In dem Gesicht, das eine Person macht, spiegeln sich seine Individualität und Gefühlswelt sowie die Erwartungen der anderen wider. Schon Kindern sagt man, dass sie  stets freundlich gucken sollen. Das erleichtert den alltäglichen Umgang und vermeidet Situationen, die peinlich oder belastend werden könnten. Der wahre, nackte Körper muss verdeckt werden, damit der Mensch gesellschaftsfähig wird. Kleider sind die Masken des Körpers. Während die Kleidung im Sinne von Selbstdarstellungs-Bedürfnissen und Fremddarstellungs-Ansprüchen frei gestaltbar ist, unterliegen die Gesichtszüge dem Anspruch, authentisch zu sein: Das Gesicht ist nur wenig manipulierbar, Manipulationen fallen sofort auf.

77Paik HandsFaces

Nam June Paik:
Hand and Face
1961

 

Es gibt keine scharfe Grenze zwischen Gesicht und Maske, weil auch das natürliche Gesicht immer „Träger sozialer Zeichen“ bleibt: „Der Mensch betreibt Repräsentation mit dem eigenen Gesicht. Er repräsentiert eine Rolle im Leben“ (Hans Belting).

An dieser Schnittstelle von Natur und Kultur wird der Mensch zum Schauspieler seines Selbst. Der Mensch hat nicht ein Gesicht, sondern macht viele Gesichter. Die alten Griechen nannten die Maske prósopon", das Wort bezeichnete auch das Gesicht. Im Gesicht bilden sich die Emotionen ab, es gibt Einblicke in das Innere des menschlichen Empfindens. So wenig wie jemand den Kaiser nackt sehen will, so wenig dürfen Machthaber Tränen zeigen. Im Gesicht schlagen sich die gesellschaftlichen Konventionen nieder, es wird zur Bühne des Rollenspiels und der Moden. Dieses Wechselspiel von Innen und Außen, von Emotion und gesellschaftlicher Konvention macht die Individualität aus. „Auch das Gesicht hat Rollen, die es spielen soll. Als Charaktergesicht ist es eine Rollenmaske. Die Mimik, wenn man diesen Gedanken weiterführt, wäre dann das Schauspiel, das jemand mit seinem Gesicht aufführt." (Hans Belting)

Das Bild ist ein Abbild des erstarrten Gesichtes. Die antike Totenmaske und das neuzeitliche Portrait zeigen den Menschen so, wie er auf ewig gesehen werden will. Bilder können das Lebendige des Gesichtes nicht einholen. Bilder sind ikonisierte Statthalter einer abwesenden Person.

Gesicht verhüllen

Das zentrale Objekt der Verschleierung sind die Haare. Sie sind in der Literaturgeschichte das Sinnbild der Erotik, Objekt der Sehnsucht und Traumthema. Sie symbolisieren Persönlichkeit, Körpergefühl und Selbstwert. Daher werden sie zur Opfergabe beim Eintritt ins Klosterleben, also beim Verzicht auf die Eitelkeiten der Persönlichkeit. Das Abschneiden der Haare signalisiert Macht. Sklaven und Gefangene werden zur Demütigung geschoren, auch die KZ-Insassen.
Die „Sprache“ der Haartracht scheint universell: Kraft und Freiheit, Stolz und Selbstbewusstsein bedeutete schon für Kelten und Germanen das  langes Haar. In Frankreich wurden im 2. Weltkrieg Frauen, die sich mit deutschen Soldaten eingelassen hatten, kahl geschoren.

Ein Schleier verhüllt „den schönsten Schmuck“ der Frau – das Haar. Das Tragen einer Haar-Bedeckung kann auch ein modischer Brauch sein - in Europa des 14. und 15. Jahrhunderts bedeckten vornehme Frauen ihr Haar. Bis ins späte Mittelalter  hinein war der Schleier in der arabisch-islamischen Welt Ausdruck eines hohen sozialen Prestiges und wurde auch von wohlhabenden Jüdinnen und Christinnen getragen.

Bekleidungsordnungen sind Verhüllungsordnungen und markieren Grenzen im öffentlichen Raum – insbesondere die Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem. In der europäischen Kulturgeschichte der Verhüllung gibt es dabei einen auffälligen Unterschied zwischen der Verhüllung des Körpers und der des Gesichtes. Die Verhüllung des Körpers ist das Thema der Schamkultur, das unverhüllte Gesicht gilt dagegen als Zeichen der Individualität.

