Klaus Wolschner               Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

www.medien-gesellschaft.de


zu den Abschnitten

I
Medien-
Geschichte

Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen

2 AS Cover

ISBN 978-3-7418-5475-0
im Buchhandel oder
beim Autor 
 klaus(at)wolschner.de

2 VR Titel

Über die Mediengeschichte der Schriftkultur und ihre Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion im  Jahrhundert des Auges

ISBN 978-3-7375-8922-2
im Buchhandel
oder beim Autor 
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POP 55

Über traditionelle Herrschafts-Kommunikation
und neue Formen der Medien-Demokratie:
Wenn der Pöbel
online kommt
ISBN: 978-3-752948-72-1
Über den Buchhandel oder direkt beim Autor 
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2 GG Titel

Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne
ISBN 978-3-746756-36-3
im Buchhandel oder beim Autor
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Europäischer Medienhype um 1666 -
der falsche Messias Shabbatai Zvi

Sensations-Lust, Neu-Gier und Arbeit am Weltbild

2020

Ein Beispiel für die Wirkung, die Nachrichten schon im 17. Jahrhundert über die zeitgenössischen „Massenmedien“ entfalten konnten, ist die Geschichte des „Messias“ Schabbtai Zvi. Überliefert und erhalten ist die frühe Notiz in der seriösen niederländischen Zeitung Haegsche Post-Tydingen, die 1665 meldete, in einem „Brief von einem katholischen Geistlichen aus Rom“ sei berichtet worden, es sei in Jerusalem  zu einem „Aufruhr“ und „Frohlocken“ wegen des Erscheinens eines Messias gekommen. Die Nachricht wurde offenbar oft nachgedruckt, sie schien glaubwürdig. Ingrid Maier und Winfried Schumacher sprechen in ihrer historischen Aufarbeitung vor einem  „Medien-Hype im 17. Jahrhundert“.

„Schabbtai“ oder „Sabbatai“ Zvi - ein selbst gewählter Namen - war ein Religionsgelehrter, dessen Verhalten heute möglicherweise als typisch „manisch-depressiv“ beurteilt würde. Nachdem er von anderen als „Messias“ betrachtet wurde, hatte er offenbar diese Rolle angenommen.

In mehreren Zeitungen – bis nach Kopenhagen und Königsberg - wurde die Nachricht nachgedruckt, es erschienen Flugschriften mit Holzschnitten, in denen die Geschichte blumig ausgemalt wurde. Da wurde von einem „Jüngling von schöner Gestalt“ berichtet und spekuliert, dass „der liebe Jüngste Tag nunmehr nicht ferne seyn mus“ – möglicherweise in dem Jahre 1666, die drei Sechsen könnten ein Hinweis sein. In Amsterdam verkauften einige jüdische Kaufleute ihr Hab und Gut, um sich mit der Kutsche auf den Weg nach Jerusalem zu machen, weil sie die Wiederkehr des Messias nicht verpassen wollten. Die Jüdin Glückel von Hameln schreibt in ihren Memoiren: „In derselbigen Zeit hat man von Sabbathai Zewi zu reden angefangen. Aber weh uns, wir haben gesündigt … Einige haben nebbich all das Ihrige verkauft, Haus und Hof, und haben als gehofft, daß sie jeden Tag sollen erlöst werden. Mein Schwiegervater – er ruhe in Frieden – hat zu Hameln gewohnt. Also hat er dort seine Wohnung aufgegeben und seinen Hof und sein Haus und seine Möbel.“
Tausende Juden seien aus Marokko und Nordafrika auf
auf dem Weg nach Jerusalem, wurde berichtet.

Einblattdruck Wunder über Wunder 1669              Einblattdruck Verwunderlicher Anfang und schmählicher Außgang3

              Verwunderlicher Anfang und schmählicher Außgang”
   Einblattdrucke 1666:   Wunder über Wunder”

Mehrere illustrierte Flugblätter malten die Geschichte noch weiter aus. Das illustrierte Flugblatt „Verwunderlicher Anfang und schmählicher Außgang . . .“ erzählt, der falsche Messias sei kopfüber an einen Galgen gehängt worden, seine abgezogene Haut sei mit Heu ausgestopft und an einer Eisenstange zur Schau gestellt worden. Sogar auf Polnisch erschien eine Broschüre über seine Hinrichtung.
Die christliche Phantasie kostete offenbar weidlich aus, dass da ein „falscher“ jüdischer Messias enttarnt worden war und seine Anmaßung büßen musste. Die dem Mann in Konstantinopel angedichteten Folterqualen waren zeitgenössischen Berichten aus Foltern im eigenen Land entnommen. Offenbar war der Sultan weniger grausam gewesen, nachdem Zvi erklärt hatte, er sei konvertiert.

Wie im 17. Jahrhundert üblich schrieben die Verfasser ungeniert von einander ab, es gab weder die Möglichkeit noch den Ehrgeiz, Nachrichten zu überprüfen. Entscheidend war, dass die Bevölkerung sie den Nachrichtenhändlern abkauften.