Klaus Wolschner               Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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Stichworte zur
Literaturgeschichte von Humanismus / Reformation

nach
Wolfgang Beutin, Humanismus und Reformation,
in:  Deutsche Literaturgeschichte, Wolfgang Beutin u.a., S. 57-102 (2013)

Die „Renaissance“ lag im ausgehenden Mittelalter gewissermaßen „in der Luft“ in den neu entstehenden Stadtkulturen. Die Metapher verweist einerseits darauf, dass es verschiedene Vorboten aus ganz verschiedenen geografischen und kulturellen Bereichen gab, die zusammenflossen zu einem Phänomen, dass erst im 19. Jahrhundert rückwirkend als Einheit - „Renaissance“ begriffen werden konnte. Die Ursachen sind dabei ähnlich diffus wie die Luft. (siehe „Warum Europa“, MG-Link) Wie diffus sie in der Luft lagen, zeigt sich auch daran, dass es keine klare Unterscheidung gibt zwischen den Neuerern und den Anhängern des guten alten Denkens. Im Grunde mischten sich in jedem Denker dieser Umbruchphase aufregend neue Gedanken und Einsichten mit ganz traditionellen Denkmustern. Martin Luther verweigerte sich der zentralen sozialpolitischen Forderung seiner Zeit, der Abschaffung der Leibeigenschaft. Einer der radikalsten Denker der Zeit, Thomas Müntzer, war gleichzeitig Mystiker. Und der Humanist Erasmus von Rotterdam fand, dass die wüste Polemik Luthers gegen die katholische Kirche zu weit ging, er fürchtete den Sturz der alten Mächte. Und so weiter. Erst im Rückblick ist es möglich, die jeweils neuen Gedanken aus ihrem jeweiligen Kontext herauszulösen und zu einem historischen Trend zusammenzufassen.

In Italien wurde die Erneuerung als „rinascita“ bezeichnet. Als „Anfang vom Ende“ der italienischen Blütezeit bezeichnet Wolfgang Beutin das Jahr 1527. Spanische und deutsche Söldner des Kaisers Karl V. zerstörten die Stadt Rom – „Sacco di Roma“. 5000 Einwohner mussten ihr Leben lassen.

In Italien war die Erinnerung an die Antike lebendiger als anderswo, nach dem Tod des Kaisers Friedrich II. im Jahr 1250 und nach dem Ende der Stauferherrschaft  wuchs die Bedeutung der neuen städtischen Oberschicht. Florenz wurde zur Handels- und Kultur-Metropole. In Deutschland kam der Renaissance-Humanismus erst anderthalb Jahrhunderte später an.

Devotio moderna

Zur Vorgeschichte der Renaissance zählt aber auch die deutsche Mystik des Spätmittelalters. In Dantes Göttlicher Komödie kommt „Matelda“ vor, ein deutlicher Bezug auf Mechthild von Magdeburg bzw. Mechthild von Hackeborn, auch der italienische Novellendichter Boccaccio bezieht sich in seinem Decamerone auf deutsche Mystikerinnen. Denn das Herzstück der Mystik bildete die Bemühung um Verschmelzung mit Gott („unio mystica“), in seiner Seele ist der Mensch als einsam gedacht, verbunden nur mit Gott. Mystikerinnen kamen ohne Vermittlung von Kirche, Priestern und Gemeinschaft aus. So ist es nicht überraschend dass den deutschen Theoretiker der Mystik, Meister Eckehart, ein Ketzerverfahren eingeleitet wurde, 1329 wurden seine Lehren verurteilt.

Mit der devotio moderna entstand im 14. Jahrhundert eine neue Frömmigkeitsform. Das Erbauungsbuch De imitatione Christi  (Über die Nachfolge Christi) von Thomas von Kempen (1380-1471), erstmals gedruckt 1470, wurde zur  meistverbreiteten geistlichen Schrift neben der Bibel. Erasmus von Rotterdam (1466 oder 1469-1536) war stark von dieser Tradition beeinflusst.

Kirchenkritik aus der Umgebung des Papstes

Eine frühe  „Renaissance-Novelle“ stammt von Enea Silvio Piccolomini (1405-1464), bekannt als Papst Pius II. (seit 1458). Von ihm stammt die Geschichte der zwei Liebenden (1444, De duobus amantibus historia), einer Ehebruchs-Erzählung mit  allerlei Anzüglichkeiten.

