Klaus Wolschner               Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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POP 55

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Wenn der Pöbel
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Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
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Die Lola-Montaz-Revolution in München im Frühjahr 1848 im Spiegel der Leipziger Illustrirten Zeitung

2020

Vorab die Geschichte: Im Oktober 1846 trat im Münchner Hof- und Nationaltheaters die „spanische“ Tänzerin auf, deren Darbietungen dem männlichen Publikum den Atem verschlugen. Bekleidet mit einem Dutzend leuchtend bunter Röcke, absolvierte diese Lola Montez den „Spinnentanz“. Dabei lüftete sie zu Fandangoklängen einen Rock nach dem anderen und untersuchte ihn auf das Vorhandensein imaginärer Spinnen, die dann abgestreift und totgetreten wurden. Am Ende dieser Darbietung stand sie hüftabwärts nur mit einem fleischfarbenen Trikot bekleidet auf der Bühne.

Es war der Gipfelpunkt aller 1846 Lola-Karikaturbiedermeierlichen Erotik.

 


Lola-Karikatur aus New York –
nicht aus der „Illustrirten“ -

die Illustratoren der Illustirten mussten sich
offenbar zurückhalten und
auf das dankbare Thema verzichten


 

 

Über Wochen füllte im Frühjahr 1848 die Affäre des Bayerischen Königs Ludwig I. mit der „spanischen“ Tänzerin Lola Montez die Zeitungen. Insbesondere in Satire-Zeitungen wie den „Fliegende Blättern“ wird das Verhalten des Monarchen in Klatschgeschichten, Gedichten und Karikaturen verhöhnt.

Im Oktober 1846 war Lola Montez nach München gekommen und hatte nach drei Tagen eine Audienz beim König bekommen. Sie gab sich als spanische Tänzerin aus. Schon am 10. Oktober 1846 trat sie in Zwischenakten des Schwanks „Der verwunschene Prinz“ im Hoftheater auf.  Zweimal Täglich soll der 60 Jahre alte und 35 Jahre ältere König sie täglich in ihrem Hotel im „Bayerischen Hof“  besucht haben.

Lola Kari Leipziger Flugblatt, das ihre Erhebung zur GräfinMarie von LandsfeldSchon 1847 erschien in Leipzig das Flugblatt „Lola Montez wird von König Ludwig von Bayern zur Gräfin Landsfeld erhoben“ (siehe Abbild links)

Die Mätresse des Königs, nach einem von ihr aufgeführten erotischen Tanz auch „spanische Fliege“ genannt, steht auf dieser Karikatur in freizügigen Dessous und mit einer Reitpeitsche in der Hand. Der König Ludwig I. hält ihr als Fauns mit devotem Gestus eine Krone entgegen hält legt ihr Geldsäcke zu Füßen.

Im Januar 1847 mischt sich der Fürstbischof von Breslau  ein und beschwört König Ludwig I., das im Volk für Unruhe sorgende Verhältnis mit Lola Montez zu beenden. Der König antwortet dem Fürstbischof, der Schein trüge, Mätressenwirtschaft habe er noch nie gemocht.
Unter dem Schutz ihrer „Leibgarde“ vom Studentenkorps der Alemania zog die Montez Zigarre einmal rauchend durch München und ging dabei keinem Streit aus dem Weg. Sie pflegte Ohrfeigen und Schläge mit ihrer Reitgerte auszuteilen, wenn es jemand wagte, ihr zu widersprechen.
Die „Pictorial Times“ in London druckte eine Karikatur, die Lola Montez mit einer Reitpeitsche zeigt und berichtet, es handele sich bei ihr in Wirklichkeit um eine sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig Jahre alte Britin, die Ehefrau eines Leutnants der Ostindischen Kompanie.

Obwohl der König den Behörden  keine Dokumente über ihre Identität vorlegen konnte und insbesondere nicht über ihre bayerische Staatsangehörige, machte er sie zur Gräfin - daraufhin trat das Ministerium geschlossen zurück. Als es zu einer öffentlichen Parteinahme für den Innenminister an der Münchner Universität kam, wurden die betreffenden Professoren entlassen. Es kommt zu einer Demonstration vor dem Palais der Lola Montez, das ihr der König kurz zuvor geschenkt hatte. Randalierer vor dem Polizeipräsidium Brauereiwagen um und werfen Pflastersteine in die Fenster. Sprechchöre verlangen, Lola Montez aus der Stadt zu verjagen: „Die Hur‘ muss raus!“ Ludwig I. schickte seiner Geliebten eine Nachricht, in der er sie vor weiteren Ausschreitungen warnt und ihr rät, den nächsten Tag am Starnberger See zu verbringen. Sie bleibt jedoch trotzig in der Stadt.

