Klaus Wolschner               Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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I
Medien-
Geschichte

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Über die Mediengeschichte der Schriftkultur und ihre Bedeutung für die
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Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne
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Experiment und poetische Phantasie

Scientific Community: Die Erfindung des Konzeptes der Elektrizität
war ein Produkt der kommunikativen Vernetzung
der „Gelehrtenrepublik“ der Aufklärung im
18. Jahrhundert

2012

Die neuen Phänomene des Magnetismus und der Elektrizität faszinierten die Menschen in der Mitte des 18. Jahrhunderts, aber sie waren noch nicht in eine gesellschaftlich anerkannte Ordnung des Wissens integriert. Der böhmische Jesuitenpater Procop Diviš hat 1754 in seinem Pfarrgarten in der Nähe des Klosters Brendlitz in Mähren räumlich verteilten Metall-Spitzen aufgestellt - mit der Erwartung, so seine Überzeugung, dass so die Gewitterelektrizität großflächig abgeleitet werden könnte  („Wettermaschine“). Er hatte seine Erkenntnisse aus Experimenten gewonnen. Diese erstem Blitzableiter der Geschichte wurden 1755 zerstört, weil sie verantwortlich gemacht wurden für eine große Dürre: Der Blitzableiter leite alle Elektrizität aus der Luft in die Erde und habe so den Regen verhindert, wurde gesagt. Als Diviš 1755 dem Kaiser Franz den Vorschlag unterbreitete, auf der Wiener Hofburg, der kaiserlichen Residenz, Blitzableiter anbringen zu lassen, stieß er auf Ablehnung.

Nicht alle teilten aber die Sorge verbreitet, dass durch einen Eingriff in Gottes Strafgericht erst recht sein Zorn provoziert werden könnte.  Der pietistische Theologe Christoph Friedrich Oetinger war begeistert von Diviš Experimenten und sah in dem „electrischen Feuer“ ein Lebenselement, das von Gott in die Gegenstände hineingegossen worden sei: „Nun aber, da Gott seine wunderbahre und erstaunliche Geheimnisse der Natur, vermittelst der electrischen Experimente und der Wissenschaft derselben, der Welt etwas näher geoffenbahret hat, so kan man viele Ding in der Natur, die vorhin verborgen waren, gewisser abmessen und deutlicher erklären.“ Oetinger deutete sogar den biblischen Feuerblitz (Chasmal), den Prophet Ezechiel in seiner Vision vom Thron Gottes gesehen hatte, als elektrisches Feuer.

Bereits Diviš  nutzte die Elektrizität als „Lebenskraft“, um Kranke zu behandeln - insbesondere sollte sie gegen Lähmungen wirken. Das „electrische Feuer“ werde, erklärte Oetinger, zum „wahren Balsam der Natur“, das dem Kranken „eingeblasen“ werden könne, um sein dahinschwindendes Lebensfeuer zu verstärken.

Franklin Blitzableiter 1753„Ob Gott vielleicht dem Menschen
seine erhabene Herrlichkeit
verborgen halten will?“
sinnierte - sehr vorsichtig -
der Begründer der Methodisten,
John Wesley.

 

 

Die geheimnisvollen Phänomene, die in den Experimentier-Zirkeln der wissenschaftlichen Gesellschaften  und von Schaustellern vorgeführt wurden, elektrisierten” geradezu die volkstümlichen Vorstellungen von Gott und der natürlichen Welt. Auf einem der besonders vom Blitzeinschlag betroffenen Kirchtürme wurde der Blitzableiter in Deutschland erstmals 1769 installiert - auf der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi.