Kurze scherzhafte Prosatexte veröffentlichte Poggio (1380-1459) im Jahre 1452 unter dem Titel Facetien. Poggio war Sekretär gleich mehrerer Päpste, gleichwohl enthalten die Facetien eine Menge Spott und Hohn auf Kosten der hohen Geistlichkeit.

Auch der italienische Humanist Lorenzo Valla (um 1406-1457) attackierte den alten Glauben und die alte Kirche.  1440 konnte er die sog. Donatio Constantini (Konstantinische Schenkung) als Fälschung entlarven -  dass Kaiser Konstantin (Alleinherrscher 324-337) das weströmische Reich an Papst Silvester I. abgetreten habe, war eine Legende gewesen. Luther bezog sich bei seiner Polemik gegen das Papsttum auf Vallas Schrift. Auch der Jurist und Schriftsteller Gregor Heimburg (um 1400-1472), anfangs Sekretär von Enea Silvio, wurde später ein entschiedener deutscher Gegner dieses Papstes und damit ein Vorläufer von Luther.

Renaissanceliteratur in Deutschland

Als frühestes Zeugnis der Renaissanceliteratur in Deutschland gilt das Streitgespräch „Der Ackermann aus Böhmen“. Dieses Gesprächs in Prosa, entstanden um 1400 und erstmals um 1460 gedruckt wurde, stammt von Johann von Tepl, es ist seiner Zeit um ein Jahrhundert voraus.

Der Autor war Stadtschreiber in Prag. In dem Prosa-Dialog streitet der Ackermann mit dem Tod. „Der Tod verficht zum einen seine rigorose mittelalterlich-klerikale Weltanschauung und propagiert die Auffassung von der Nichtigkeit des Lebens, vom Elend alles irdischen Daseins.“ (Beutin)  Und er vertritt die feudale Ordnung, nämlich „daß ein Knecht Knecht bleibt, ein Herr Herr.“ Der Ackermann zieht den Tod, der ihm die geliebte Frau geraubt hat, vor das Gericht Gottes, und erklärt dort, dass der Mensch „das großartigste, das kunstreichste und das allerfreieste Werkstück des Schöpfergotts“ sei. Zu seinem Erdenglück trage wesentlich die Liebe, die Ehe und die Familie bei. Und Gottes Schöpfung sei ausgezeichnet durch seine Vernunft.


Peter Luder und Samuel Karach von Lichtenberg gelten als Vertreter der sog. „Wanderhumanisten“, die in der Mitte des 15. Jahrhunderts als Studierende und dann  auch als Hochschullehrer wechselten von Semester zu Semester ihre Wirkungsstätte wechselten. Sie führten die humanistische Lehre an den deutschen Universitäten - gegen den Widerstand der scholastisch geprägten altherkömmlichen Fächer ein: antike Sprachen, also vor allem Latein, Rhetorik, Poesie und Geschichte. 

Eine andere Gruppierung deutscher Humanisten des 15. Jahrhunderts wird als „Übersetzerhumanisten“ zusammengefasst – sie popularisierten das Gedankengut der Renaissance in deutscher Sprache. Nielas von Wyle (um 1410-1478 oder 1479) übersetzte in seinen Translationen (1461) vor allem Texte italienischer Renaissanceautoren, aber auch Lukians Eselsgeschichte aus dem 2. Jahrhundert.  Heinrich Steinhöwel (1412-1477) übersetzte Boccaccio, insbesondere dessen De claris mulieribus (Über die berühmten Frauen, 1360/62) und er machte Griseldis, die 100. Novelle des Decamerone, in Deutschland populär. Der fränkische Domherr Albrecht von Eyb (1420-1475) übersetzte Novellen von Giovanni Boccaccio und Komödien des antiken Lustspieldichters Plautus, von ihm stammt auch das „Ehebüchlein“, das  Vor- und Nachteile der Ehe abwägt und die Frau als Wesen geistiger Individualität beschreibt. Das Ehebüchlein wurde seit 1472 immer wieder gedruckt.