Während Korporation Alemannia als persönliche Leibwache der Lola Montez fungierte, stellt sich der größere Teil der Studenten offen gegen die Spanierin. Nach Schlägereien verfügte der König am 9. Februar 1848 die Schließung der Universität, auswärtige Studenten sollten innerhalb von zwei Tagen München verlassen.
Es kommt zu Protesten der Bürger der Stadt, Forderungen nach mehr Bürgerrechten und nach mehr politischer Beteiligung der bayerischen Untertanen werden erhoben. Der neue Kriegsminister General Heinrich von der Mark erklärte am 11. Februar 1848 dem König, er werde sich lieber erschießen als Armeeeinheiten zur Verteidigung von Lola Montez gegen aufgebrachte Münchner einzusetzen.
Der König gab schockiert nach und hob die Schließung der Universität auf. Das waren die Tage, in denen sich auch die Nachrichten vom Aufstand in Paris verbreiten. (21.-24.2.) Am 4. März 1848 kam es zum Sturm auf das Zeughaus in
München, was einer Volksbewaffnung gleichkam.
17. März 1848: Die Bürger verlangen von König Ludwig I., dass er anordnet, Lola Montez zu verhaften, falls sie das Land Bayern noch einmal betreten sollte. A
m 19. März 1848 dankte der König und übertrug die Krone seinem Sohn Maximilian. Es sei für ihn eine Zumutung, als „Unterschreibkönig“ dienen zu müssen, erklärte er.
Nach 1848 setzte Montez ihr abenteuerliches Leben fort, ging 1851 in die USA und präsentierte dort mit großem Erfolg am New Yorker Broadway ihre eigene Vita samt „Spinnentanz“. Eine Tournee führt sie bis nach Australien.  Am 17. Januar 1861 starb Montez in New York, verarmt und vergessen.
Im Theatre Royal in London wird am 26. April 1848 die Farce „Lola Montes or A Countess for an Hour“ von Joseph Sterling Coyne uraufgeführt. Die zeitgenössische bayerische Presse berichtete deutlich milder über Ludwig I., sicherlich auch wegen der herrschenden Zensur, aber vermutlich auch aus Unsicherheit und Respekt vor dem König.

Und was berichtet die Illustirte Zeitung darüber?

Eigentlich war die Lola-Geschichte ein thematisches Geschenk für eine Illustrierte. Offenbar hatte J.J. Weber aber schon früh ein Gespür dafür, dass es hier um die Herausforderung der königlichen Machtvollkommenheit ging – und stellte sich auf die Seite des bayerischen Königs.

Die Illustrirte berichtet am 19.2.1848, dass der König nachgegeben hat - mit einem klarem Kommentar „Die Freude und Dankbarkeit der Münchner kennt keine Grenzen.“ Und: „Die Ruhe ist übrigens in München vollständig hergestellt.“

1848 Lola Bericht

 

 

 

Die „Illustrierte Zeitung“ bringt am 4.3.1848
einen langen Bericht eines „Augenzeugen“
über die Vorfälle vom Februar (9.-11.2.) in München.

 

 

J.J. Weber interpretiert diesen Bericht in einem redaktionellen Vorwort. Da heißt es,  in München habe eine „Revolution“ stattgefunden „aus Beweggründen, die kaum das Licht der Sonne ertragen“. Und: „Fern sei es von uns, unsittlichen Verhältnissen das Wort zu reden; noch viel weniger aber möchten wir uns zu Richtern aufwerfen, und am allerwenigsten können wir zugeben, dass die allgemeine Regel, daß Privatverhältnisse nicht in den Bereich der Öffentlichkeit gehören, dann eine Ausnahme erleiden dürfte, wo jeder wahre Freund des Vaterlandes sich veranlasst finden sollte, sie mit dem dichtesten Schleier der Verborgenheit zu bedecken, um  nicht den Fluch Kanaans auf sich herabzuziehen. Und unter den tausend Studenten, unter den dreitausend Bürgern, welche die Alemannen ächteten, wie viele mögen wol darunter  gewesen ein, die mit gutem Gewissen Steine aufheben durften, zur gesetzlichen Tödtung! Schon die verächtliche Scheinheiligkeit, die aus diesem Geschrei hervorblickt, würde die pfäffische Färbung dieser Revolution beweisen, wäre auch nicht die Postzeitung ihr Moniteur gewesen.“

„Neid und schnöder Eigennutz verführte Münchens Bürger zum offnen Aufstand“, schreibt Weber, „der durch die Lebehochs, die dem nachgiebigen König ausgebracht wurden, nichts von einem ungesetzlichen  Charakter verliert; denn die Thatsache bleibt unwidersprechlich, daß der König gezwungen wurde, eine, wenn auch strenge, doch nicht ungerechte Verfügung zurückzunehmen …“

1848 Lola KommentarNachdem Augenzeugenbericht stellt die Zeitung fest: „Hinzuzufügen haben wir nichts; die Thatsachen sprechen für sich selbst; eine begünstigte Hauptstadt hat sich gegen ihren Fürsten, gegen den Fürsten empört, dem sie alles verdankt, was sie ist; … sie hat einen König gekränkt, der seine Schwächen haben mag, der aber ein wohlwollender und treuer und deutscher Fürst ist und welcher um München solchen Undank nicht verdient hat …“

Das war zwei Wochen vor seinem Rücktritt.

Erst Ende März (25.3.1848), unter dem Eindruck der Ereignisse in Paris, erscheint in der Illustrirte Zeitung einem zeitgeschichtlichen Aufmacher-Hauptkommentar, in dem die Ereignisse mit Hinweis auf die „Beschlüsse von Karlsbad“ interpretiert werden als „Vernichtung des Lügennetzes, welches seit dreißig Jahren nicht blos Deutschland, sondern ganz Europa umgarnt hielt…“ Gleichzeitig meldet der Korrespondent aus Wien, dort hätten „die dinge eine traurige, schauderhafte Wendung genommen. Aus unserem friedlichen Wien ist ein Tummelplatz wilder Leidenschaften geworden, dessen Tiefe sich gar nicht ermessen lässt.“

Erst am 1.4. berichtet die Illustrierte kurz über die Abdankung König Ludwigs mit einem kleinen kommentieren Satz: Die Stimmung über das große Ereignis sei „sehr verschiedenartig“, doch dann habe die Freude das „Übergewicht gewonnen“.