Der neue soziale Ort der Naturwissenschaften
zu Beginn des 17. Jahrhunderts 

Im Spätmittelalter hatten Ordenstheologen noch einen beachtlichen Anteil an naturwissenschaftlichen Entdeckungen gehabt. Schon die private „Accademia dei Lincei“, eine Gruppe gleichgesinnter Gelehrter um den Marchese Federico Cesi zum Zwecke der Durchführung naturwissenschaftlicher Experimente, die Galileo Galilei 1611 besuchte, verbot ihren Mitgliedern, einem religiösen Orden anzugehören  und schloss die Diskussion religiöser und politischer Fragen aus.

Franklin ElectriciteGelehrte trafen sich abseits von Kirche und Staat als neue Elite. In London hatte sich 1660 eine „Royal Society“  gegründet, mit der „Academie Royale des Sciences” in Paris gab es seit 1666 ein weiteres Zentrum der Erneuerung der Wissenschaften, das zudem direkt vom Staat finanziert wurde. Der Gedanke dieser Gesellschaften, die zunächst vor allem aristokratische Zirkel erreichte, elektrisierte die Gebildeten in England, Frankreich und im deutschen Sprachraum. Im 16. und frühen 17. Jahrhundert konnten solche Gelehrte über Briefe, Fachzeitschriften und gegenseitige Besuche - fahrplanmäßig verkehrenden Kutschen zwischen den Hauptstädten – eine Gelehrtenkultur aufbauen, die die Vorstellung einer europaweiten Gelehrtenrepublik entstehen ließ. Der Fortschrittsgedanke, den Galilei und Bacon formuliert hatten, wurde zum Programm einer Gegenöffentlichkeit, hier wurde der traditionelle Wertekanon des Wissens, der das Alte über das Neue gestellt hatte, umgekehrt.

Zum Beispiel Francesco Algarotti (1712-1764): Er war Mitglied der Royal Society, der Berliner Akademie der Wissenschaften und anderer gelehrter Gesellschaften. Auf seinen weiten Reisen lernte er die Hauptstädte Europas kennen und korrespondierte mit den bedeutendsten Vertretern der europäischen Aufklärung ebenso wie mit gekrönten Häuptern, die der Aufklärung nahe standen. So war wurde er zum Vermittler zwischen Hofkultur und bürgerlicher Stadtkultur.

Voltaire hat 1738 in Frankreich mit seinem Buch „Elements de la philosophie de Newton“ dem Gedanken der experimentellen Wissenschaft gegen spekulative Phantastereien zum Durchbruch verholfen. Die erste vollständige Ausgabe gab noch 1741 vorsichtshalber „London“ als Druckort an. Die gelehrten Kreise versuchten schon früh, das neue Naturwissen unter dem Motto „Damenphilosophie“   zu popularisieren. Der italienische Aufklärungsschriftsteller Algarotti veröffentlichte 1737 ein Buch „Newtonianismo per le dame”.

Das Experimentieren war eine verbreitete Kulturform für solche Gesellschaften. Schon 1709 war das Buch „Experience de physique” des Mathematikers Pierre Poliniere ein großer Erfolg, zwischen 1690 und 1740 gab es an den europäischen Universitäten regelmäßige Vorlesungen zur experimentellen Naturlehre. Durch Experimente, die alte Wissens-Ordnungen infrage stellten, wurde der neue Glaube an einen wissenschaftlichen Fortschritt bestätigt. Zum Beispiel wies der Galilei-Schüler Torricelli mit Quecksilber-Experimenten an selbst konstruierten Barometern nach, dass Luft ein Körper ist, der ein Gewicht hat. Die Idee des Vakuums kannten schon die epikureischen Philosophen, die davon ausgingen, dass die Materie aus unteilbaren kleinsten Teilchen (atomoi) aufgebaut ist, die sich im leeren Raum, also im Vakuum, bewegen. Aristoteles hatte diese Idee verworfen,  da er sich eine Bewegung ohne treibendes Medium nicht denken konnte. In seinem Sinne gingen die mittelalterlichen Philosophen davon aus, dass der Raum zwischen den Gestirnen von einem Äther erfüllt ist, der Natur wurde ein „horror vacui”, eine Abneigung gegen das Leere, zugeschrieben. Diese Möglichkeit eines Vakuum wies der Magdeburger Bürgermeister Otto von Guericke 1654 spektakulär nach, als er auf dem Reichstag von Regensburg jeweils zwölf Pferde von beiden Seiten an zwei evakuierte Messinghalbkugeln ziehen ließ. Das Vakuum war stärker als die Pferdekraft, und als man Luft in die Halbkugeln hinein ließ, fielen sie auseinander.