Celtis, Hutten

Bedeutsam unter den frühen deutschen Humanisten ist auch  Conrad Celtis (1459-1508). Von ihm stammen die Quattuor libri amorum (Vier Bücher Liebesgedichte, 1502), in Anlehnung an Ovids Amores geschrieben. Nach dem Muster der italienischen Akademien gründete er um 1490 u.a. in Wien und Heidelberg wissenschaftliche Gesellschaften zur Förderung der Bildung und Künste – genannt „Sodalitates“.
Im Jahre 1517 erschien der zweite Teil der Dunkelmännerbriefe (Epistolae obscurorum virorum)  von Ulrich von Hutten, eine „glänzende Satire gegen das Leben der herabgesunkenen Geistlichkeit“ (Beutin). In mehr als einhundert erfundenen Briefen enthüllen Kleriker ihre geistige Beschränktheit und ihre Heuchelei. Von Hutten stammt der Satz, „daß Teutschland einer Reformation bedürfe“. Hutten verstand es, den Empfindungen und Forderungen breiter Schichten des Volks Ausdruck zu verleihen.  Er erkannte, dass seine Botschaft nur in deutscher Sprache große Wirksamkeit entfalten würden, denn das Latein sei, „einem jeden nit bekannt“.  Hutten übersetzte seine anfänglich in Latein geschriebenen antiklerikalen Brandschriften in die Volkssprache.

Nach ihm veröffentlichten auch andere Humanisten in der deutschen Sprache, um das Jahr 1520 entstand so eine rebellische öffentliche Meinung in Deutschland. Der Literaturhistoriker Beutin vergleicht diese Phase mit der öffentlichen Meinung des Jahres 1848.

Erasmus von Rotterdam

Auch Erasmus von Rotterdam kritisierte, kaum milder als Luther, das Dogma und Institution der alten Kirche. 1517 veröffentlichte er seine satirische Kampfschrift Querula pacis (Die Klage des Friedens). Der Friede (eine Allegorie) prangert darin die Kriege und die Kriegspolitik der Päpste und Kirchenfürsten an. Krieg sei nicht Schicksal, sondern Menschenwerk, erklärt Erasmus.
Erasmus verkündete programmatisch: „Alle müssen sich gegen den Krieg verschwören und ihn gemeinsam verlästern. Den Frieden aber sollen sie im öffentlichen Leben und im privaten Kreise predigen, rühmen und einhämmern.“
Erasmus wurde zu einem scharfen Gegner von Luther. Bei aller Kritik am Papsttum beunruhigte ihn der Gedanke an Katastrophen, die die Zerstörung der herrschenden Machtverhältnisse bedeuten würden: Er fürchtete, dass die  konfessionellen Streitigkeiten zu großen Kriegen führen müssten. Er griff zudem das düstere Gottesbild Luthers an.

Seine Streitschrift über die Willensfreiheit  De Iibero arbitrio Diatribe sive collatio (1524) führte zu Luthers Erwiderung  De servo arbitrio (Vom unfreien Willen, 1525). „Diese Auseinandersetzung der beiden namhaftesten Autoren der Zeit in Nordeuropa gehört zu den grandiosen europäischen Literaturfehden.“ (Beutin) 

Radikale Gesellschaftskritik

Zunehmend Verbreitung und damit Bedeutung erhielten um die Wende zum 16. Jahrhundert gesellschaftspolitische Anklagen. Thomas Müntzer etwa schrieb in seiner Verteidigungsschrift gegen Luther (Hochverursachten Schutzrede, 1524): „Die Grundsuppe des Wuchers, der Dieberei und Räuberei sind unsere Herren und Fürsten. Sie nehmen alle Geschöpfe zum Eigentum. … Indem sie nun alle Menschen peinigen und den armen Ackermann und Handwerksmann und alles, was lebt, schinden und schaben, so muß, wenn einer von diesen sich dann am Allergeringsten vergreift, er hängen. Dazu spricht dann der Doktor Luther: Amen. Die Herren machen das selber, daß ihnen der arme Mann feind wird. Die Ursache des Aufstands wollen sie nicht beseitigen. Wie kann es dann auf die Dauer gutwerden?“

Der Drucker und Schriftsteller Hans Hergor (hingerichtet 1527 als Märtyrer seiner religiösen Überzeugung) lehnte jegliche weltliche Obrigkeit ebenso ab  wie die geistliche: „Ihr Schriftgelehrten lehrt den Adel, daß er der Kuh nichts in dem Euter lasse und die Milch gänzlich aussauge, auf daß die Jungen keine mehr vorfinden. Wirklich, es ist der Punkt erreicht, daß sie alles ausgesogen haben, weder Milch noch Blut ist mehr da, Frauen und Kinder müssen vor Hunger sterben.“ Die Ausgeplünderten waren die Handwerker und vor allem die Bauern.