Der europäische Blick auf die Verschleierung des weiblichen Gesichtes ist auch dadurch geprägt, dass der Schleier zum Zeichen des klösterlichen Lebens von Frauen wurde. Er symbolisiert den Verzicht auf weltliches Leben und insbesondere auf Sexualität. Die verschleierten Nonnen zeigen, dass sie nur Gott dienen – geradezu „vermählt“ sind mit Christus, wie ihnen Theologen gern sagen. Dass auch diese Verschleierungsformen eine Gender-Komponente haben und Geschlechter-Machtverhältnisse widerspiegeln, zeigen die unterschiedlichen Verschleierungsvorschriften für Mönche und Nonnen. „Den Schleier nehmen“ ist das Synonym für den Eintritt der Frau ins Kloster. Männer, die ihr Gesicht und damit ihre Identität verhüllen, maskieren sich als besonders brutale Krieger.

Ein Schleier richtet ein Hindernis für die visuelle Wahrnehmung auf. Er setzt symbolische Grenzen. Bei aller kulturellen Vielfalt der Schleier-Bräuche sind verbindliche gesellschaftliche Vorschriften zur Verschleierung der Frau immer auch sexuelle Macht-Demonstrationen. Schon die antike assyrische Kultur verbot Sklavinnen, deren Vergewaltigung kein Verbrechen war, das Tragen eines Schleiers.

Eine assyrische Rechtssammlung regelt sehr differenziert:  „Ehefrauen eines a'ilu (Bürgers), Witwen oder assyrische Frauen, die auf die Straße hinausgehen, lassen ihren Kopf nicht unverschleiert ... Wenn sie bei Tage allein auf den Platz gehen, verhüllen sie sich auf jeden Fall...  Eine Harimtu   verhüllt sich nicht, ihren Kopf lässt sie unverhüllt ... Eine Sklavin verhüllt sich nicht.“ „Harimtum“ ist ein altes semitisches Wort für „abgesonderte“ Frauen, die als „vogelfrei“ galten – Tempeldienerinnen und Prostituierte. 

77 Assyrisches Recht

aus einer Assyrischen Rechtssammlung

Verschleierung in jüdischer und christlicher Tradition

Im Hebräischen gab es keine besondere Terminologie, die den Schleier von anderen Tüchern zur Bedeckung des Kopfes eindeutig abgegrenzt hätte. Dabei war es in der alttestamentlichen Gesellschaft wie in allen östlichen Kulturkreisen für die weiblichen Mitglieder üblich, den Kopf zu verhüllen. Die der Kopfverhüllung dienenden Tücher hatten schmückende Funktion und waren ein alltägliches Element der Bekleidung.
Unter Juden war eine Frau mit entblößtem Haupt etwas Schändliches. Ihr Mann  konnte sie verlassen, ohne die Hochzeitsverschreibung zurückzahlen zu müssen. Nach dem theologischen Verständnis verleugnete die Frau ihre Stellung innerhalb der Schöpfungsordnung, wenn sie den Schleier verweigerte, zu der die Unterordnung unter den Mann gehörte.
Im Alten Testament steht der Schleier daher meist im Kontext von Unschuld, Keuschheit und Ehre. Die Entblößung steht für Entwürdigung und Entehrung. 
Mit dem Schleier schützte die Frau ihren ehrenwerten Status in der Gesellschaft, indem sie die Männer vor „Verführung" bewahrt, mit dem Schleier verbindet sich die Ehre ihrer eigenen Person und ihrer Familie. Der babylonische Talmud schreibt Frauen die Verschleierung vor - eingehüllt wie eine Leidtragende soll sie gehen. Strenggläubige orthodoxe Jüdinnen bedecken von ihrer Hochzeit an kurzgeschnittenes Haare unter einer Perücke (Schijtel).

Die frühen Christen haben den Schleier aus dem Judentum und ihrer griechisch-römischen Umwelt übernommen. Es gibt auch in den später kanonisierten Schriften des neuen Testaments keine eindeutige Kleiderordnung. Gegenüber den Korinthern musste der Apostel Paulus offenbar über die Frage debattieren, ob die selbstverständlich in der Öffentlichkeit verschleierten Frauen auch in den rituellen Feiern, in denen „Brüder und Schwestern“ unter sich waren, den Schleier tragen müssen. (1)
Die frühen Kirchenväter bezogen sich für ihr Schleiergebot auf die Bemerkungen Paulus’ im Korinther-Brief. Der Kirchenvater Tertullian (150-220) verlangte die Verschleierung aller Frauen
(De virginibus velandis), auch der Jungfrauen. Die Verhüllung ihres Hauptes war im römischen kulturellen Umfeld erst für verheiratete Mädchen üblich.
Nach Tertullian sollte der Schleier soviel verdecken, wie auch vom offenen Haar bedeckt wird: „Sie sollen zur Kenntnis nehmen, dass der ganze Kopf Teil der Frau ist. Sein Gebiet reicht bis dorthin, wo das Kleid anfängt. Soviel die offenen Haare bedecken können, soweit geht der Bereich des Schleiers, sodass auch der Nacken umhüllt wird. Er nämlich ist es, der gedemütigt werden muss und seinetwegen benötigt die Frau eine ‚Macht‘ auf ihrem Kopf. Der Schleier ist für ihn ein Joch.“
Klemens von Alexandria (150-215) präzisierte den Hintergrund: Die verschleierte Frau wird „keinen anderen dadurch, daß sie ihr Gesicht enthüllt, zum Fallen in Sünde verlocken.“