Wissenschaftliche Instrumente wie Mikroskop, Teleskop, Thermometer, Barometer, Luftpumpe und Präzisionsuhr führten im späteren 17. Jahrhundert zu immer neuen Beobachtungen, Experimente gab es zu Fragen der Hydrostatik, der Akustik, des Magnetismus, der Licht- und Farbenlehre. In den Experimenten ging es um Blutkreislauf oder tierische Wärme. In den theoretischen Abhandlungen Experimental-Wissenschaft wurden drei Ziele formuliert: die Beherrschung der Natur, die  Verbesserung der Lebensbedingungen  und die Beseitigung alter Irrtümer.  

Elektrische Effekte wurden erst seit den 1730er Jahren modern.

Als „elektrisch“ wurde im 18. Jahrhundert das Phänomen bezeichnet, dass bestimmte Körper, nachdem sie gerieben worden waren, kleinere Körperchen aus ihrer Nähe anzogen, etwa Stückchen aus Stroh, Papier, Kork, Holz oder Metall.  Schon in der Antike waren solche Effekte beschrieben worden, Texte über die Natur aus dem 16. Jahrhundert hatten solche Berichte aufgegriffen. Da der Effekt besonders leicht am Bernstein zu zeigen ist, hat William Gilben, Leibarzt der Königin Elisabeth, solche Wirkungen angelehnt an das griechische Wort für Bernstein - elektron – eben „elektrisch“ genannt. Sein Buch „De Magnete magnetisque Corporibus“ (1600) handelte eigentlich von magnetischen Kräften, aber Gilbert konnte den Bernstein-Effekt nicht recht einordnen und schlug erstmals einen eigenen Namen vor.

Als Ursache wurden nicht wahrnehmbare Entitäten unterstellt: eine »feuchte« Grundeigenschaft aller Materie, die durch Reiben ihre Wirkung entfaltete und damit das Anhaften anderer Körper bewirkte (Gilbert) oder etwa feinstoffliche Strömungen (effluvia), die aus den durch Reiben geöffneten Körperporen strömten.

Erst Francis Hauksbee, Mechaniker und Autodidakt in Dingen der Naturlehre, seit 1703 Experimentator der Royal Society, hatte sich auf die Effekte geriebener Körper und Leuchterscheinungen konzentriert und als Instrument ein ein Meter langes Glasrohr verwendet. Mit Wolle oder mit einem Katzenfell gerieben zeigte es verlässlich demonstrierbare elektrische Anziehungseffekte. Getrieben durch die Notwendigkeit, immer wieder Neues vorzuführen, ersann er immer neue vorzeigbare Experimente. Er erkannte, dass die elektrischen Effekte  durch das Reiben mittels einer rotierenden Kugel verstärkt werden konnten. Hauksbee demonstrierte auch Leuchteffekte im Innern der Kugel. Seine Aufsätze in den „Philosophical Transactions“ machten seine kuriosen Experimente innerhalb Europas bekannt – eine konsistente Erklärung hatte er nicht dafür. Insbesondere mit den überkommenen bestehenden Effluvia-Theorien waren die Effekte das nicht erklärbar. Aber Elektrizität war ein Thema an der Royal Society geworden.