Hans Sachs polemisierte in seinem Fastnachtsspiel Ein Bürger, Bauer, Edelmann  auch gegen das Geld, das „jetzunder in ganzer Welt regiert“. Geld spalte, so Sachs, die Menschheit in große und kleine Diebe. Voraussetzung der zunehmenden Geldwirtschaft war die Abtrennung einer gewerblichen Produktion von der agrarischen Gütererzeugung, in den Städten konzentrierten sich Warenproduktion und Handel. Kaufleute, Händler und Wucherer verfügten über den neuen Geld-Reichtum und verdrängten den traditionellen Kleinwaren- und Naturalienhandel.

Johann Eberlin von Günzburg (um 1465-1533), ein Propagandist der Reformation, beobachtete: „Die ganze Menschheit ist auf Kaufen und Verkaufen ausgerichtet“. Der Adel sei verdorben, „das Landvolk geht betteln. “ 

Im Königreich Böhmen hatte der tschechischen Reformator Jan Hus schon seit Anfang des 15. Jahrhunderts die Idee kirchlicher Reformen mit kultureller Erneuerung und politischer Revolution verbunden. Für das Konstanzer Konzil (1414-1418) hatte er eine kaiserliche Zusage freien Geleits -  dennoch wurde er dort als Ketzer verbrannt. Dieser Wortbruch trug zur Vertrauenskrise in die traditionellen Machthaber bei.

Die gesellschaftskritischen Analyse und die reformatorische Programmatik wurden im 15. und im frühen 16. Jahrhundert schon als „Reformation“ bezeichnet. Ihr bekanntestes Dokument ist die anonyme Schrift Reformatio Sigismundi (Reformation Kaiser Sigismunds), deren Titel den Namen des Kaisers aus Marketing-Gründen missbrauchte. Seit 1439 erschien sie in 17 Handschriften, seit 1476 in mehreren Drucken. Drei Generationen vor dem Bauernkrieg wurde da die Abschaffung der Leibeigenschaft gefordert: „Es ist eine unerhörte Sache, daß man in der frommen Christenheit das große Unrecht eigens enthüllen muß, welches vor sich geht, wenn einer, obwohl Gott zuschaut, so gierig ist, daß er es wagt, zu einem Menschen zu sprechen: ‚Du bist mein eigen‘. Es ist daran zu denken, daß Gott (...) uns befreit und von allen Banden löst [...] Darum wisse jedermann, der lebt, der seinen Mitchristen als Eigentum erklärt, daß er nicht Christ ist.“ Die Reformatio Sigismundi verkündete darüber hinaus das Widerstandsrecht gegen solche Herren. 

Auch das „Buch der hundert Kapitel und vierzig Statuten“ eines oberrheinischen Revolutionärs, das  zwischen 1498 und 1510 verbreitet wurde, richtete sich gegen die Leibeigenschaft: „Das ist Diebstahl und schlimmer als jeder andere Diebstahl wegen der damit verbundenen Machtausübung. Der Adlige sagt: ‚Du bist mein Eigenmann!‘ Aber die Wahrheit lautet: Wir Deutschen sind frei, frei nach dem Gesetz Kaiser Karls des Großen, alle edel.“ Ähnlich scharf kritisierte der anonyme Verfasser die Geldwirtschaft: „Ein Wucherer ... ist böser als ein Mörder.“ In Anknüpfung an Cicero polemisierte das Buch gegen den Eigennutz, moralisch gerechtfertigt sei nur „der gemeine Nutzen“. Dieses Begriffspaar durchzieht die Flugschriften der Bauernkriege und die Literatur der Aufklärung.