Verschleierungs-Vorschriften im Koran

Unter Bezug islamische Quellen dient der Schleier bis heute zum Ausschluss von Frauen aus dem öffentlichen Raum. Es geht dabei um den Schutz der Männer vor den Reizen der Frau. (2) So muss der Mann insbesondere den Bereich zwischen Nabel und Knien stets bedeckt halten. Auch wenn ein Mann den privaten Bereich des Hauses betritt, muss sie sich und damit ihre Weiblichkeit verhüllen. Nur für Frauen, die nicht als sexuell aktiv gelten, also vorpubertäre Mädchen und ältere Frauen, gelten diese Vorschriften nicht. „Und für die unter den Frauen, die sich zur Ruhe gesetzt haben und nicht mehr zu heiraten hoffen, ist es kein Vergehen, wenn sie ihre Kleider ablegen, ohne dass sie jedoch ihren Schmuck zur Schau stellen. Und besser für sie wäre, dass sie sich dessen enthalten. Und Gott hört und weiß alles.“ (Sure 24:60)

77 Niquab2Selbst die Niquab-Verschleierung kann
als Blickfang dienen,
wenn die sichtbaren Augen darunter
attraktiv geschminkt werden.

 

Der Ausschluss aus dem öffentlichen Raum ist Ausdruck eines Machtverhältnisses. Der verheiratete Mann soll über seine Frauen verfügen: „Deine Frauen sind für dich wie ein Acker. So geh in dein Feld, wie und wann immer es dir gefällt." (Sure 2,224). „Rechtschaffene Frauen sollen gehorsam, treu und verschwiegen sein, damit auch Allah sie beschütze. Denjenigen Frauen aber, von denen ihr fürchtet, dass sie euch durch ihr Betragen erzürnen, gebt Verweise, enthaltet euch ihrer, sperrt sie in ihre Gemächer und züchtigt sie. Gehorchen sie euch aber, dann sucht keine Gelegenheit, gegen sie zu zürnen; denn Allah ist hoch und erhaben." (Sure 4,35).
Ganz offiziell werden die Sonderechte für den Harem des Propheten in Sure 33,51-58 erläutert: „Dir, o Prophet, erlauben wir alle Frauen, (1) die du durch eine Morgengabe erkauft hast, und (2) ebenso deine Sklavinnen, welche dir Allah (aus Kriegsbeuten) geschenkt hat, und (3) die Töchter deiner Onkel und Tanten von Vater- und Mutterseite, (4) die mit dir aus Mekka geflüchtet sind, und (5) jede gläubige Frau, die sich dem Propheten überlassen und die derselbe heiraten will. Diese Freiheit sollst nur du haben vor den übrigen Gläubigen ...“
Für Fatima Mernissi (in: „Der politische Harem“) ist der Schleier ein Zeichen für eine Männer-Gesellschaft ohne Selbstkontrolle und innere Scham.

 

    Anmerkungen:

    1) 1. Brief an die Korinther heißt es:
    6 Wenn eine Frau kein Kopftuch trägt, soll sie sich doch gleich die Haare abschneiden lassen. Ist es aber für eine Frau eine Schande, sich die Haare abschneiden oder sich kahl scheren zu lassen, dann soll sie sich auch verhüllen.
    7 Der Mann darf sein Haupt nicht verhüllen, weil er Abbild und Abglanz Gottes ist; die Frau aber ist der Abglanz des Mannes.
    13 Urteilt selber! Gehört es sich, dass eine Frau unverhüllt zu Gott betet?
    14 Lehrt euch nicht schon die Natur, dass es für den Mann eine Schande,
    15 für die Frau aber eine Ehre ist, lange Haare zu tragen? Denn der Frau ist das Haar als Hülle gegeben.
    16 Wenn aber einer meint, er müsse darüber streiten: Wir und auch die Gemeinden Gottes kennen einen solchen Brauch nicht.
    Offenbar stritten die Korinther darüber.