Stephen Gray, gelernter Färber und ebenfalls Autodidakt in der Naturlehre, führte diese Tradition fort. 1729 gelang ihm mittels eines Bindfadens, die elektrische Wirkung über mehrere hundert Fuß zu übertragen. Besonders spektakulär war sein Experiment zur Elektrifizierung eines Kindes, das in waagerechter Lage an Seidenschnüren aufgehängt wurde. Wenn es mit dem Glasrohr elektrifiziert worden war, zog es kleine Körper an. Solche Experimente befriedigten die Schaulust des Publikums. In der Werkstatt der Instrumentenmacher, in den Studierstuben der Gelehrten, in den Hörsälen und auf den Marktplätzen waren Menschen von dem Funken sprühenden Spektakel fasziniert.

Erst Charles Dufay, seit 1723 Chemiker an der Pariser Academie Royale des Sciences, gelang die Systematisierung und begriffliche Neuordnung. Seit 1733 untersuchte er sehr systematisch die Leuchterscheinungen. Dufay suchte nicht nach Theorien über „Ursachen“ der Elektrizität, er war ein Liebhaber des Ordnens empirischer Befunde. Das Problem, das es Phänomene der Anziehung und Abstoßung gab, löste er mit dem Vorschlag, von zwei Elektrizitäten zu sprechen, einer „Glas-” und einer „Harz-Elektrizität“. 

Mit neuen Instrumenten, insbesondere eine Verbesserung der Elektrisiermaschine, ließ sich die Neugier des Publikums auf die Elektrizität verstärken. Elektrizität wurde zu einem öffentliches Spektakel. Das gelang zum Beispiel dem Medizinstudenten und späteren Physikprofessor Georg Mathias Bose. Er elektrisierte eine Person, eine speziell geformte Krone erschien im Halbdunkel wie ein sichtbarer „Heiligenschein“. Populär war auch der „elektrische Kuss“: Wer einer elektrisch aufgeladenen Dame einen Kuss auf die Lippen gab, erhielt er einen kleinen elektrischen Schlag. Populär war auch das Experiment, mit dem Jean-Antoine Nollet vor den Augen des französischen Königs 180 Soldaten, die sich auf einem Kasernenhof im Kreis die Hand reichten, bei der Entladung einer Leidener Flasche gleichzeitig in die Höhe springen ließ. Hier wurde die „électricité“ durch die Begeisterung des Königs quasi geadelt. Elektrizität war dabei keineswegs nur eine Spielerei: Kleinere Tiere konnte man mit den stärkeren Ladungen schon töten. 

Benjamin Franklin: Elektrizität als Ökonomie 

Über die Netzwerke der Gelehrten-Kommunikation sprach sich die Brisanz der Experimente bis nach Amerika herum: Die „Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen“ hatten von Leipziger Experimenten berichtet, auch die in den Niederlanden erscheinende Zeitschrift „Biobliothèque raisonné” griff die Leipziger Experimente von Bose und anderen auf, der Bericht wurde für das englische „Gentlemans Magazine“ übersetzt und diese Übersetzung schließlich erreichte Franklin 1745 in Philadelphia per Post.

Benjamin Franklin, der bis 1726  in England gelebt hatte, war damals Inhaber einer gut gehenden Buchdruckerei in Philadelphia und mit den klassischen Theorien nicht besonders vertraut. Er ordnete die elektrischen Phänomene nach den ihm vertrauten kaufmännischen Gesichtspunkten des „Plus“ und „Minus“. Alles Stoffliche, so seine theoretische Konstruktion, bestehe aus eigentlicher Materie und „elektrischem Feuer“; Materie und Feuer ziehen sich an, Teile des Feuers stoßen sich ab. Im Normalzustand ist von diesen Kräften nichts zu bemerken, weil sie sich gegenseitig kompensierten. Statt von Glas- und Harzelektrizität sprach Franklin von positiver und negativer Elektrizität. Anziehung und Abstoßung waren nicht weiter erklärungsbedürftig, sondern „Grundeigenschaft“ des elektrischen Fluidums, wie es bald genannt wurde. Das alte Erklärungsproblem war gelöst durch eine „Veränderung des Blickwinkels“. (Steinle)