Ein wichtiger Zeitkritiker der deutschen Literatur gegen Ende des 15. Jahrhunderts, Sebastian Brant (1457-1521) formulierte in seinem „Narrenschiff“ (1494), „Zur Freiheit wardst du hingeführt,/ Als dich gemeinsamer Rat (Nutzen) regiert./ Doch als auf Hoffart man bedacht,/ Auf Reichtum und auf große Macht,/ Und Bürger wider Bürger stritt,/ Und des gemeinen Nutzens man gedachte nit,/ Da fing die Macht zu zerfallen an.“ 

Das gedruckte Wort als Waffe

Das Medium der Reformation und der politischen Erneuerung im 16. Jahrhundert war aber nicht das Buch, sondern das Flugblatt bzw. die Flugschrift.  Hierin erfuhren die Menschen die Macht des Wortes. Über die mündliche Verbreitung des gedruckten Wortes erfuhren auch die Menschen, die nicht lesen konnten, von den Argumenten, Forderungen, Kampfrufen, von den Utopien und phantastischen Träume der schreibenden Elite. In dem ersten Jahrzehnt dieser „religiös-politischen Revolution“ (Bentin) zwischen den Thesen Martin Luthers in Wittenberg (1517) bis zum Ende des Bauernkriegs (1526)  wurde die Literatur  zu einem Teil der geschichtlichen Bewegung. Die Texte verbreiteten ein ungewohntes Wirklichkeitsbild aus der Perspektive des „gemeinen Mannes“. Der „gemeine Mann“ stritt auf Augenhöhe und großer Polemik, er machte sich zum Richter über die feudalen Herren aller Art. In der Öffentlichkeit der Zeit gewannen die Anschauungen des gemeinen Volkes die Überhand über die Vorstellungswelt der oberen Schichten. 
Kirche und Kaiser - seit 1519 Karl V. – reagierten mit Versuchen der Zensur der schriftlichen Verbreitung. Das Wormser Edikt (1521) verbot die Abfassung, den Druck, Verkauf und die Verbreitung von Schriften, die „böser Lehren und Exempel voll“ seien. Luther erkannte: „Es meinen etliche, ich hätte dem Papst ohne alle Faust (Gewaltanwendung) mehr Schaden getan, als ein mächtiger König tun könnte, mit Reden und Schreiben.“

Zu den Voraussetzungen des Erfolgs der Reformation gehörte also der Buchdruck, der neue Möglichkeiten der Verbreitung des Worts geschaffen hatte, insbesondere durch die Herstellung preiswerter „Gebrauchsliteratur“.  Erst später wurde das Buch von einem Luxusartikel zur Massenware.

Um 1430 hatte man begonnen, eine Textseite - oft illustriert - in eine Holztafel zu schneiden, um diese als Druckvorlage  zu verwenden („Blockbücher“) In der Mitte des 15. Jahrhunderts wurde der Kupferstich erfunden, der aber zu aufwändig war zur Vervielfältigung von Schriftdokumenten. Der Druck mit Hilfe beweglicher Buchstaben war zwar aus China bekannt, wo es seit der Jahrtausendwende aus Ton gebrannte Einzeltypen gab, seit dem 14. Jahrhundert auch holzgeschnittene verwendbare Typen. Aber auf den Gedanken, die für die komplizierten chinesischen Schrifttypen gebräuchliche Technik auf die eigenen Buchstaben zu übertragen, kam niemand. Jedenfalls nicht vor Johann Gensfleisch aus Gutenberg in Mainz. Von ihm ist vor allem das Todesdatum – 1468 – bekannt.

Mit der neuen Technik endete die Vorherrschaft der Mündlichkeit, des mündlichen Verständigungsvorgangs. Im Mittelalter war das Latein die „heilige“ Sprache von Klerikern und Gelehrten. Worte wie „diutisc“  oder „tiutsch“ bezeichneten ursprünglich die Volkssprache und den volkssprachlichen Sprecher. Die sprachlichen Verschiebungen beim Übergang zur Neuzeit vollzogen sich sehr auffällig im Bereich der Schriftkultur.  Die Humanisten wollten sich nicht mit dem üblichen „Mittellatein“  zufrieden geben, sie entwickelten eine neulateinische Schriftsprache, die das Latein der Antike zum Vorbild hatte. In dieser Sprache schrieben Hutten, Celtis oder auch Philipp Melanchthon, das Neulatein hielt sich am längsten in der Rechtswissenschaft und Historiographie, in der Philosophie und Mathematik.