    2) Den kulturellen Kontext der ursprünglichen islamischen Verschleierungs-Vorschriften machen unzählige Geschichten aus dem Koran deutlich, deren allgemeingültige „Auslegung“ in der Geschichte der Koran-Überlieferung kontrovers war. 
    Fatima Mernissi beschreibt auch die Geschichte vom Ursprung des Schleiers. Im Arabischen heißt der Schleier Hijab, wörtlich „Vorhang“. Am Hochzeitsabend des Propheten Mohammed mit seiner siebten Frau, seiner „Cousine“ Zainab im Jahre 627, wollten einige taktlose Gäste die jung Vermählten nicht alleine lassen. Möglicherweise wurde die Hochzeit auch als anstößig empfunden - die Anhänger Mohammeds debattierten noch lange, wie der Verstoß gegen das Verbot, die ehemalige Gattin eines (Adoptiv-)Sohnes, des freigelassenen Sklaven Zaid, zu heiraten, legitimiert werden könnte. Der Prophet hatte, nachdem er sein Auge auf Zainab geworfen hatte, offenbar seinen früheren Sklaven Zaid unter Druck gesetzt, sich von Zainab zu trennen und sie damit für ihn „frei“ zugeben. Der Prophet wollte jedenfalls nach der Überlieferung in der „Hochzeitsnacht“ seine Gäste nicht einfach dazu auffordern, zu gehen. Der Hijab-Vers 53 der Sure 33 soll in dem Zimmer der Brautleute als Vorhang herabgekommen sein, um die Grenze zwischen dem Innen und dem Außen ziehen zu können.

    Als Hinweis darauf, dass Muhammad ein lüsterner Macho wie andere mächtige Männer seiner Zeit war, gilt die Geschichte einer (ungläubigen) ägyptischen Konkubine: Muhammad erhielt in seinem neunundfünfzigsten Jahr, im siebten Jahr der Flucht von Mekka (628 n. Chr.), von Elmokaukas, dem Statthalter Ägyptens, eine koptische Sklavin zum Geschenk, welche Maria hieß. Muhammad hat dieser beigewohnt. Sie gebar Muhammad den Sohn Ibrahim, der jedoch 631 starb. Dieser Beischlaf geschah in der Wohnung seiner abwesenden Ehefrau Hafsa, Tochter des Umar, und zwar auf deren eigenem Bett, und noch dazu an einem Tag, an welchem der Beischlaf dieser oder Aischa gebührt hätte. Als Hafsa dies erfuhr und ihn deshalb zur Rede stellte, versprach er, das Mädchen nicht mehr berühren zu wollen, wenn sie das Geschehene geheimhalte, und versprach zugleich, dass Umar und Abu Bekr, dereinst seine Nachfolger in der Regierung werden sollten. Hafsa erzählte den Vorfall dennoch der Aischa, worauf Muhammad einen ganzen Monat lang, von allen seinen Frauen getrennt, in den Zimmern der Maria zubrachte, bis er auf ‘Verwendung des Engels Gabriel‘ Hafsa wieder in Gnaden annahm. Maria, nebst ihrer Schwester Schirina, die er mitgeschenkt erhalten hatte, blieben bis zu seinem Tode bei ihm. Erstere starb fünf Jahre nach ihm und liegt zu Medina begraben" (‘Der Koran‘, übersetzt von Ludwig Ullmann, Fußnote 2 der Sure 66,2-3). ‘Der Prophet Allahs nahm Maria, die ihm vom Herrscher Ägyptens speziell für ihn gesandt war, zu sich. Mit ihr hatte er sexuelle Beziehungen, ‘weil sie unter seiner Macht war‘ (sie war seine Sklavin). Es kann nicht nachgewiesen werden, dass er sie befreit und geheiratet hat", sagt dazu der Kommentar ‘Tafhimul Qur‘an‘.

    Oder die Geschichte von den vergewaltigten Kriegsgefangenen:
    „Die Banu Quraisa (auch ein jüdischer Stamm) leisteten Widerstand. Dann tötete er ihre Männer und verteilte ihre Frauen, Kinder und Besitz unter die Muslime, außer den wenigen, die sich dem Gesandten Allahs angeschlossen hatten. Ihnen garantierte er Sicherheit. Sie nahmen den Islam an" (‘Sahih Muslim‘ III, Seiten 963-964).
    „Dann ging der Gesandte Allahs auf den Marktplatz von Medina ... und veranlasste, dass dort Gräben ausgehoben wurden. Dann ließ er sie holen und enthauptete sie in diesen Gräben. Es waren ungefähr 600-700. Und er, der ihre Zahl am höchsten einschätzte, sagt, dass es zwischen 800-900 waren ... Und der Apostel Gottes wählte für sich von den Frauen Rihanah ... und sie lebte beim Apostel Allahs, bis er starb, und sie gehörte zu seinen Konkubinen" (‘Siratu’l Rasul‘ Verse 689-693). Rihanah taucht nicht in der Liste der „Ehefrauen“ des Propheten auf.