FRANKLIN Briefe von der Elektricität - kleinFranklins „Briefe von der Elektricität“ (1758) riefen in Europa eine breite Reaktion hervor, weil er ein praktisches Problem, das des Blitzes mit seinen fürchterlichen Auswirkungen, technisch zu lösen versprach. „Wenn elektrifizierte Wolken über ein Land, hohe Berge, große Bäume, hochaufragende Türme, Kirchtürme, Masten von Schiffen, Schornsteine usw. ziehen, dann ziehen diese das elektrische Feuer auf sich und die gesamte Wolke entlädt sich dort“, so hatte er im April 1749 seine Beobachtungen über Gewitter in einem Brief an John Mitchell, Geograph und Mitglied der Royal Society in London, geschrieben. Er wollte zeigen, dass mit spitzen Eisenstangen „das elektrische Feuer lautlos aus der Wolke abgeleitet werden“ könnte. Der französische König gab die experimentelle Überprüfung der Franklin’schen Hypothese in Auftrag und äußerte sich in einem Brief an die Londoner Royal Society begeistert über das Ergebnis. Franklin selbst befestigte stromleitendes Metall an einer Drachenspitze. Am Ende der Schnur befestigte er einen Schlüssel. Als er im Beisein seines Sohnes bei einem Gewitter am 15. Juni 1752 seinen Drachen bis auf die Höhe der Wolken aufsteigen ließ, funktionierte sein Versuch tatsächlich: Der Drachen zog mächtige Funken auf sich, die aus dem Schlüssel sprangen. Wäre der Blitz direkt in die Spitze eingeschlagen, hätte es Benjamin Franklin das Leben gekostet. Als 1753 der Petersburger Physikprofessor Georg Wilhelm Richmann bei einem Blitz-Experiment nicht nur wie beabsichtigt Funken anzog, sondern zu Tode kam, war klar, dass hinter den kleinen Phänomenen der Elektrizität große Macht stand. Ausgerechnet der Pariser Experimentator Nollet wandte gegen Franklins Blitzableiter ein, „dass es dem Menschen nicht erlaubt ist, den Donnerstral aus den Wolken herabzulocken.“

Mit den Blitz-Experimenten war nicht nur die Idee zur Lösung eines praktischen Problems bestätigt, sondern auch Elektrizität als eine Naturkraft nachgewiesen. Die Elektrizität hielt auch Einzug in die Biologie und die Medizin. 1780 stieß Luigi Galvani, Professor für Geburtshilfe in Bologna, auf das Phänomen, dass Elektrizität Muskelzuckungen an Froschschenkeln stimulieren kann, wenn diese nämlich mit Kupfer und Eisen in Berührung kommen. Das war die Grundidee, mit der Alessandro Volta im Jahre 1800 eine erste elektrische Batterie erfand. Galvani kombinierte übrigens sein wenig spektakuläres Froschschenkel-Experiment mit dem des Blitzableiters: Er führte er einen Draht vom First eines Hauses in den Garten an einen Froschschenkel. Ein zweiter Draht führte von diesem in einen Brunnen. Wenn bei einem Gewitter in der Nähe ein Blitz aufzuckte, geriet der Froschschenkel in Bewegung - bevor das zugehörige Donnern zu hören war.

In den ersten drei Jahrzehnten nach 1753 wurde übrigens nur sehr zögerlich rund ein Dutzend Blitzschutz-Anlagen gebaut – wegen der Kosten und wegen der Unsicherheit, ob sie wirklich funktionieren. Theologische Bedenken schien es bei den Kirchen-Verantwortlichen nicht gegeben zu haben.