Von den etwa 40.000 Büchern, die im 15. Jahrhundert gedruckt wurden, sind drei Viertel in Latein abgefasst. Nur ein Viertel entfällt auf die verschiedenen Nationalsprachen, davon auf das Deutsche sieben Prozent. Die Verdrängung des Lateinischen erfolgte in mehreren Schüben. In Italien schrieben Dante, Petrarca und Boccaccio schon im 14. Jahrhundert ihre populäreren Dichtungen in der Volkssprache, religiöse, historiographische oder philosophische Werke dagegen auf Lateinisch. Humanisten wie Erasmus von Rotterdam oder Melanchthon schrieben fast ausschließlich auf Latein.

Luther dagegen wollte nicht nur die Gelehrten erreichen, ähnlich wie Hans Sachs, und verwendete dafür die Volkssprache.  Mit seiner Bibelübersetzung schuf Luther kein neues Sprachsystem, nicht die neuhochdeutsche Schriftsprache. Er verwendete die sächsische Kanzleisprache, die an das Ostmitteldeutsche angelehnt war, und erweiterte das Schriftdeutsch der Kanzleisprache mit Worten der Umgangssprache, die der Vorstellungs- und Gedankenwelt des „gemeinen Mannes“ Ausdruck gaben. Im Sendbrief vom Dolmetschen  schrieb er 1530 die berühmten Worte: „Man muß die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt darum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach dolmetschen.“

Thomas Müntzer

Neben Luther war Thomas Müntzer (um 1490, hingerichtet 1525) der prominente Kopf der Reformation. Der Autor der radikalen Flugschrift An die Versammlung gemeiner Bauernschaft verkündete nichts weniger als das Prinzip der Volkssouveränität: „Die Gewalt soll gegeben werden dem gemeinen Volk.“  Müntzer propagierte die bewaffnete Volksmacht und die Gütergemeinschaft. Sein Bezugspunkt war aber nicht die Heilige Schrift, sondern die mystische Tradition der „Offenbarung Gottes“. Das innere Wort war entscheidend, und auch Nicht-Christen konnten es kraft ihrer „menschlichen Vernunft“ wahrnahmen. „Müntzer dachte seiner Zeit weit voraus, dachte ungemein sozial, wenn ihm eine religiöse Reform als Umgestaltung des Glaubens und Veränderung im geistlichen Bereich ohne die gleichzeitige Reform der weltlichen Lebensverhältnisse unmöglich erschien.“ (Bentin) Die Gebildeten seiner Zeit, so erklärte er den Bauern, seien zum größeren Teil  „Schriftgelehrte, die gern fette Brocken essen am Hofe“ und „gottlose Heuchler und Schmeichler, die da redeten, was die Herren gern hören“. Deswegen müsse der „gemeine Mann“ sich selbst bilden, „auf daß du nicht länger irregeführt werdest.“

Martin Luther und die Bauern

Die wütende Polemik von Martin Luther gegen den Bauernkrieg erregte schon die Gemüter der Zeitgenossen. In seiner Flugschrift Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern (1525) heißt es, Fürsten und Kriegsknechte könnten „mit Morden und Blutvergießen den Himmel zu verdienen [...]. Darum, liebe Herren, befreit hier, rettet hier, helft hier, erbarmet euch der armen Leute! Steche, erschlage, würge hier, wer da kann!“ In anderen Schriften hatte Luther durchaus Verständnis für bäuerliche Gewalt gezeigt. Da heißt es zum Beispiel:  „Warum greifen wir sie nicht mit allen Waffen an und waschen unsere Hände in ihrem Blut?“

Thomas Murner (1475-1537) verfasste eine Satire auf Luther: Von dem großen Lutherischen Narren (1522). Der Franziskanermönch Murner hatte schon 1520 in einer Entgegnung auf Luthers Schrift An den christlichen Adel davor gewarnt, dass Luthers Gedanken die Bauern zum Aufstand anstiften werde.  Aber Luther hatte nicht den ganzen Menschen für frei erklärt, sondern nur als geistliches Individuum, das er den „Christenmenschen“ nannte. Solche Spitzfindigkeiten wurden in der populären Rezeption nicht wahrgenommen.  Luther wollte ausdrücklich nicht die „christliche Freiheit ganz fleischlich machen“.  Melanchthon präzisierte: „Es ist auch ein Frevel und Gewalttat, daß sie nicht wollen leibeigen sein!“

Luther lehnte nicht die Leibeigenschaft ab, aber er forderte, dass die „gemeine” (Gemeinde) das Recht bekommen sollte, ihren Pfarrer zu wählen – ähnlich wie es der erste der Zwölf Artikel der Bauern (1525) formulierte.  Bereits 1520 hatte er sich für die Absetzbarkeit des Papstes ausgesprochen, 1523 verpflichtete er die Christen geradezu zum Widerstand gegen Regenten, die „unchristlich an uns gehandelt haben“ – das seien „Tyrannen“. Der größte Feudalherr war dabei die römische Kirche – seine Polemik trug „zu einer Verschiebung des Kräfteverhältnisses zugunsten der weltlichen Herren und städtischen Oberschichten und zu einer künftigen Machtausdehnung des Bürgertums bei“. (Beutin)

Das Spruchgedicht Die Wittenbergisch Nachtigall (1523) von Hans Sachs war eines der wirksamsten Propaganda-Instrumente der religiösen Neuerung. Sachs hinterließ ein Gesamtwerk von rund 6000 Texten: über 4000 Meistergesänge; etwa 2000 Gedichte, Sprüche, Fabeln, Schwänke gereimt; dazu weltliche und geistliche Lieder sowie 208 Dramen. Er war der größte dichterische Repräsentant des Kleinbürgertums in Deutschland. Seine Texte verteidigen die Grenzen der patriarchalischen Gesellschaft  (etwa in der Tristan-und-Isolde-Tragödie,  eine Rebellion in der Werkstatt gilt ihm als furchtbares Vergehen. Damit war Hans Sachs „die Stimme des einfachen
Volks, der Handwerker, Arbeiter und Bauern.“ (Beutin)

Philipp Melanchthon

Ein enger Mitstreiter Luthers war der Wittenberger Philipp Melanchthon (1497-1560) – ein Humanist, der die Reformation zu seiner Sache machte. Er formulierte die Augsburgische Konfession (1530), die in der evangelischen Kirche bis heute Gültigkeit hat und die in komprimierter Form dem Reichstag zu Augsburg vorlag. Ein anderer Mitstreiter war Johann Bugenhagen (1485-1558), der Schöpfer der niederdeutschen Vollbibel (1534). Die Brüder Ambrosius Blaurer (1492-1564) und Thomas Blaurer (1499-1570) sind vor allem bekannt als Lieddichter. Johannes Zwick (um 1496-1542)  gab 1536 das erste Schweizer Kirchengesangbuch heraus.

Zwingli, Calvin

Der Erfinder der Schweizer Reformation war Ulrich Zwingli (1484-1531), der die Erneuerung des Christentums (Christianismus renascens) enger als Luther mit der Wiederaufnahme der Antike verknüpfte.  Als im Sommer 1519 die Pest in Zürich ausbrach, stand er den Erkrankten bei und steckte sich selbst an. In der Krankheit dichtete er sein Pestlied. Seine Lehre fasste er in der Schrift Commentarius de vera et falsa religione (Über den wahren und den falschen Glauben) 1525 zusammen. Nachfolger Zwinglis in Zürich wurde 1531 Heinrich Bullinger (1504-1574). Er trat für die Gründung eines helvetischen Gemeinwesens  ein – gegen die Feudalbindungen an Österreich und das Haus Habsburg.

Zwinglis Reformation inspirierte den großen Genfer Johann Calvin (1509-1564). Honoré de Balzac verglich 1846 in seinem Roman Sur Catherine de Medicis (Katharina von Medici) den Reformator Calcin mit  Robespierre. Seine Reformation sei wie die Französische Revolution wesentlich für die Zerstörung des katholisch-monarchischen Systems in Europa gewesen.