Vermutlich kannten die Hamburger Stadtherren 1750 beim Brand ihrer Stadtkirche St. Michaelis Franklins Theorie noch nicht, sie ordneten jedenfalls drei Tage nach dem Brand einen außerordentlichen Büß- und Bettag für die ganze Stadt an. Der Blitzeinschag war ein Zeichen des „brennenden Eifers" Gottes", seine Güte kam in dem einsetzenden Regen und günstigen Wind zum Ausdruck – frei nach dem Evangelisten Lukas 10,18, der Jesus sagen lässt: „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen."  Bei den Bußgottesdiensten wurde ganz pragmatisch auch eine Kollekte für den Wiederaufbau der Kirche gesammelt. Dann kam der Blitzschlag im Turm von St. Nicolai 1767. Franklins Erfindung war bekannt – schon 1769 beschloss das große Kirchen-Collegiums der St.-Jacobi-Kirche 1769: „Der Allerhöchste ist der beste Beschützer, allein um alle Vorsichtigkeit zu gebrauchen, so ist man jederzeit verbunden, da es doch ohne dies wenige Kosten verursacht, guten Rat anzunehmen.“ Das Collegium sei „bereit, dasjenige was dazu erforderlich angeschaffet werden möchte.“   Die Bauarbeiten für den Blitzableiter begannen 1770. 

Pastor Mauchs von der St. Osdag-Kirche beim Königlichen Konsistorium in Hannover begründete seinen Wunsch nach einem Blitzableiter 1782 damit, dass eine „schreken volle Erfahrung uns belehret hat, wie sehr unsere Kirche den Gewitter Beschädigungen ausgesetzet sey..." 1774/75 und Ende August 1780 habe es Blitzeinschläge gegeben, Schäden seien an der Uhrenanlage und insbesondere an der Kanzel aufgetreten. Gutachter war übrigens Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799), der an seinem eigenen Haus einen Blitzableiter eingerichtet hatte. Die Rembertikirche in Bremen bekam 1783 den begehrten „Wetterschutz“.
1794 polemisiert Lichtenberg gegen die mythologische Vorstellung, dass „der liebe Gott seinen Wohnsitz unmittelbar über den Wolken habe” und man den Kindern sage: „Horch! der liebe Gott zürnt, wenn es donnert”. Aber es würden mehr Menschen an Pocken und an der Kälte sterben. Gegen Gewittereinschläge könne man sich schützen wie gegen Kälte.

Die Nützlichkeits-Erwägungen waren grundsätzlich wichtig, wichtiger war die Möglichkeit, die neuen Erkenntnisse für die große machtpolitische Auseinandersetzung der Aufklärung zu instrumentalisieren. Das öffentliche Spektakel blieb dabei bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eine wichtige Triebfeder für den Ehrgeiz der Naturforscher. Die Suche nach des „Ursachen“ der Elektrizität interessierte kaum noch.

Maximilien de Robespierre war schon als Anwalt 1783 in einem Prozess aufgetreten, in dem er einen Mann, der sein Haus mit einem Blitzableiter versehen hatte, gegen den Vorwurf der Gefährdung der Allgemeinheit verteidigte. Robespierres Plädoyer war eine große aufklärerische Rede.
Und Benjamin Franklin vereinigte in seiner Person sichtbar die Botschaft der neuen Zeit: Er hatte den Blitzableiter erfunden, er hatte die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staates mitformuliert und er kam ins Frankreich des Ancien Régime als Botschafter der Menschenrechte und des allgemeinen, gleichen Wahlrechts.

    siehe auch den Text

    Über das ordnende Denken der neuzeitlichen Physik und
       seine mystische Nutzung in der Welt der  Science Fiction-Phantasien   M-G-Link  

    • Literatur:
      Friedrich Steinle:
      Wissen, Technik, Macht  - Elektrizität im 18. Jahrhundert;
       in: Dülmen, Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft (2004)
      Michael Gamper:  Elektropoetologie - Fiktionen der Elektrizität 1740 – 1870 (2009)
      Benjamin Specht: Physik als Kunst. Die Poetisierung der Elektrizität um 1800 (2010)